Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Unser einziger Auftraggeber ist der Mensch“
Dorothea Baur über die Arbeit des ambulanten Hospizdienstes und das Thema Tod
KREIS RAVENSBURG - Die „Hospizbewegung Weingarten-BaienfurtBaindt-Berg“gibt es seit 15 Jahren. Träger des Vereins sind die Mitglieder, die Kirchengemeinden und die Kommunen. Mit dem Thema Tod tun sich noch immer viele Menschen schwer, wie die Diplom-Pädagogin und Koordinatorin des ambulanten Dienstes, Dorothea Baur, im Interview mit SZ-Redakteur Philipp Richter erklärt.
Frau Baur, Sie bieten immer wieder Seminare an, die sich mit den Fragen rund um das Thema Tod befassen. Das heißt, es gibt viele Fragen? Es gibt sehr viele Fragen. Die Fragen, die wir behandeln, sind immer wieder die gleichen, die wir während unserer Begleitungen gestellt bekommen. Es sind vor allem die Angehörigen, die uns fragen.
Welche Fragen sind das? Was passiert beim Sterben? Was geschieht biologisch? Wie gehe ich mit den Emotionen um? Wie bekomme ich Hilfe und wie sieht diese Hilfe aus? Die meisten Menschen, die zu uns kommen, haben einen akuten Fall, ein Angehöriger, der im Sterben liegt. Dann setzen sie sich zum ersten Mal mit dem Thema Tod auseinander und es kommen diese Fragestellungen auf. Der Mensch verdrängt das Thema und schiebt es auf die lange Bank. Aber das ist etwas ganz Normales. Es sind nicht viele, die sich mit dem Tod lange vorher auseinandersetzen.
Wer sind die Ehrenamtlichen, die bei Ihnen im ambulanten Hospizdienst arbeiten? Das ist bunt gemischt, wie die Menschen, die wir begleiten. Es sind Männer und Frauen, Alt und Jung, und ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Unsere Jüngste ist gerade erst 23 Jahre alt geworden. Das geht dann bis Mitte 70. In den vergangenen Jahren haben wir festgestellt, dass es auch immer mehr Jüngere gibt, die sich bei uns engagieren wollen. Das ist eine ganz neue Entwicklung. Vor fünf Jahren hat es das noch nicht gegeben. Die meisten sind Christen, aber wir haben auch Menschen, die nicht religiös gebunden sind oder sich zum Buddhismus hingezogen fühlen. Können Sie sich diese Entwicklung erklären? Dafür habe ich keine Erklärung, ich nehme es einfach nur wahr.
Was treibt jemanden an, als Ehrenamtlicher beim Hospizdienst zu arbeiten? Wir haben 31 Ehrenamtliche. Insgesamt haben wir eine gute Nachfrage nach dem Ehrenamt. Die Gründe sind bei jedem anders. Es sind Menschen, die selbst einen Todesfall in der Familie hatten und dankbar über die Unterstützung durch den Hospizdienst waren, oder Menschen, die sich in solch einer Situation alleingelassen gefühlt haben und etwas ändern wollen. Andere haben einfach nur das Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen oder etwas für sich zu suchen. Das ist natürlich nicht immer ganz uneigennützig, aber ein po- sitives Motiv. Unsere Arbeit ist natürlich ein riesiger Schatz, sie verändert einen, gibt einem einen anderen Blick auf das Leben. Und man profitiert von den wertvollen Begegnungen mit den Menschen. Das Leben wird bewusster und tiefer, man schiebt nicht mehr so viel auf.
Das sind jetzt alles schöne Dinge, die Sie aufzählen. Aber ich kann mir vorstellen, dass die Arbeit nicht immer ganz leicht ist. Das möchte ich auch gar nicht abstreiten. Es gibt Menschen, die ruhig und friedlich sterben, aber auch das genaue Gegenteil; wenn jemand zum Beispiel viele Schmerzen hat und kämpft. Wir begleiten Menschen im Schnitt über wenige Wochen. Haben auch Langzeitbegleitungen über mehrere Monate, die längste läuft seit dreieinhalb Jahren, manche gehen aber auch nur zwei Stunden, wenn wir erst kurz vor dem Tod gerufen werden. Man bekommt Schicksale mit, fragt sich, ob es Gerechtigkeit im Leben gibt. Oder es passiert, dass ein Ehrenamtlicher nicht mit der Situation klarkommt.
Wie geht man als Ehrenamtlicher mit so etwas um? Bevor unsere Ehrenamtlichen mit der Arbeit beginnen, haben sie eine lange Vorbereitungsphase. Der größte Teil ist es, sich mit den eigenen Ängsten, mit der eigenen Trauer und Sterben auseinanderzusetzen. Natürlich gehören auch solche Themen wie Gesprächsführung und Trauerprozesse dazu. Aber zusätzlich machen wir auch viel in der Gruppe. Die Ehrenamtlichen treffen sich, tauschen sich aus, holen sich Ratschläge, sprechen darüber. Und sie haben immer mich als Ansprechpartnerin.
Wie sieht die Hospizarbeit konkret aus? Wichtig ist, dass unser Dienst kostenlos ist. Wir sind einfach nur da und passen uns dann auf die jeweilige Situation an. Die Bedürfnisse jedes Menschen sind unterschiedlich. Wir machen also nie das Gleiche. Für den einen ist es wichtig, jemanden zu haben, der einfach nur zuhört. Jemand anders braucht jemanden zum Reden. Jemanden beim Spazierengehen begleiten ist ebenso eine Möglichkeit, wie mit jemandem über Gott zu sprechen oder einen Ausflug an den Bodensee zu machen, wenn jemand ein letztes Mal den Bodensee sehen will. Manchmal hilft auch einfach nur schweigen. Unser einziger Auftraggeber ist der Mensch.
Wie kommen die Begleitungen zustande? Die meisten werden über das Pflegepersonal im Krankenhaus, im Pflegedienst oder in Heimen vermittelt, aber auch über Angehörige. Ich mache einen ersten Besuch und versuche, mir ein Bild von der Situation zu machen, frage nach den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen. Dann schaue ich nach einem Ehrenamtlichen, der gut passt. Pro Jahr begleiten wir zwischen 60 und 80 Menschen.
Der Dienst ist für Weingarten und drei Landgemeinden zuständig. Gibt es denn einen Unterschied zwischen Stadt und Land? Prinzipiell ist der Unterschied natürlich nicht so groß wie zum Beispiel zu einer Großstadt. Allerdings muss man sagen, dass auf dem Land noch eher der Anspruch da ist: Das kriegen wir selber hin. Und es gibt mehr intakte Familien. In der Stadt gibt es mehr Alleinstehende.
Die Hospizbewegung hat ihr Büro in der Vogteistraße 5 in Weingarten (hinter dem Finanzamt). Erreichbar unter Telefon 0751/ 18056382, 0160/96207277, E-Mail: hospiz-weingarten@freenet.de. Weitere Informationen gibt es im Internet unter: www.hospizbewegung-weingarten.de