Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein Gesetzentwurf mit Lücken
Die Umsetzung einer EU-Richtlinie zu mehr Transparenz in der Unternehmenskultur ist umstritten
BERLIN - Umsatz und Gewinn bestimmen längst nicht mehr allein den Wert von Unternehmen. Mussten Kinder in der Fabrik arbeiten? Unterstützt die Firma korrupte Regime? Wie sehr belastet die Produktion die Umwelt? Investoren und Verbraucher fordern Antworten von der Wirtschaft auf diese Fragen. Per Gesetz will Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Unternehmen zu mehr Transparenz bei ihren Geschäften verpflichten. Gutachten von Umweltund Verbraucherschützern, aber auch von Wirtschaftsprüfern zeigen jedoch, dass der Entwurf etliche Lücken aufweist.
Hintergrund für die Vorlage ist eine EU-Richtlinie, die die Bundesregierung umsetzen muss. Ab dem Geschäftsjahr 2017 sollen die Unternehmen Berichte abliefern, in denen sie über sogenannte nichtfinanzielle Leistungen berichten. Im Dezember stimmt der Bundestag über den Entwurf ab.
Die Pflicht zur Berichterstattung betrifft bisher nur Unternehmen, die an der Börse notiert sind oder Anleihen ausgeben und Firmen, die mehr als 500 Mitarbeiter haben. Viele Familienunternehmen, aber auch Mittelständler müssen nicht berichten – obwohl sie Geschäfte in Ländern machen, die immer wieder in die Schlagzeilen geraten, weil Menschen bedroht und ausgebeutet werden oder Raubbau an der Umwelt begangen wird. Verbraucher- und Umweltschützer fordern eine deutliche Ausweitung des Firmenkreises.
Discounter nicht betroffen „Aldi, Würth, Lidl, Ferrero oder Dr. Oetker fallen alle nicht unter die Berichtspflicht, obwohl sie marktbeherrschende Unternehmen sind“, sagt Ingmar Streese vom Verbraucherzentrale-Bundesverband. „Sie haben großen Einfluss auf Menschenrechte in den Entwicklungsländern, auf Arbeitsrechte und die Ökologie.“Man könne nicht die Marktführer außen vor lassen, sagt Streese. Der Verbraucherschützer spricht sich deshalb dafür aus, alle Unternehmen zu verpflichten, die 250 Mitarbeiter und mehr haben. Zudem fordert er verständliche und lesbare Informationen von den Firmen und keine Imagebroschüren. Schließlich sollen die Verbraucher einen echten Mehrwert durch die Berichte haben.
Auf Kritik stößt in den Stellungnahmen der Experten vor allem eine Schutzklausel. Sie erlaubt es Firmen, auf die Berichterstattung zu verzichten, wenn sie – aus Unternehmenssicht – zum Nachteil für die Firma wird. Für Cornelia Heydenreich, Expertin für Unternehmensverantwortung bei Germanwatch, ist eine solche Ausnahmeregelung völlig unverständlich. „Firmen können sich ganz einfach vor der Berichterstattung drücken“, sagt Heydenreich.
Vor allem dann, wenn entlang der Produktions- und Lieferkette tatsächlich Verstöße gegen den Arbeitsschutz, Kinderarbeit oder Umweltskandale nachgewiesen werden. „Unternehmen könnten diese Schutzklausel in Anspruch nehmen, wenn sie erwartete Anforderungen nicht erfüllen“, sagt Klaus-Peter Naumann vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland. „Denn nur das könnte potenziell den Unternehmen schaden.“Der Effekt: Über positive Dinge wird berichtet, über negative nicht.
Grundsätzlich spricht sich der Wirtschaftsprüfer dafür aus „nichtfinanzielle Leistungsindikatoren und die Berichterstattung über finanzielle Leistungsindikatoren identisch zu behandeln“. Das bedeutet: Wie der Lagebericht müsste auch der Bericht über Öko-und Sozialstandards von einem externen Wirtschaftsprüfer abgesegnet werden. Das ist nicht vorgesehen. Allerdings macht auch Naumann klar, dass die Unternehmen einen hohen Aufwand mit den CSR-Berichten haben werden.
Mehr Bürokratie befürchtet 2014 wurde die EU-Richtlinie verabschiedet. Seitdem warnen Arbeitgeberverbände immer wieder davor, dass die Umsetzung in Deutschland noch mehr bürokratische Hürden aufbaue und die Kosten sprenge. Die Bundesregierung müsse den Firmen Flexibilität bei der Berichterstattung über ihre soziale Verantwortung einräumen. Weitere Auflagen soll es nicht geben, sondern lediglich eine 1:1-Umsetzung der EU-Richtlinie. „Die Umsetzung der Richtlinie sollte aber nicht dazu führen, dass das Thema „Nachhaltigkeit“verrechtlicht wird“, sagt Eckhard Knoch vom Verband der Chemischen Industrie. Aufwand und Nutzen sollten berücksichtigt werden. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Bis 6. Dezember muss das Gesetz auch in Deutschland verabschiedet sein.