Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Es existiert keine Gesprächsgrundlage mehr“
Luftfahrtexperte Gerald Wissel stellt dem Lufthansa-Management im Tarifkonflikt ein schlechtes Zeugnis aus
RAVENSBURG - In der Tarifauseinandersetzung zwischen der Pilotengewerkschaft Cockpit (VC) und der Lufthansa sind die Fronten verhärtet. Im Gespräch mit Andreas Knoch erklärt Luftfahrtexperte Gerald Wissel, um was es eigentlich geht und warum die Situation ist, wie sie ist.
Herr Wissel, die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit argumentiert, die Lufthansa habe in den vergangenen Jahren gut verdient und könne die geforderten Lohnerhöhungen stemmen. Wie schlüssig ist das aus Ihrer Sicht? Der Konflikt ist für Außenstehende in seiner Gänze schwer zu fassen. Zunächst einmal: Die Lufthansa ist ein börsennotierter Konzern und damit auch seinen Aktionären verpflichtet. Zudem muss man wissen, dass die Margen der Lufthansa nach wie vor sehr knapp sind und die Zukunft in diesem Punkt nicht rosig aussieht. Auf der anderen Seite reden wir bei der Lufthansa über einen Dienstleister, der, wenn er mit seinen Dienstleistungen Kunden gewinnen möchte, die Mitarbeiter, in diesem Fall die Piloten, mitnehmen muss. Das kann ich aktuell nicht erkennen.
Woran liegt das? Es gibt zwischen den Tarifparteien keine Vertrauensbasis mehr. Es hat im Laufe des Tarifkonflikts immer wieder Einigungen in einzelnen Punkten gegeben, die dann durch Winkelzüge der einen oder anderen Partei wieder konterkariert wurden. Die Piloten haben ein legitimes Recht zu erfahren, wie es im Konzern weitergeht, wie die künftige Struktur aussieht und wie sicher ihre Arbeitsplätze sind. Das Lufthansa-Management kontert diese Forderungen monoton mit dem Hinweis, dass dies strategische Fragen sind, die nicht Gegenstand der aktuellen Tarifauseinandersetzung sind. Es existiert keine Gesprächsgrundlage mehr.
Das heißt, es geht nur vordergründig um das Gehalt? Ja. Es geht vor allem um den geplanten Umbau des Konzerns. Ein großer Teil des Europaverkehrs soll auf die neu-geschaffene Eurowings-Gruppe übertragen werden, die sich im Markt gegen Wettbewerber wir Easyjet und Ryanair behaupten soll. Dieses Vorhaben ist eine der größten Baustellen im Lufthansa-Konzern – unwahrscheinlich komplex und kostenintensiv. Der Faktor Pilotengehälter fällt da nur unwesentlich ins Gewicht.
Tarifrechtlich ist das allerdings problematisch … Genau. Das ist ja auch der Grund, weshalb die Lufthansa im Herbst vergangenen Jahres gegen den Ausstand der Piloten geklagt und vom hessischen Landesarbeitsgericht letztlich Recht bekommen hat. Die Piloten mussten den laufenden Streik damals abbrechen. Juristisch mag das korrekt sein, doch hat die Auseinandersetzung vor Gericht verbrannte Erde hinterlassen.
Gibt es angesichts der verfahrenen Situation überhaupt noch Alternativen außer der, einen Schlichter einzusetzen? Beim Tarifkonflikt mit der Flugbegleitergewerkschaft Ufo hat das auch zum Erfolg geführt … Wenn der Schlichter in der Lage ist, die Vertrauensbasis wiederherzustellen, könnte das ein Ausweg sein. Allerdings wurde bei den Piloten über die Länge der Verhandlungen mehr Porzellan zerschlagen als in der Kabine.
Wie groß ist der Rückhalt der Vereinigung Cockpit bei ihren Mitgliedern, den Piloten? Es gab im laufenden Tarifkonflikt eine kritische Situation als die VC nicht mehr die Mehrheit der Piloten hinter sich hatte. Doch das Verhalten der Lufthansa in den vergangenen Monaten hat dafür gesorgt, dass der Rückhalt jetzt wieder deutlich größer ist. Da schwingt natürlich auch die tiefe Enttäuschung vieler Piloten über Lufthansa-CEO Carsten Spohr mit, der als einer von ihnen mit einem hohen Vertrauensvorschuss angetreten ist und diesen nicht hat einlösen können. Viele Lufthansa-Piloten haben das Gefühl, nur noch als Kostenfaktor wahrgenommen zu werden.
Fehlt es dem Lufthansa-Management am nötigen Fingerspitzengefühl? Das kann man so sagen. Es gibt ja Beispiele die zeigen, dass es anders geht. Sehen Sie sich die Tarifauseinandersetzungen bei Condor an. Dessen Chef, Ralf Teckentrup, hat mit den Mitarbeitern konstruktiv gesprochen und dadurch eine Einigung erzielt. Das zeigt, es funktioniert. Gerade bei der Lufthansa liegt in solchen Fragen immer auch viel Symbolik. Und die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Piloten in kritischen Situationen wie nach den Terroranschlägen von New York durchaus ihren Beitrag leisten. Letztendlich macht aber der Ton die Musik.
Die Bevölkerung hat kaum noch Verständnis für die Piloten. Was muss passieren, dass die Gesellschaft durch Splittergewerkschaften wie die VC nicht ständig in Geiselhaft genommen wird? Zunächst einmal: Dienstleister, wie es die Lufthansa nun einmal ist, nehmen in Tarifauseinandersetzungen automatisch Kunden und damit die Gesellschaft in Geiselhaft. Was die Piloten angeht: Die wissen durchaus, dass der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet. Allerdings scheint vielen das eigene Image inzwischen auch nicht mehr so wichtig zu sein. In diesem Zusammenhang muss sich das Lufthansa-Management die Frage gefallen lassen, warum sie das nicht genutzt hat und sich weiterhin so ungeschickt verhält. Schließlich kann dem Konzern nicht an einem schlechten Image der Piloten gelegen sein.
Die Lufthansa kommt innereuropäisch durch Billigflieger wie Ryanair, international durch staatlich subventionierte Airlines aus dem Nahen Osten unter Druck. Hat das Unternehmen die Substanz, langfristig zu bestehen? Es gibt Möglichkeiten für die etablierten Airlines, Billigfliegern Paroli zu bieten. British Airways hat das mit seiner Tochter Vueling gezeigt. Hätte die Lufthansa Germanwings konsequent auf niedrige Kosten getrimmt, wäre auch sie in der Lage, mitzuhalten. Das hat man aber versäumt. Und was die arabischen Airlines angeht: Ja, viele sind subventioniert. Doch das war die Lufthansa als ehemaliger Staats-Carrier auch. Deshalb wäre ich vorsichtig, die Araber an den Pranger zu stellen. Das eigentliche Problem ist nicht die Konkurrenz sondern die eigene Komplexität, das Nebeneinander von Kurz- und Langstrecken, von verschiedenen Luftfahrtdrehkreuzen. Im Vergleich dazu sind die Pilotengehälter vernachlässigbar.