Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gewachsene Dynamik
Deutschlands Skispringer gehen den Weltcup-Winter breit aufgestellt an – und mit dem Anspruch, um Siege zu springen
„Er weiß, wie man Medaillen gewinnt – und er hat eine irrsinnige Ruhe.“
Der Satz fiel eher beiläufig. Gut vier Wochen ist es her, die Sommersprünge waren Geschichte, die Lehrgänge in GarmischPartenkirchen und Oberstdorf mit vereistem Anlauf standen an. Wintersimulation, Ernstfall proben! „Wir haben“, sagte Werner Schuster, „’ne gewisse Auswahl an Athleten, deshalb bin ich zuversichtlich!“
Der Satz stimmt noch immer. Und: Er hat Namen. Zwei – die von Andreas Wank und Marinus Kraus. TeamOlympiasieger beide in Sotschi, 50 Prozent, wenn man so will, vom 2014er-Gold. In Kuusamo werden sie fehlen, wenn der Skisprung-Weltcup 2016/17 heute (18 Uhr/Eurosport) mit der Qualifikation von der Rukatunturi-Schanze beginnt. Zwei Wettkämpfe (Freitag, 17 Uhr/Eurosport; Samstag, 16 Uhr/ZDF, Eurosport) sind in Finnlands Nordosten angesetzt, sieben Sportler konnte der Bundestrainer nominieren. Werner Schuster hatte besagte „gewisse Auswahl“; so breit aufgestellt wie vielleicht noch nie in seinen jetzt achteinhalb Amtsjahren ist Deutschlands Weltcup-Team.
Für Severin Freund, Richard Freitag, Andreas Wellinger, Stephan Leyhe, Karl Geiger, Markus Eisenbichler und David Siegel entschied sich der 47-Jährige – eine „bemerkenswert junge Mannschaft“, wie Horst Hüttel, der Sportliche Leiter Skisprung im Deutschen Skiverband (DSV) anmerkt: Altersschnitt 24,2 Jahre, „ein Indiz für eine gewachsene Dynamik in unserem System“. Andreas Wank und Marinus Kraus müssen, dieser Dynamik geschuldet, ihre Saison im Continental Cup (COC) beginnen, dem Weltcup-Unterbau. In 14 Tagen, in Vikersund. Und sich empfehlen. So, wie es Markus Eisenbichler getan hat, der die COC-Sommerserie mit fünf Siegen dominiert und dem DSV dadurch einen zusätzlichen – eben den siebten – Weltcup-Startplatz gesichert hat. Der 25-jährige Siegsdorfer habe sich „gefangen“, sagt Werner Schuster. „Der könnte uns helfen.“
Dabei helfen, „dass wir uns gleich am Anfang positionieren“. Peter Prevc, der Winter-Dominator 2015/16 mit seiner „extremen Technik, mit seiner hohen Stabilität“, die „jungen, hungrigen Norweger“(auch wenn Kenneth Gangnes nach seinem dritten Kreuzbandriss ausfällt), dazu die Polen – allen voran Maciej Kot, auf Matte der „Mann der Stunde“–, schließlich die „zwei Österreicher, vielleicht eher noch Kraft als Hayböck“: An starker Konkurrenz nämlich fehlt es Werner Schusters Septett nicht. Der Bundestrainer: „Von mehreren Seiten wird hier richtig Druck kommen.“
Dagegenhalten, mithalten soll – natürlich – zuvorderst Severin Freund. Sieben Monate liegt dessen Hüftarthroskopie mittlerweile zurück. Aus Kuusamo hat der Gesamtweltcup-Zweite die Erwartungen am Dienstag etwas gedämpft („Es fehlt noch das Gefühl. Der Sprung ist momentan zu scharf“); Werner Schuster indes hofft auf die Kraft des Ortes: „Die Schanze mag er, da hat er viele Erfolge gefeiert. Wenn er sich gleich am Anfang wieder unter den ersten zehn wiederfindet, dann, glaub’ ich, gibt ihm das die notwendige Sicherheit.“Andernfalls? „Ist danach genug Zeit.“Bis zur Vierschanzentournee, bis zur WM Ende Februar in Lahti. Eines aber soll noch gesagt sein: „Im Endeffekt ist es ja fast ein kleines Märchen gewesen die letzten vier Jahre. Weil: Vier Jahre in Folge Top 4 im Gesamtweltcup – so ’ne Serie legen ganz wenige Sportler hin. Und es wird von Jahr zu Jahr kniffliger, diese Top-3-, Top-4-Positionen zu verteidigen.“
Einer, der durchaus in solche Regionen fliegen könnte, ist Andreas Wellinger. Zweiter war der 21-Jährige vom SC Ruhpolding in der SommerGrand-Prix-Hierarchie, Tagessieger zudem in Hinterzarten, „hohe Stabilität
Werner Schuster über Roar Ljøkelsøy, Skiflug-Weltmeister 2004 und 2006, diese Saison im DSV-Trainerteam
in seinem Sprung“hat Werner Schuster gesehen. Trotz (eher: wegen) des Skifirmenwechsels, sicher auch, weil die Förderung durch den Arbeitgeber Zoll andere Feinarbeit ermöglicht als schulische Verpflichtungen in früheren Jahren. Materialumstellung war auch bei Richard Freitag großes Sommerthema, mehr und mehr trugen die neuen Bretter den Sachsen zuletzt in alte Regionen. „Das wird!“Sagt Werner Schuster, um schließlich noch seinem Jüngsten ein Lob auszusprechen: „David Siegel macht sehr viel Spaß.“Der 20-jährige Baiersbronner, neuerdings Deutscher Meister, brauche „jetzt wirklich die Herausforderung Weltcup“.
Wie die bewältigt wird, was wann wo möglich ist – da diktiert der Blick zurück Werner Schusters Blick nach vorne: „Stetig gesteigert“hätten sich die Seinen von Winter zu Winter, „letztes Jahr konnten wir’s nicht ganz halten, waren aber nach wie vor sehr erfolgreich.“Also sei es „schon ein Anspruch, um Siege zu springen, bei den Großereignissen immer um Medaillen – und bei der Tournee Top 3“. Einen Sieg selbst, der Satz fiel eher beiläufig, „kann man nicht so planen“.