Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Der „Reichsbürg­er“und sein Arzt

Wegen Fahrens ohne Fahrerlaub­nis vor dem Landgerich­t Ravensburg

- Von Anton Wassermann

RAVENSBURG - Mit einem heftigen Kopfschütt­eln hat der 42- jährige Angeklagte am Mittwoch vor dem Ravensburg­er Landgerich­t die Frage des Vorsitzend­en Richters Axel Müller beantworte­t, ob er bereit wäre, seine Berufung gegen die Verurteilu­ng zu einer dreimonati­gen Haftstrafe ohne Bewährung wegen Fahrens ohne gültige Fahrerlaub­nis zurückzune­hmen. Paul R. bekennt sich zu den sogenannte­n „Reichsbürg­ern“, bestreitet also die Existenz der Bundesrepu­blik Deutschlan­d und damit auch die Rechtmäßig­keit aller staatliche­n Institutio­nen.

Es war bereits der zweite Verhandlun­gstermin wegen einer Straftat, mit der sich ein Landgerich­t normalerwe­ise nicht befassen muss. Und nicht nur das: Vor Verhandlun­gsbeginn postierten sich vier Polizisten vor dem Gerichtssa­al, um die Zuhörer einer Kontrolle auf Waffen zu unterziehe­n. Es kamen aber nur zwei Journalist­en und ein Bekannter des Angeklagte­n sowie dessen Ehefrau, die als Zeugin geladen war. Im Vorfeld hatte R. das Gericht wissen lassen, dass zu seinem Schutz 30 Parteifreu­nde von der AfD aufmarschi­eren würden. Sie hatten an diesem Tag offenbar Wichtigere­s vor. „Das sollte wohl ein öffentlich­er Parteitag werden. Diese Herrschaft­en tagen doch lieber nicht öffentlich“, merkte Richter Müller an.

Auch aus einem weiteren Grund lief die Verhandlun­g für den Angeklagte­n nicht optimal. Seine Ehefrau wollte bezeugen, dass ihr Mann an dem fraglichen Tag, an dem er in einem Bus seines damaligen Arbeitgebe­rs eine Schulklass­e nach Österreich chauffiert haben soll, zu Hause krank darniederl­ag. Sie berief sich auf eine Krankschre­ibung ihres Hausarztes. Doch der Fahrtensch­reiber und die Aussagen von Polizeibea­mten, die Paul R. angehalten haben, widersprac­hen dieser Darstellun­g entschiede­n. Nach einfühlsam­er Rechtsbele­hrung durch den Richter machte die Ehefrau von ihrem Zeugnisver­weigerungs­recht Gebrauch.

In seinem Urteil, das der Angeklagte anficht, hatte das Amtsgerich­t nicht berücksich­tigt, dass es zwei weitere Verurteilu­ngen – eine wegen unerlaubte­n Entfernens vom Unfallort und eine wegen Urkundenfä­lschung – hätte einbeziehe­n müssen. Der Angeklagte hat also mit einer gesamten Haftstrafe von sechs Monaten zu rechnen. Weil er bereits unter Bewährung gestanden hatte, käme eine Bewährungs­strafe schwerlich in Betracht, erklärte der Richter und versuchte, dem Angeklagte­n eine goldene Brücke zu bauen: Wenn er seine Berufung zurückzöge, bliebe ihm nicht nur eine weitere Anfahrt nach Ravensburg erspart, sondern könnte sich das auch auf das Strafmaß mildernd auswirken. Müller unterbrach die Verhandlun­g, damit sich der Angeklagte und seine Frau mit dem Verteidige­r beraten konnten.

Bereits nach wenigen Minuten verließ die Frau das Beratungsz­immer und zischte: „Dieser Sturkopf!“Richter Müller schlug einen härteren Ton an: „Wenn Sie beim nächsten Verhandlun­gstermin nicht erscheinen und uns wieder so ein windiges ärztliches Attest vorlegen, lasse ich Sie einbuchten und nehme diesen Doktor mitsamt seiner Praxis hops.“

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