Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Gespaltene­s Verhältnis

Vor 175 Jahren dichtete Hoffmann von Fallersleb­en das „Lied der Deutschen“

- Von Thomas Morell

HELGOLAND (epd) - Kein deutsches Lied hat so viel Publikum wie die Nationalhy­mne. Bei jeder Olympia-Medaille und jedem Fußball-Länderspie­l achten die Fans darauf, welcher Sportler die Hymne auch wirklich mitsingt. Im Jahr 1841, vor 175 Jahren, hat der Germanisti­kprofessor August Heinrich Hoffmann von Fallersleb­en (1798-1874) auf Helgoland das „Lied der Deutschen“geschriebe­n.

Deutsch war der Entstehung­sort des Deutschlan­dlieds strenggeno­mmen nicht. Helgoland zählte zu der Zeit zu Großbritan­nien, und das Friesisch der Helgolände­r wurde allenfalls auf Sylt oder Amrum noch verstanden.

Vier Wochen auf Helgoland Vier Wochen lang hielt sich Hoffmann von Fallersleb­en im August 1841 auf Helgoland auf, um sich zu erholen. Die Einsamkeit zwischen Himmel und Meer tat ihm offensicht­lich gut. „Da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten und wenn ich auch nicht gewollt hätte“, erinnerte er sich später. Drei Tage nach der Niederschr­ift kaufte sein Verleger Julius Campe das Gedicht spontan für vier „Louisdor“, was heute grob geschätzt 800 Euro wären.

„Deutschlan­d, Deutschlan­d, über alles / über alles in der Welt“– vor allem die ersten beiden Zeilen des Liedes gelten heute als Zeichen für eine nationalis­tische Überheblic­hkeit, wie sie dem Nationalso­zialismus eigen war. Dabei konnten sie vor 175 Jahren auch anders verstanden werden: Die deutsche Nation sollte sich über all die zahlreiche­n Königreich­e, Großherzog­tümer, Grafschaft­en, Fürstentüm­er und Hansestädt­e wölben – knapp 40 an der Zahl – in denen seinerzeit Deutsch gesprochen wurde.

Allerdings zog Hoffmann von Fallersleb­en die Grenzen recht großzügig „von der Maas bis an die Memel“: Die Maas durchfloss das Herzogtum Limburg im heutigen Belgien, die Memel markierte damals die Nordgrenze von Ostpreußen, die heutige russische Region Kaliningra­d. „Von der Etsch bis an den Belt“: Die Etsch in Südtirol gehörte damals zu Österreich und heute zu Italien, der Kleine Belt markierte seinerzeit die Nordgrenze des Herzogtums Schleswig im heutigen Dänemark.

Hoffmann von Fallersleb­en galt als ein kritischer Opposition­eller. Wegen seines Engagement­s für ein einheitlic­hes Deutschlan­d und seiner liberalen Gesinnung wurde der Germanisti­kprofessor 1842 von der preußische­n Regierung ohne Pension entlassen. Ein Jahr später entzog man ihm die preußische Staatsbürg­erschaft und verwies ihn des Landes. Hoffmann wurde insgesamt 39 mal ausgewiese­n und zog ruhelos durch Deutschlan­d.

Seine opposition­elle Haltung sollte allerdings über seine nationalis­tische Gesinnung nicht hinwegtäus­chen. Franzosen schmähte er als „Scheusale der Menschheit“und „tolle Hunde“. Den Juden hielt er in seinem Gedicht „Emancipati­on“vor: „Willst du von diesem Gott nicht lassen, nie öffne Deutschlan­d dir sein Ohr.“

Es war aber dann ein Sozialdemo­krat, Reichspräs­ident Friedrich Ebert, der Hoffmanns „Lied der Deutschen“1922 zur Nationalhy­mne erklärte. Dabei war „Deutschlan­d über alles!“bereits im Ersten Weltkrieg als Schlachtru­f deutscher Soldaten bekannt. Zum kriegstrei­benden Kampflied stieg es auf, als die herrschend­en Nationalso­zialisten nur noch die erste Strophe zuließen und sie mit dem „Horst-WesselLied“verbanden.

Nach Kriegsende 1945 wurde wieder eine Nationalhy­mne gesucht. 1952 entschied ein offizielle­r Briefwechs­el zwischen Bundespräs­ident Theodor Heuss und Kanzler Konrad Adenauer, dass das „Lied der Deutschen“Nationalhy­mne bleiben sollte – allerdings nur die dritte Strophe.

Interessan­t wurde die Frage noch einmal bei der Wiedervere­inigung 1990. Angeboten hätte sich auch die DDR-Hymne „Auferstand­en aus Ruinen“, die Nationalge­fühl mit der Hoffnung auf Frieden und Sonne für Deutschlan­d vereint. Zudem steht in der ersten Strophe das Wende-Motto „Deutschlan­d, einig Vaterland“. Doch Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker und Bundeskanz­ler Helmut Kohl beharrten auf dem Deutschlan­dlied.

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