Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Ich habe das Recht, mich fremd zu fühlen“
Pater Devis hat ein Buch über sich als Migrant und Priester geschrieben und liest in Boos
KREIS RAVENSBURG - Acht Jahre lang war Pater Devis Don Wadin Pfarrer in Ebersbach-Musbach und Boos. Der aus Indonesien stammende Priester hat ein Buch geschrieben, in dem er auch über diese Zeit schreibt. Morgen liest er aus seinem Buch im Äbtissin-Anna-Saal in Boos. Vor der Veranstaltung sprach SZRedakteur Rudi Multer mit dem Steyler-Missionar über sein Buch, seine Erfahrungen als Priester und als Mensch in Oberschwaben und wie er als Fremder auf schwäbischem Terrain Fuß fassen konnte.
Mit Rainer Maria Kardinal Woelki, dem Erzbischof von Köln, schreibt ein bekannter Repräsentant der katholischen Kirche ein Vorwort zu Ihrem Buch. Wie haben Sie es geschafft, ihn dafür zu gewinnen? Ein Freund hat mir gesagt, ich soll es einfach mal versuchen. Deshalb habe ich einen Brief geschrieben und ihn nach Köln geschickt. Ich bin dankbar und war überrascht, dass er nicht irgendein Vorwort geschrieben hat, sondern persönliche Worte gefunden hat. Das zeigt mir, dass er sich Zeit genommen hat, das Buch zu lesen und sich damit auseinanderzusetzen.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie drei Träume im Sinn von großen Wünschen hatten. Der Wunsch, ein Buch über Ihr Leben zu schreiben, ist in Erfüllung gegangen. Verraten Sie uns auch die anderen zwei großen Träume für ihr Leben? Ich muss ehrlich sagen, dass mein Tagebuch beim Umzug von Blönried nach St. Augustin verloren gegangen ist. Ich war selber neugierig und
ANZEIGE wollte das nachlesen. Aber ich kann mich an die anderen beiden Träume nicht mehr erinnern. Der Traum, ein Buch zu schreiben, stand jedenfalls als größter Wunsch an erster Stelle.
Ihr Buch ist keine reine Autobiographie. Sie machen sich Ihre Gedanken über Gott und die Welt, stellen das in einen größeren Zusammenhang, auch in Zusammenhang mit dem Glauben. Wieso haben Sie sich für dieses Konzept entschieden? Ich wollte keine Autobiographie schreiben, sondern Texte, in denen ich mich selber wiederfinden kann. Ich beschreibe auch Situationen, in denen ich keinen Ausweg mehr sah. Da bin ich der Einzige, der mir selber Mut machen kann. Das Buch ist deshalb als eine Art innerer Dialog angelegt. Außerdem möchte ich auf die Leser zugehen. Ich weiß, dass die Leser nicht viel Zeit zum Lesen haben. Deshalb habe ich versucht, die Texte kurz zu halten.
An Ihrer Priesterweihe auf der Insel Sumba in Indonesien haben 50 Priester mitgefeiert, ein Zelt musste aufgestellt werden. In Deutschland schreiben Sie von halb leeren Kirchen, auch im katholisch geprägten Oberschwaben. Wie hat das auf Sie gewirkt? Am Anfang war es frustrierend, dass es anders ist als in meiner Heimat. Der Gottesdienst ist nicht mehr Ort der Begegnung. Es ist nur noch Ort der Eucharistie. Früher haben sich die Kirchgänger nach der Kirche getroffen, haben sich unterhalten. Heute gibt es andere Orte der Begegnung, bei der Fasnacht, beim Sportverein oder bei Festen. Mir ist klar geworden, dass ich diese neuen Orte der Begegnung mit den Menschen teilen muss, wenn ich sie erreichen möchte.
Was heißt das konkret? Hausbesuche waren für mich sehr wichtig, nicht nur zu Tauf- oder Brautgesprächen, sondern einfach, um mit den Menschen zu reden. In Indonesien besagt ein Sprichwort., solange du nicht in meiner Küche warst, bist du mir fremd. Der alltägliche Platz, die Küche, ist der Ort, an dem ich Menschen kennenlerne. Ich kann nicht warten, bis die Leute zu mir ins Pfarrhaus kommen. Da kommen wenige. Eine Messe zur Fastnacht zusammen mit den Narren war mir wichtig. Mir hat geholfen, dass ich selber gerne Fußball spiele. Da war ich sehr oft auf dem Fußballplatz in Blönried.
Ihr Buch hat den Untertitel „Als Migrant und Priester in Deutschland“. Fühlen Sie sich auch als Missionar in Deutschland? Ich bin Missionar und zugleich ein Fremder, der versucht hier seinen Platz zu finden und Fuß zu fassen. In einem fremden Land habe ich auch das Recht darauf, mich fremd zu fühlen.
Das „Recht“, sich fremd zu fühlen? Was heißt das? In der Regel ist Fremdsein doch unangenehm. Als ich 1996 nach Deutschland kam, war ich umgeben von meinen Landsleuten. Wir haben in der Muttersprache miteinander gesprochen. Ich habe mich wie zu Hause gefühlt. Wenn ich zu viel Heimat in der Fremde spüre, werde ich nie versuchen, auf die Menschen in dem fremden Land zuzugehen. Wenn ich mich aber fremd fühle, bin ich herausgefordert, die Sprache und die Kultur des mir fremden Landes zu verstehen.
Dann konnten Sie ein bisschen Deutsch und kamen ausgerechnet nach Oberschwaben. Wie fremd haben Sie sich inmitten von Menschen gefühlt, die Schwäbisch sprechen? Im Dezember 2000 habe ich in Eberhardzell ein Mundarttheater besucht. Ich saß mittendrin und habe nichts verstanden, und konnte nicht wie die anderen lachen vor Freude. Ich kam mir so fremd vor. Dort habe ich mir vorgenommen, mich anzustrengen, damit ich die Menschen und ihre Sprache verstehen kann. Ich war gefordert aus der Enge meiner Kultur herauszuspringen. Die Oberschwaben sind sehr stolz auf ihre Sprache, sie sind dort verwurzelt. Die Sprache ist ein wichtiges Mittel, um den Weg zu den Herzen der Menschen zu öffnen.
Auch am katholischen Gymnasium St. Johann in Blönried waren Ihre Erfahrungen zunächst nicht positiv. Sie fühlten sich zunächst wohl ziemlich genervt von der Lustlosigkeit der Schüler im Religionsunterricht. Wie hat sich das geändert? Die Kinder haben ja keine Schuld. Die religiöse Sozialisierung in den Familien hat nicht mehr stattgefunden. Das führt dazu, dass manche Kinder Angst haben, zu erzählen, dass sie Messdiener sind oder dass sie hinter der Kirche stehen.
Wie sollte sich das ändern? Eltern sollten ihre Kinder starkmachen, damit Sie zur Religion stehen können.
Wo ist für Sie Heimat? Heimat ist für mich kein geographischer Ort mehr. Heimat ist dort, wo Menschen sind, mit denen ich gerne zusammen bin. Es ist dort, wo ich mich angenommen fühle. Hier, in Deutschland, fühle ich mich angenommen. Meine Familie und meine Bekannten in Indonesien sind auch meine Heimat.
Zu einer Lesung und zu Gesprächen kommt Pater Devis Don Wadin morgen, Freitag, ab 19 Uhr in den Äbtissin-Anna-Saal in Boos, Gemeinde Ebersbach-Musbach. Der Eintritt ist frei.