Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Possen des Theaters
Mit dem „Raub der Sabinerinnen“lockert Sebastian Hartmann die Lachmuskeln
STUTTGART - Schmierentheater mit allen Schmiermitteln, das ist „Der Raub der Sabinerinnen“der Gebrüder Schönthan. Sebastian Hartmann hat den Kitschklassiker als Theaterposse mit tragischen Untertönen am Staatstheater Stuttgart inszeniert. Die Stuttgarter können das vertragen in Zeiten, da ihnen gerade der aktuelle Schauspielchef abhandenkommt. Wie berichtet, löst Armin Petras seinen Vertrag zum Ende der nächsten Spielzeit.
Theaterdirektor Striese Eine gewöhnliche Klippklapp-Komödie ist der Theatertext aus dem Jahr 1883 nicht. Wer den „Raub der Sabinerinnen“inszeniert, beschäftigt sich immer auch mit dem Theater selbst und einem Theaterdirektor Striese, der zum Inbegriff des eitlen Bühnenkünstlers wurde. So ein Striese ist anstrengend, brennt aber auch für die Schauspielkunst und kämpft in jeder Stadt, in die er mit seiner Wandertruppe einfällt, um den letzten zahlenden Zuschauer. Theater ist sein Leben, ob sein Verständnis der Bühnenkunst heutigen Ansprüchen genügen würde, ist mehr als fraglich. Und dann ist da plötzlich dieser Gymnasialprofessor Gollwitz, der in jüngeren Jahren ein dramatisches Werk auf dem Hintergrund des römischen Mythos vom Raub der Sabinerinnen geschrieben hat. Striese will das Stück zur Uraufführung bringen, und der Professor, auch so ein eitler Pfau, willigt ein. Aber: Die gestrenge Gattin, ohgottohgott, darf auf keinen Fall Wind davon bekommen.
Die Premiere gab es einige Tage, nachdem der Stuttgarter Theaterdirektor Armin Petras verkündet hatte, er werde seinen von vor kurzem bis 2021 verlängerten Vertrag 2018 vorzeitig beenden. Aus familiären Gründen! Man ging ins Theater und dachte: Einen besseren Zeitpunkt für einen Schwank über die komischen Abgründe des Theatergewerbes gibt es kaum, war es in den Wochen davor doch um all die unerfüllten Wünsche und Träume gegangen, die das Stuttgarter Publikum sowie Teile der ortsansässigen Presse mit dem umtriebigen Theatermacher verknüpft hatten. Ein viel reisender Preuße war vor drei Jahren im Land der Kehrwoche angekommen, wurde zuerst euphorisch begrüßt, dann aber immer mehr infrage gestellt. Dass es jetzt auf der Bühne eine Theaterposse mit zuckersüßem Kitschanteil gab, wirkte wie ein komischer Kommentar.
Das können Theatermenschen: In der vermeintlich größten Depression die Lachmuskeln des Publikums lockern.
Jenseits des Schwanks Regisseur Sebastian Hartmann forciert das, indem er die Figuren des Schwanks persiflierend überzeichnet. Holger Stockhaus brilliert als schmalzlockiger Striese, die Frauen des Professoren-Haushalts erscheinen als schrilles Typentrio. Abak Safaei-Rad ist eine Gattin, die nicht nur ihren Mann, sondern auch die beiden Töchter so abgerichtet hat: Jede Geste transportiert den stillen Vorwurf der leidgeprüften Frau: „Ich habe alles für euch geopfert, jetzt habt ihr euch mir zu opfern.“
Birgit Unterweger macht aus der älteren Professorentochter eine jung Verheiratete, die von der Mutter gelernt hat, wie man mit Männern Katz und Maus spielt. Ihr Instrumentarium: die Eifersuchtsattacke und mondäne Leidpose. Sandra Gerling stattet die jüngere Tochter mit den jähen Stimmungswechseln eines hyperbegabten Kückens aus, und Manja Kuhl darf als Dienstmädchen die Kulissenschieberin des Abends geben.
Hartmann ist auch der Bühnenbildner des Abends und lässt weitgehend auf der schmalen Vorbühne vor einem geschlossenen Theatervorhang spielen. Hinter dem Vorhang, so darf man vermuten, ist die Bühne, auf der die „Jugendsünde“des Professors gespielt werden soll. Vor dem Vorhang spielt Hartmann sowohl mit den Exaltiertheiten des Theaterbetriebs als auch mit gängigen Theatermoden. Peter Rene Lüdicke etwas ist ein Zappel-Professor, der immer wieder die gleichen Angstanfälle in Erwartung der herrschsüchtigen Gattin zum Besten gibt. Die Zuschauer dürfen in den Wiederholungsschleifen eines postmodernen l’art pour l’art zappeln, in diesem Fall macht das Zappeln Laune.
Das Endspiel Am Ende scheint die Inszenierung dann aber doch auszuufern. Plötzlich verstummen die Schauspielerinnen und Schauspieler und starren minutenlang ins Publikum. Dann versucht Holger Stockhaus stockend der Not des Schauspielers Ausdruck zu verleihen. Da hat er nun sein Bestes gegeben, zweifelt aber heftig, ob das Beste gut genug war.
Man denkt, schon wieder eine jener überflüssigen Selbstbespiegelungen des Theaters, die man derzeit so häufig sieht. Plötzlich aber transportieren Bühnenarbeiter die Akteure wie Schaufensterpuppen in die Requisite, und dann hebt sich der pompöse Theatervorhang doch noch. Man blickt auf die große Stuttgarter Bühne. Sie ist bis auf ein Wasserbecken und drei römische Säulen leer, wird zunehmend aber von den Schwank-Darstellern bevölkert. Sie sind jetzt Standbilder eines antiken Sabinerinnen-Szenariums und man ist umso mehr beeindruckt, als sich dann auch noch die drei Säulen über den Häuptern der Darsteller bedrohlich neigen. Aus dem Schwank scheint ein dramatisches Endspiel mit Blick auf das vorzeitige Ende der Petras-Intendanz zu werden. Dann aber knickt die Spitze der mittleren Säule ab und hängt nach unten. Ein schöner Slapstick, den der Zuschauer je nach Laune interpretieren kann: Wird mir da zugezwinkert, zeigt jemand mir die lange Nase oder ist das ein Bild der Trauer, begleitet von der grandiosen Hanna Plaß und Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhandengekommen“.
Weitere Vorstellungen am 26.11., 9., 12., 20., 30. Dezember. Kartentelefon (0711) 20 20 90. www.schauspiel-stuttgart.de