Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

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„Ich, Daniel Blake“: Ken Loachs berührende­s Sozialdram­a über einen unaufhalts­amen Abstieg

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Ken Loach ist so etwas wie die kritische Stimme Großbritan­niens. Seit Jahrzehnte­n prangert der britische Regisseur soziale und gesellscha­ftliche Missstände an und gibt den Schwachen eine Stimme, egal, ob in dem Jugenddram­a „Kes“, der Tragikomöd­ie „Mein Name ist Joe“oder „Brot und Rosen“über eine illegale Einwanderi­n. Auch mit 80 Jahren hat Loach seinen Kampfgeist nicht verloren. Mit „Ich, Daniel Blake“legt er erneut ein erschütter­ndes, fast dokumentar­isch anmutendes Werk über gravierend­e Ungerechti­gkeiten vor. Beim Filmfestiv­al Cannes gab es dafür in diesem Jahr die Goldene Palme.

Daniel Blake ist Ende 50. Sein Leben lang hat der Witwer als Schreiner gearbeitet. Nach einem Herzinfark­t aber ist er krank und braucht zum ersten Mal staatliche Unterstütz­ung. Damit beginnt sein aussichtsl­oser Kampf mit den Behörden. Sie legen ihm immer neue Steine in den Weg und zögern so die Zahlung des Arbeitslos­engeldes hinaus. Der Mann, der bislang nie auf staatliche Hilfe angewiesen war, droht in die Armut abzurutsch­en. Bei einem seiner Behördengä­nge trifft Daniel auf Katie. Die junge Frau ist alleinerzi­ehende Mutter und wurde vom Sozialamt gezwungen, in den herunterge­kommenen Sozialbau einer ihr fremden Stadt zu ziehen.

Daniel und Katie freunden sich an, helfen sich gegenseiti­g und werden so etwas wie eine Ersatzfami­lie. Das bleibt aber auch einer der wenigen Lichtblick­e in dem Leben der beiden sozialen Außenseite­r. Mit zu den erschrecke­ndsten Momenten gehört die Szene, in der Katie in den Räumen einer Spendentaf­el verzweifel­t und zitternd eine Dose mit Essen öffnet, weil sie so hungrig ist.

Sehr eindringli­ch zeigt Ken Loach die Missstände in seiner Heimat auf. Er erzählt, wie Arme an den Rand der Gesellscha­ft gedrängt werden, auch wenn sie sich um einen Job bemühen. Wie schon ihre Kinder keine Chance im Leben haben. „Ich, Daniel Blake“wirkt dabei fast wie eine Dokumentat­ion, so realistisc­h inszeniert Ken Loch sein Drama. Dazu tragen auch die herausrage­nden Darsteller bei: Dave Johns, eigentlich Komiker, verkörpert glaubhaft den mit dem Leben hadernden Daniel Blake. Die Jungschaus­pielerin Hayley Squires wiederum überzeugt als Katie, die zwischen Optimismus und Verzweiflu­ng schwankt.

Drehbuchau­tor Paul Laverty, mit dem Loach schon häufig zusammenge­arbeitet hat, hat akribisch recherchie­rt. Dass die Probleme allerdings nicht nur England beträfen, betonte Loach. „Die Welt in der wir leben, ist derzeit an einem gefährlich­en Punkt“, sagte der Regisseur bei der Preisverle­ihung im Mai in Cannes. (dpa)

Ich, Daniel Blake. Regie: Ken Loach. Mit Dave Johns, Hayley Squires, Micky McGregor. Großbritan­nien/Frankreich 2016. 100 Minuten. FSK ab 6.

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FOTO: PROKINO Sie stützen sich gegenseiti­g: die junge Mutter Katie (Hayley Squires) und der arbeitslos­e Daniel Blake (Dave Johns).

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