Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Hier entsteht die Welt
Bei Columbus wird der Globus noch von Hand geklebt – seit über hundert Jahren
RAVENSBURG - Für 30 Euro von Deutschland nach Hawaii und von New York in die Südsee, ohne Ticket, schwere Koffer und lästige Wartezeiten. Schön wär‘s! Mit dem Einsteiger-Globus der Firma Columbus geht das ganz einfach – in Gedanken und mit dem Finger auf dem nachgebauten Erdball. „Die wahren Abenteuer finden im Kopf statt“, sagt Columbus-Chef Torsten Oestergaard. In seinem Ausstellungsraum ist er umgeben von Globen, großen und kleinen, beleuchteten, solchen mit reliefartigen Kartenbildern, dunkel eingefärbten Meeren, in knalligem Orange oder mit glitzernden Swarowski-Steinen.
Oestergaard ist der „Herr der Welten“, die hier im oberschwäbischen Krauchenwies bei Sigmaringen entstehen, mehrere Hundert am Tag, statt nur eine an sieben Tagen. Der Globus ist ja auch nur ein Abbild der Erde, so echt jedoch, so nah an der Wirklichkeit, dass er etwas Magisches hat. Auf diese Magie setzt Oestergaard: „Ein Globus im Wohnzimmer ist ein Magnet. Wenn Freunde zu Besuch kommen, steuern sie immer zuerst die Weltkugel an und man kommt ins Gespräch über die letzte Reise, oder die, die man gerne einmal machen würde.“
Das ist nur eines der Erfolgsgeheimnisse, mit denen Oestergaard den Globus am Leben erhält, auch im Zeitalter des Internets. Den entscheidenden Sprung in die digitale Welt schaffte er vor fünf Jahren mit dem sprechenden Globus, der mittels Audiostift das Weltgeschehen erklärt. Mit dem Stift auf dem Erdball wird die gedankliche Weltreise um viele Informationen und Bilder bereichert. Zu jedem Land gibt es ein Video, das der auf diese Weise Reisende auf seinem Tablett, Smartphone oder Fernseher abspielen kann. Für iPhone und iPad hat Columbus außerdem eine App entwickelt, mit der jede gewünschte Weltregion in den Fokus rückt. Dabei geht es nicht nur um Kulissen für die Traumreise, der digitale Globus ist ein wahrer Fundus an Informationen.
„Auch in der digitalen Welt hat der Globus seinen festen Platz“, postuliert der Columbus-Chef selbstbewusst. Jede zweidimensionale Darstellung sei verzerrt, weil das Rund der Erde auf einer flachen Ebene nicht originalgetreu dargestellt werden kann, betont er und zeigt auf Columbus-Chef Torsten Oestergaard
Grönland, das auf der Weltkarte eine ganz andere Form hat als auf dem Globus. Auch vor Google Earth, der Weltkugel auf dem Bildschirm, ist ihm nicht bang. „Bei Google Earth muss man vorher wissen, was man sucht, mit dem Globus kann man entdecken.“Wer den globalen Überblick behalten wolle, brauche den Globus. Ein Beispiel: „Mit einem Blick auf den Erdball erfassen Sie die Lage der Krim im Schwarzen Meer. Damit wird klar, warum die Halbinsel für Russland so wichtig ist“.
Letztlich schlage der Globus schon optisch alle anderen Darstellungen, und Oestergaard lässt das Antlitz der nachgebauten Welten laufend verschönern. In seiner Manufaktur im beschaulichen Krauchenwies werden Globen noch heute von Hand beklebt, kaschiert heißt das in der Fachsprache, so wie vor hundert Jahren, als sein Urgroßvater das Unternehmen in Berlin gründete. Stefanie Pudelka beklebt gerade eine Kugel aus Acrylglas mit zwölf zuvor zugeschnittenen Streifen der Weltkarte, Millimeterarbeit, Frauenarbeit: „Sie haben das bessere Fingerspitzengefühl“, erklärt der Chef die weibliche Besetzung in der Werkstatt. Jede baut hier ihre eigene Welt, Stück für Stück. Im Schnitt dauert es eine Stunde, bis ein etwa 40 Zentimeter großer Erdball fertig ist. Danach wird die Oberfläche poliert und lackiert, nach dem Trocknen mit einem Fuss aus Metall, Edelstahl oder auch Mahagoni und einer Beleuchtung versehen und schließlich verpackt. Los geht’s auf die Reise. Für rund drei Viertel der Globen endet diese an den deutschsprachigen Grenzen. Der kleinere Teil geht nach Frankreich, Skandinavien oder in die USA.
45 Mitarbeiter beschäftigt Columbus. Ihre Arbeitszeit organisieren sie weitgehend selbst. Wenn ein Kind krank wird oder zum Turnen gefahren werden muss, kommt die Mutter eben später oder geht früher. Denn Ostergaard ist überzeugt: „Nur glückliche Mitarbeiter machen gute Produkte.“Gerade kommt eine junge Frau mit einem kleinen Jungen vorbei und holt ein paar Rohlinge, die sie zu Hause beklebt.
Columbus ist einer von weltweit noch einem halben Dutzend GlobusProduzenten. „Der älteste noch von Hand produzierende“, betont Oestergaard. Billige Massenware kommt häufig aus China. Doch das lässt Oestergaard kalt: „Bei Qualität, Innovation und Optik sind wir führend. Mein Ehrgeiz ist es nicht, möglichst viele Globen zu machen, sondern die besten.“
Zwischen 50 000 und 100 000 Erdbälle werden im Jahr bei Columbus gebaut, Tendenz steigend. Die einfachen Modelle werden an der Maschine zu einem Halbrund gezogen und danach verklebt. Die edlen Globen mit einem Inneren aus Acryloder aus mundgeblasenem Kristallglas und Spannweiten bis zu einem Meter sind auch bei einem Preis von mehreren Tausend Euro gefragt und ein beliebtes Accessoire in edel möblierten Wohnzimmern. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat einen der Klassiker in ihrem Büro, der auf einer Nußbaum-Gabel ruht.
Krise nach Fall der Mauer Bei aller Idylle könnte man fast vergessen, wie hart der mittelständische Traditionsbetrieb für seinen Erfolg kämpfen musste. Nach der Zerstörung der Produktion in Berlin, siedelte der Verlag in die Region Stuttgart um. Die größte Krise erlebte Columbus jedoch nach dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung Deutschlands. Niemand wollte mehr einen Globus kaufen, auf dem die DDR und die Sowjetunion eingezeichnet waren. Die Händler stornierten ihre Aufträge, schickten Globen zurück, Tausende der Erdkugeln wurden eingestampft, eine ganze Jahresproduktion landete auf dem Müll. Auch in den Jahren danach wurde die Produktion immer wieder von der Geschichte überholt: Die Sowjetunion zersplitterte, die CSSR zerfiel in Tschechien und die Slowakei und mit dem Balkankrieg verschwand Jugoslawien von der Landkarte. Oestergaards Vater Peter wollte aufgeben. Sohn Torsten, gelernter Hotelfachmann, war damals Serviceleiter beim baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel. Doch er entschied sich dafür, die Welt zu retten, zog 1994 vom teuren Standort bei Stuttgart nach Oberschwaben und begann mit gerade noch sechs Mitarbeitern von Neuem.
Das Weltgeschehen beruhigte sich, Oestergaard ließ die Kartendaten digitalisieren, erfand den Kinderglobus und etablierte neben der Handarbeit die Maschinenfertigung. Vorangetrieben hat er seine Firma mit solchen Innovationen und mit beeindruckenden Inszenierungen, etwa mit einem Modell, das innerhalb eines Magnetfeldes frei schwebt oder mit Großgloben, die bis zu zwei Meter messen oder mit SwarowskiSteinen, die seine Frau Kerstin in liebevoller Handarbeit einsetzt.
„Bei Google Earth muss man vorher wissen, was man sucht, mit dem Globus kann man entdecken.“ „Mit einem Blick auf den Erdball erfassen Sie die Lage der Krim im Schwarzen Meer. Damit wird klar, warum die Halbinsel für Russland so wichtig ist.“
Torsten Oestergaard
Doch die Welt verändert sich laufend, wenn auch nicht mehr so schnell und radikal. Die digitalen Daten hat Sohn Niklas Oestergaard (21) im Griff, jede kleine Veränderung setzt er sofort um, etwa wenn der höchste Berg Nordamerikas, der „Mount McKinley“in Alaska, von US-Präsident Obama wieder in das ursprüngliche „Denali“umbenannt wird, wenn der Aral-See immer mehr schrumpft oder wenn Städte neue Namen bekommen. Niklas, der die fünfte Generation im Unternehmen vertritt, nimmt jedes Detail auf, aktualisiert laufend das Kartenbild. Datenbanken dafür liefern etwa das Auswärtige Amt oder auch der amerikanische CIA.
Auf Bestellung gibt es bei Columbus fast alles. Etwa ein Globus mit schwarz eingefärbten Meeren, auf dem man sich die eigenen Reiseziele mit einem Swarowski markieren lassen kann oder die persönlichen Erinnerungen, vielleicht den Wohnort eines geliebten Menschen.
Und auch an grauen Wintertagen kann man von Oberschwaben nach Hawaii reisen – in Gedanken. Denn die wahren Abenteuer finden im Kopf statt.