Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Israel in Flammen
Eine der größten Feuerkatastrophen in der Geschichte des Landes – 75 000 Menschen mussten Häuser räumen
JERUSALEM - Große Feuer wüten seit Tagen in Israel. Zehntausende mussten ihre Häuser verlassen. Die Polizei ermittelt wegen Brandstiftung. Ministerpräsident Netanjahu spricht sogar von Terror. Doch viele Fragen sind offen.
Es waren dramatische Stunden, die die Bewohner von Beit Meir, einem Dorf in den bewaldeten Hügeln westlich von Jerusalem, in der Nacht zum Freitag verbrachten. Die Brände, die seit nunmehr drei Tagen in vielen Teilen Israels wüten, krochen immer näher an ihr Moschav, ihre Agrargenossenschaft, heran. Die Angst ging um, dass die Flammen die einzige Zufahrtstraße blockieren könnten. Die akute Gefahr, ein ganzes Dorf könnte in einer Feuerfalle eingeschlossen werden, vermochte der geballte Einsatz mit 25 Löschzügen gerade noch abwenden. Alle Bewohner wurden evakuiert, darunter mehrere Hundert Menschen, die im Gästehaus von Beit Meir untergebracht waren. Unter ihnen einige Leute, die dort Zuflucht vor der Feuerwalze im etwa 150 Kilometer entfernten Haifa gesucht hatten. „Ganz Israel brennt“, textete ein Bekannter in einer SMS an seine Freunde.
Ermittlungsgruppe eingerichtet Windböen aus wechselnden Richtungen, eine extreme Trockenheit – bislang gab es diesem Herbst so gut wie keinen Regen – haben dazu beigetragen, dass ein Funken reicht, um das dürre Gestrüpp zu entzünden. Vielerorts besteht auch Verdacht, dass Brandstifter mit am Werk waren (siehe nebenstehender Artikel). In zwölf Fällen, hieß es am Freitag, ermittele jetzt die Polizei. Unter den Festgenommenen sollen sich arabische Israelis oder auch Palästinenser aus dem Westjordanland befinden, die womöglich aus nationalistischen Motiven handelten. Israels Polizeichef Roni Alscheich hat eine Ermittlungsgruppe einberufen. Etwa die Hälfte der aufflackernden Brände ist laut Einschätzung von Experten aber auf Fahrlässigkeit in Kombination mit extremen Witterungsverhältnissen zurückzuführen.
Im Dorf Beit Meir brannten zehn Häuser nieder. In Haifa, der Hafenstadt im Norden Israels, zerstörten die Flammen am Vortag gleich Dutzende Gebäude in den Randbezirken auf dem Karmel-Hang, über 700 Wohnungen wurden beschädigt. Noch lässt sich der immense Gesamtschaden, zu dem auch 75 Hektar verbrannte Wald- und Agrarflächen gehören, nicht völlig abmessen. Es könne an die zehn Tage dauern, bis alle Feuerstellen getilgt seien, gaben die Rettungsbehörden bekannt. Fest steht aber schon jetzt, dass diese Brandkatastrophe vom Ausmaß her zu den schlimmsten in der Geschichte Israels zählt. Einzig gute Nachricht: Bislang kam niemand ums Leben, anders als bei einem verheerenden Feuer vor sechs Jahren, als 42 Feuerwehrleute und ihre Helfer in ihrem Bus unterwegs zu Löscharbeiten im Karmel-Gebirge den Flammentod fanden. Diesmal blieb es bei Rauchvergiftungen und leichten Verletzungen, wegen denen an die 200 Personen in Krankenhäusern behandelt werden mussten.
Zumindest konnten die meisten der 75 000 Evakuierten aus Haifa am Freitag in ihre Häuser zurückkehren. Aber 600 Haushalte blieben ohne Strom. Derweil flackerten vielerorts in der Umgebung und auch im Jerusalem-Korridor sowie im Westjordanland neue Feuer auf. Im israelischen Radio schilderten Betroffene, wie sie in Minutenschnelle persönliche Wertgegenstände wie Fotoalben und Dokumente zusammengerafft hätten, bevor sie sich selbst in Sicherheit brachten.
Gleichzeitig ist eine massive Hilfswelle angerollt. Nicht nur westliche Mittelmeerstaaten wie Griechenland, Italien, Zypern und Kroatien schickten Flugzeuge, um Israel bei der Brandbekämpfung zu unterstützen. Ägypten, Jordanien und die Türkei sandten Hubschrauber und Feuerwehrleute. Russland sagte zu, Löschflugzeuge zu schicken. Die ersten waren am Freitagmorgen im Einsatz. Sogar acht Löschzüge der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah rückten an, deren Männer Seite an Seite mit israelischen Kollegen Schneisen zur Eindämmung des Feuers schlugen. Solidarisches Anpacken in Zeiten der Not, jenseits aller politischen Differenzen.