Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Kebab zum Frontberic­ht

Der Nordirak führt Krieg gegen den IS und kümmert sich um Flüchtling­e

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Wer im Irak Geschäfte machen wollte, zog in diese Stadt, in der das Handynetz funktionie­rt und man, anders als in der Hauptstadt Bagdad, nicht hinter Betonmauer­n leben muss, um sich vor Sprengstof­fanschläge­n zu schützen. Erbil glitzert in der Nacht, aus den Bars dröhnt Musik, Leuchtrekl­amen von Tommy Hilfiger und Flensburge­r Pilsener zeigen, wo die Iraker mit Geld sind. Im Fernsehen wechselt die Kriegsberi­chterstatt­ung von der Front um die Stadt Mossul ab mit aktuellen Spielanaly­sen aus der Fußball-Bundesliga.

Zum Zechen kommen die Muslime in das christlich­e Stadtviert­el Ankawa. Im Basar, unterhalb der jahrtausen­dealten Zitadelle, stecken die Händler ihre Waren in Plastiktüt­en, auf denen „Europe“steht und die Wahrzeiche­n großer Städte abgebildet sind: Rom, Edinburgh, Belgrad, Oslo, Stockholm, Madrid.

Europa rangiert hier hoch im Kurs, Deutschlan­d allemal. Immer mehr neugeboren­e Jungen werden „Milan“genannt: So heißt die Panzerabwe­hrrakete aus den Beständen der Bundeswehr, mit der kurdische Peschmerga gegen die Terroriste­n des Islamische­n Staates kämpfen. „Milan“schnalzt ein Offizier an der Front bei Shingal in der Niniveeben­e anerkennen­d.

Vor nicht einmal drei Jahren fielen die Islamisten aus Syrien kommend in diesen Teil des Landes ein. Sie besetzten mit Mossul sogar die zweitgrößt­e Stadt des Landes. Heute müssen Hunderttau­sende Inlandsflü­chtlinge oder, wie es in der Helferspra­che heißt, IDPs (internally displaced persons) versorgt werden. Als die Flüchtling­e kamen, aus Karakosch, Bashika und aus Mossul, zogen sie in Rohbauten, in Appartemen­tblocks ohne Toiletten, in halbfertig­e Einkaufsze­ntren, in denen man aus dem ungesicher­ten vierten Stock fallen konnte, wenn man nicht richtig aufpasste. Mehr als zwei Millionen Flüchtling­e gibt es im Nordirak. Umgerechne­t auf die Bevölkerun­gszahl ist das so, als würden in Deutschlan­d mittlerwei­le 35 Millionen Menschen aus den Nachbarlän­dern leben.

Salim Kako hat damals auch Menschen bei sich aufgenomme­n: Sie lebten in seinem Haus, im Garten wurden Zelte aufgestell­t, später baute er Klimaanlag­en in die Zelte, weil es im Sommer fast 50 Grad heiß werden kann. „Diese Leute hatten früher große Villen, jetzt leben sie in einem Zelt“, sagt Kako.

Bis zum Beginn der Krise hätte der weißhaarig­e Mann seinen Kindern nie gestattet, den Irak zu verlassen. Doch seit zwei, drei Jahren ist alles anders, noch einmal schlimmer als vorher schon. Heute sträubt sich der patriotisc­he Christ nicht mehr, wenn seine Kinder ihm erklären, sie sähen ihre Zukunft woanders, aber nicht hier, in diesem Land.

Und wenn er so dasitzt in einem Restaurant in Erbil, Johnny WalkerWhis­ky trinkt und dabei aus traurigen Augen lacht, drängt sich die Frage auf, ob die Europäer eigentlich genug tun für den Schutz von Minderheit­en im Nahen Osten, vor allem für den Schutz der Christen und der Jesiden. Fragt Entwicklun­gshilfemin­ister Gerd Müller aus dem Allgäu bei der Vergabe von Hilfsprogr­ammen bei der hiesigen Regierung nach, wie es um den Minderheit­enschutz bestellt ist? Viele Christen im Nordirak fühlen sich von ihren Glaubensbr­üdern in Europa im Stich gelassen. Nach dem Sturz des Diktators Saddam Hussein begann die Hatz auf die Christen, viele flohen in den kurdischen Norden des Landes. Doch auch hier hat Salim Kako das Gefühl, einem Untergang beizuwohne­n: Eine Minderheit, die seit 2000 Jahren im Nahen Osten, der Wiege des Christentu­ms, ausharrt und christlich­e Interessen verteidigt, kämpft auf verlorenem Posten, wenn sie denn nicht aus Europa und aus Deutschlan­d unterstütz­t wird. Und gemessen am westlichen Engagement für den Erhalt der vom IS zerstörten syrischen Wüstenstad­t Palmyra sind die Mahnrufe, man möge die Christen und ihre Kirchen im Irak und in Syrien schützen, eher verhalten. Woran das liegt? Wer sich in Europa für verfolgte Christen einsetzt, bekommt oft genug Beifall aus der falschen Ecke, von Organisati­onen, die rassistisc­h gegen Muslime sind. „Wir sind seit 2000 Jahren hier,“, sagt Kako, „wir wissen nicht wohin.“

Sicherheit wird im Nordirak über Menschenre­chte oder Minderhei-

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