Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der „Reichsbürger“und sein Arzt
Wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vor dem Landgericht Ravensburg
RAVENSBURG - Mit einem heftigen Kopfschütteln hat der 42- jährige Angeklagte am Mittwoch vor dem Ravensburger Landgericht die Frage des Vorsitzenden Richters Axel Müller beantwortet, ob er bereit wäre, seine Berufung gegen die Verurteilung zu einer dreimonatigen Haftstrafe ohne Bewährung wegen Fahrens ohne gültige Fahrerlaubnis zurückzunehmen. Paul R. bekennt sich zu den sogenannten „Reichsbürgern“, bestreitet also die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und damit auch die Rechtmäßigkeit aller staatlichen Institutionen.
Es war bereits der zweite Verhandlungstermin wegen einer Straftat, mit der sich ein Landgericht normalerweise nicht befassen muss. Und nicht nur das: Vor Verhandlungsbeginn postierten sich vier Polizisten vor dem Gerichtssaal, um die Zuhörer einer Kontrolle auf Waffen zu unterziehen. Es kamen aber nur zwei Journalisten und ein Bekannter des Angeklagten sowie dessen Ehefrau, die als Zeugin geladen war. Im Vorfeld hatte R. das Gericht wissen lassen, dass zu seinem Schutz 30 Parteifreunde von der AfD aufmarschieren würden. Sie hatten an diesem Tag offenbar Wichtigeres vor. „Das sollte wohl ein öffentlicher Parteitag werden. Diese Herrschaften tagen doch lieber nicht öffentlich“, merkte Richter Müller an.
Auch aus einem weiteren Grund lief die Verhandlung für den Angeklagten nicht optimal. Seine Ehefrau wollte bezeugen, dass ihr Mann an dem fraglichen Tag, an dem er in einem Bus seines damaligen Arbeitgebers eine Schulklasse nach Österreich chauffiert haben soll, zu Hause krank darniederlag. Sie berief sich auf eine Krankschreibung ihres Hausarztes. Doch der Fahrtenschreiber und die Aussagen von Polizeibeamten, die Paul R. angehalten haben, widersprachen dieser Darstellung entschieden. Nach einfühlsamer Rechtsbelehrung durch den Richter machte die Ehefrau von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch.
In seinem Urteil, das der Angeklagte anficht, hatte das Amtsgericht nicht berücksichtigt, dass es zwei weitere Verurteilungen – eine wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und eine wegen Urkundenfälschung – hätte einbeziehen müssen. Der Angeklagte hat also mit einer gesamten Haftstrafe von sechs Monaten zu rechnen. Weil er bereits unter Bewährung gestanden hatte, käme eine Bewährungsstrafe schwerlich in Betracht, erklärte der Richter und versuchte, dem Angeklagten eine goldene Brücke zu bauen: Wenn er seine Berufung zurückzöge, bliebe ihm nicht nur eine weitere Anfahrt nach Ravensburg erspart, sondern könnte sich das auch auf das Strafmaß mildernd auswirken. Müller unterbrach die Verhandlung, damit sich der Angeklagte und seine Frau mit dem Verteidiger beraten konnten.
Bereits nach wenigen Minuten verließ die Frau das Beratungszimmer und zischte: „Dieser Sturkopf!“Richter Müller schlug einen härteren Ton an: „Wenn Sie beim nächsten Verhandlungstermin nicht erscheinen und uns wieder so ein windiges ärztliches Attest vorlegen, lasse ich Sie einbuchten und nehme diesen Doktor mitsamt seiner Praxis hops.“