Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gespaltenes Verhältnis
Vor 175 Jahren dichtete Hoffmann von Fallersleben das „Lied der Deutschen“
HELGOLAND (epd) - Kein deutsches Lied hat so viel Publikum wie die Nationalhymne. Bei jeder Olympia-Medaille und jedem Fußball-Länderspiel achten die Fans darauf, welcher Sportler die Hymne auch wirklich mitsingt. Im Jahr 1841, vor 175 Jahren, hat der Germanistikprofessor August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874) auf Helgoland das „Lied der Deutschen“geschrieben.
Deutsch war der Entstehungsort des Deutschlandlieds strenggenommen nicht. Helgoland zählte zu der Zeit zu Großbritannien, und das Friesisch der Helgoländer wurde allenfalls auf Sylt oder Amrum noch verstanden.
Vier Wochen auf Helgoland Vier Wochen lang hielt sich Hoffmann von Fallersleben im August 1841 auf Helgoland auf, um sich zu erholen. Die Einsamkeit zwischen Himmel und Meer tat ihm offensichtlich gut. „Da ward mir so eigen zu Muthe, ich musste dichten und wenn ich auch nicht gewollt hätte“, erinnerte er sich später. Drei Tage nach der Niederschrift kaufte sein Verleger Julius Campe das Gedicht spontan für vier „Louisdor“, was heute grob geschätzt 800 Euro wären.
„Deutschland, Deutschland, über alles / über alles in der Welt“– vor allem die ersten beiden Zeilen des Liedes gelten heute als Zeichen für eine nationalistische Überheblichkeit, wie sie dem Nationalsozialismus eigen war. Dabei konnten sie vor 175 Jahren auch anders verstanden werden: Die deutsche Nation sollte sich über all die zahlreichen Königreiche, Großherzogtümer, Grafschaften, Fürstentümer und Hansestädte wölben – knapp 40 an der Zahl – in denen seinerzeit Deutsch gesprochen wurde.
Allerdings zog Hoffmann von Fallersleben die Grenzen recht großzügig „von der Maas bis an die Memel“: Die Maas durchfloss das Herzogtum Limburg im heutigen Belgien, die Memel markierte damals die Nordgrenze von Ostpreußen, die heutige russische Region Kaliningrad. „Von der Etsch bis an den Belt“: Die Etsch in Südtirol gehörte damals zu Österreich und heute zu Italien, der Kleine Belt markierte seinerzeit die Nordgrenze des Herzogtums Schleswig im heutigen Dänemark.
Hoffmann von Fallersleben galt als ein kritischer Oppositioneller. Wegen seines Engagements für ein einheitliches Deutschland und seiner liberalen Gesinnung wurde der Germanistikprofessor 1842 von der preußischen Regierung ohne Pension entlassen. Ein Jahr später entzog man ihm die preußische Staatsbürgerschaft und verwies ihn des Landes. Hoffmann wurde insgesamt 39 mal ausgewiesen und zog ruhelos durch Deutschland.
Seine oppositionelle Haltung sollte allerdings über seine nationalistische Gesinnung nicht hinwegtäuschen. Franzosen schmähte er als „Scheusale der Menschheit“und „tolle Hunde“. Den Juden hielt er in seinem Gedicht „Emancipation“vor: „Willst du von diesem Gott nicht lassen, nie öffne Deutschland dir sein Ohr.“
Es war aber dann ein Sozialdemokrat, Reichspräsident Friedrich Ebert, der Hoffmanns „Lied der Deutschen“1922 zur Nationalhymne erklärte. Dabei war „Deutschland über alles!“bereits im Ersten Weltkrieg als Schlachtruf deutscher Soldaten bekannt. Zum kriegstreibenden Kampflied stieg es auf, als die herrschenden Nationalsozialisten nur noch die erste Strophe zuließen und sie mit dem „Horst-WesselLied“verbanden.
Nach Kriegsende 1945 wurde wieder eine Nationalhymne gesucht. 1952 entschied ein offizieller Briefwechsel zwischen Bundespräsident Theodor Heuss und Kanzler Konrad Adenauer, dass das „Lied der Deutschen“Nationalhymne bleiben sollte – allerdings nur die dritte Strophe.
Interessant wurde die Frage noch einmal bei der Wiedervereinigung 1990. Angeboten hätte sich auch die DDR-Hymne „Auferstanden aus Ruinen“, die Nationalgefühl mit der Hoffnung auf Frieden und Sonne für Deutschland vereint. Zudem steht in der ersten Strophe das Wende-Motto „Deutschland, einig Vaterland“. Doch Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl beharrten auf dem Deutschlandlied.