Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Erleichterung hat einen Namen: Carlsen
In der zehnten WM-Partie gelingt dem Schach-Weltmeister der erste Sieg gegen Karjakin
NEW YORK (SID/dpa) - Nach sechseinhalb dramatischen Stunden strahlte Titelverteidiger Magnus Carlsen zum ersten Mal in die Kameras. Der dringend benötigte erste Sieg bei der Schach-Weltmeisterschaft in New York gegen Sergei Karjakin sorgte beim favorisierten Norweger für ungewohnte Glücksgefühle. „Ich bin sehr müde, aber auch unglaublich erleichtert und extrem glücklich. Es war schwierig, ihn zu brechen“, sagte Carlsen nach dem hart erkämpften Punkt zum 5:5-Ausgleich: „Ich hatte noch nie so viele Partien hintereinander nicht gewonnen.“
Das Duell zwischen Carlsen und seinem russischen Herausforderer steuert nun auf ein hoch spannendes Finale zu: Nur noch zwei reguläre Partien sind zu spielen – am heutigen Samstag, am Montag. Es droht eine Entscheidung in der Verlängerung: Am Mittwoch könnte es zum Tiebreak mit verkürzter Bedenkzeit kommen – an Carlsens 26. Geburtstag. „Es ist noch nichts gewonnen“, sagte der, „aber es sieht jetzt anders aus – besser.“
Karjakins schockierender Fehler Dabei schien sich Carlsen zunächst wieder durch einen Fehler seiner Chancen zu berauben. Nachdem sich der Norweger eine Unachtsamkeit geleistet hatte, verpasste Karjakin mit Schwarz früh ein Remis durch Zugwiederholung. „Das war einer der schockierendsten Momente der gesamten WM“, sagte der russische Großmeister Jan Nepomnjaschtschi, der als Experte die Partie verfolgte. Der entscheidende Durchbruch gelang Carlsen am Damenflügel im 57. Zug. Er gewann in der Folge einen Bauern und ging in ein Turm-Endspiel über, das klar gewonnen war.
Bei der anschließenden Pressekonferenz verfolgte Karjakin ungläubig, wie ihm seine verpasste Gelegenheit vorgeführt wurde. „Ich habe einige Fehler gemacht“, sagte der Herausforderer, dem in der achten Partie der erste Sieg gelungen war. Erstmals konnte Carlsen damit seine eigentliche Stärke im Mittel- und Endspiel in einen Sieg ummünzen. In der dritten und vierten Partie hatte er ebenfalls auf Sieg gestanden – letztendlich gelang ihm aber nur ein Remis.
Im Gefühl des Erfolgs gab Carlsen zumindest einen kleinen Einblick in sein Innenleben während der so enttäuschenden vergangenen Tage. Die Situation nach der Niederlage habe ihn „stark beeinflusst“und sei „alles andere als einfach gewesen“, er habe es sogar nicht verhindern können, an einen Verlust des Weltmeistertitels zu denken, verriet Carlsen dem norwegischen Fernsehsender NRK. „Gestern habe ich kaum schlafen können.“
Umso wichtiger sei daher der Sieg in der zehnten Partie gewesen. „Ich habe ihn noch nie so erleichtert gesehen“, sagte der norwegische Journalist Ole Kristian Ström, der den Aufstieg Carlsens seit mehreren Jahren mitverfolgt.
Und dem Norweger gelang noch ein weiterer Teilerfolg: Nach der verlorenen achten Partie hatte er enttäuscht die Pressekonferenz verlassen, ohne Fragen zu beantworten. Der Weltverband FIDE verringerte Carlsens Strafe von zehn Prozent seines gewonnen Preisgelds am Donnerstag um die Hälfte.