Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Europa im Blick, Russland im Rücken
Georgien hofft nach vielen schweren Jahren auf Touristen aus dem Westen und wirtschaftlichen Aufschwung
Berühmte Georgier waren Eduard Schewardnadse und Josef Stalin. Berühmte Frauen gibt es auch: die Sängerin Katie Melua und die Pianistin Khatia Buniatishvili. Kein Zufall, dass die beiden längst nicht mehr in ihrem Geburtsland leben. Auszuwandern schien lange Zeit für Künstler der einzig richtige Weg zu sein. Kein Wunder, denn das kleine Land am Schwarzen Meer blickt auf viele dunkle Jahre zurück. Der Kaukasus ist schon seit Jahrhunderten Kriegsgebiet. Besonders mit dem starken Nachbarn Russland im Norden hat es immer wieder Konflikte gegeben – der letzte ist gerade einmal acht Jahre her.
Noch sind die harten Repressionsjahre nach der Unabhängigkeitserklärung Georgiens 1991 überall zu sehen und zu spüren. „Fast zehn Jahre haben uns die Russen nicht nur das Gas abgedreht“, erzählt Tsotne, der Touristen durch sein Heimatland führt, „sondern auch unsere Lkw nicht mehr passieren lassen und unsere Lebensmittel nicht mehr abgenommen.“Heute ist Georgien immer noch arm. Die Straßen sind vielerorts ungeteert, die Häuser auf dem Land unverputzt, geschweige denn mit Farbe oder Dachziegeln versehen. In vielen Städten verunstalten „Chruschtschowhäuser“, sozialistische Plattenbauten, ganze Straßenzüge.
Fast ebenso stark zu spüren ist aber auch die ewige Präsenz Russlands und die lange Tradition der georgisch-russischen Beziehungen. Zum Beispiel an den russischen Touristen, die in die Spielcasinos nach Tiflis oder ins grenznahe Kazbegi kommen; an den KGB-Prachtbauten, in denen heute Hotels, Museen oder Verwaltungen untergebracht sind; im Stalinmuseum in Gori, in dem für Heldenverehrung, aber nicht für kritische Töne Platz ist. Tsotne sieht Georgiens Zukunft eher in der Annäherung an Europa, wohin auch die Regierung mit großem Nachdruck tendiert.
Georgien ist etwas Besonderes, hat Berge und die Schwarzmeerküste, 33 eigene Schriftzeichen und viermal in seiner Geschichte das Alphabet gewechselt. Es hat Kulturschätze von großer Bedeutung und lechzt nach Frieden, Aufschwung und ein bisschen Wohlstand. Gäste, sagt man hier, seien von Gott gesandt. Dort, wo Orient auf Okzident trifft, wo Europa an Asien grenzt, gibt es noch viel Gastfreundschaft und Ursprüngliches abseits des Pauschaltourismus.
Voller Stolz zeigt Tsotne das, was für ihn internationalen Standards genügt: Fünfsternehotels, das Casino und der Blick auf den mehr als 5000 Meter hohen Kazbegi sind ebenso dabei wie die Gergeti-Kirche, die auf 2200 Metern Höhe thront und die man nur per Allradtaxi erreichen kann. Taxifahrer Taddo ist wohl einer der wenigen Menschen, die von den schlechten Straßen profitieren.
Auf die Gipfel des Kaukasus In den letzten Jahren sind die Besucherzahlen gestiegen, vor allem seit es Direktflüge gibt. Zum Beispiel in dreieinhalb Stunden von Memmingen nach Kutaissi. Der Bus nach Tiflis braucht für die 150 Kilometer fast ebenso lange. Neben Russen kommen vor allem Israelis, auch Deutsche, Engländer und Türken. Sie reisen nach Georgien wegen der uralten Kirchen, Klöster und Burgen, die innen dunkel und mit kunstvollen Ikonen behängt sind. So manche Kirche stammt aus dem fünften oder sechsten Jahrhundert, fast alle gehören zum Unesco-Weltkulturerbe. Manche Touristen kommen auch wegen der Berge – allein fünf KaukasusGipfel sind höher als der Montblanc – zum Skifahren und Klettern, zum Wandern und Raften. Die Skipisten sind mit modernen Sesselliftanlagen bestückt, die Hotels haben „international standard“. Überfüllung ist auf den Pisten nicht zu befürchten, Wanderer werden nur vereinzelt auf Gleichgesinnte treffen.
Auch der Wein, der vor allem im Osten des Landes bestens gedeiht, weckt internationales Interesse. Er reift nach der altkaukasischen Methode – in versiegelten Tonkrügen unter der Erde mit Stielen, Haut und Kernen. Ein paar Prädikatsauszeichnungen gab es bereits. Weitere werden folgen. So mancher Produzent wagt sich sogar an Biowein.
Wer im Bus übers Land fährt oder sich einen Chauffeur samt Wagen mietet – vom Selberfahren ist wegen der unkonventionellen Überholmethoden der Einheimischen abzuraten! – wird früher oder später in der Hauptstadt landen. Ein Drittel der Georgier lebt hier, in Tiflis oder Tbilissi, dem „Ort mit den heißen Quellen“, wie die Georgier sagen. Vor allem ist es ein Ort der verstopften Straßen. Daran ist die Liebe der Georgier zum Automobil schuld, dem Statussymbol schlechthin. „Wer Rad fährt, kann sich kein Auto leisten“, erklärt Tsotne. Deshalb radeln nur Touristen – wie Hamid, der aus dem Iran stammt, schon 2000 Kilometer hinter sich hat und hier als Exot bestaunt wird. Das öffentliche Busnetz wird erst langsam aufgebaut und die beiden Linien der U-Bahn haben laut Tsotne „no international standard“.
Armut und Reichtum In Tiflis trifft alt auf modern, und die Hoffnung auf Europa auf das größte Hindernis, nämlich die Armut. Frisch renovierte Straßenzüge liegen nur zehn Meter neben verfallenen, und edle Modeboutiquen grenzen an Geschäfte, in denen Waschmittel und Reis löffelweise verkauft werden. Im Goldmarkt im Untergeschoss des Bahnhofs wird an hundert Tischen das wertvolle Edelmetall gehandelt, in den Straßen darüber werden Tomaten und Zwiebeln einzeln verkauft. Privatzimmer sind für 15 Euro die Nacht und Nobelhotels für 180 zu haben.
Kulinarisch hat das immer noch landwirtschaftlich geprägte Georgien einiges zu bieten. Wer im Restaurant oder privat in den Genuss einer „supra“kommt – einer typisch georgischen Tafel–, kann sich an diversen Spezialitäten satt essen. Dazu gehören viel Fleisch und Gemüse, aber auch Käse, Spinat und Salat. Oder Chinkali (mit Fleisch gefüllte Teigtaschen), Satsiwi (in Walnusssoße und Knoblauch eingelegtes Huhn) und Auberginen mit Walnusspaste. All das gibt’s natürlich mit viel Wein, den obligatorischen Trinksprüchen eines Tamadas, eines Trinkspruchmeisters, und einem Chacha am Ende, einem grappaähnlichen Schnaps.
Jede Gegend hat ihre Spezialitäten und wer mit dem Auto die Nationalstraßen entlang fährt, bekommt hier Nuzuki, ein süßes Brot, dort Honig oder woanders Churchkhela, eine Leckerei aus Nüssen und hartem Traubensaftgelee, angeboten. Und natürlich Pilze, Maronen, Granatäpfel und alles, was ein Garten so hergibt. Nicht selten sitzt ein gebeugtes Mütterchen hinter einem Eimer Tomaten, auf dem noch drei Zitronen liegen. Der Boden in Georgien ist fruchtbar, das Klima ideal, auch für Nüsse. Ferrero hat ganze Plantagen unter Vertrag. „Und Oliven“, weiß Tsotne, „hätten hier ebenfalls beste Bedingungen.“Irgendeiner wird vielleicht bald ein Geschäft damit wagen. Dem gebeutelten Land wären solche Erfolgsgeschichten zu gönnen.
Die Fluglinie Wizz Air fliegt vom Allgäu Airport Memmingen zweimal wöchentlich nach Kutaissi, der zweitgrößten Stadt Georgiens. Weitere Informationen zu Reisen nach Georgien gibt es auf der englischsprachigen Internetseite www.gnta.ge Die Recherche wurde unterstützt von Wizz Air und der nationalen Tourismusbehörde.