Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Europäerin
Bis zuletzt mochten Außenstehende nicht recht an diese Möglichkeit glauben. So einer wie der steinreiche Zac Goldsmith sollte die Nachwahl im Londoner Vorort Richmond Park verlieren? Doch die Sensation gelang: Die unbekannte Sarah Olney vertritt zukünftig das wohlhabende Stadtviertel im Unterhaus. Ihr Sieg werde „der konservativen Brexit-Regierung einen Schock versetzen“, jubelte die Liberaldemokratin.
Tatsächlich stellt Olneys Wahl den ersten Lichtblick für jene 48 Prozent der Briten dar, die im Juni für den EU-Verbleib gestimmt hatten. In den letzten Monaten schien die Regierung unter Premierministerin Theresa May immer deutlicher auf einen harten Brexit zuzusteuern, also den kompletten Ausstieg aus dem EU-Binnenmarkt. Gemäß ihrer Ankündigung teilte die neugewählte Abgeordnete umgehend mit, sie werde im Parlament dem Brexit nicht zustimmen. „Wir werden die Intoleranz und die Angst – die Politik des Zorns – nicht gewinnen lassen.“
Die 38-jährige Olney spielte auch auf den bisherigen Mandatsträger an. Bei seiner wenig professionell geführten Kandidatur um das Amt des Londoner Bürgermeisters hatte der mit einer Rothschild verheiratete Milliardärssohn Goldsmith im Frühjahr rassistisch und islamfeindlich angehauchte Parolen gegen seinen letztlich erfolgreichen Labour-Konkurrenten Sadiq Khan ins Feld geführt. Darüber rümpften viele in dem von Akademikern und liberalem Bürgertum bevölkerten Stadtteil die Nase. Vor allem aber gerierte sich Goldsmith als fanatischer EU-Feind.
Gegenüber dem glamourösen Konservativen verkörpert die Wahlsiegerin Olney beste englische Bürgerlichkeit. Sie wuchs im Londoner Speckgürtel auf, studierte am renommierten King’s College englische Literatur, ließ sich dann aber zur Wirtschaftsprüferin ausbilden. Mit ihrem Mann hat sie zwei Kinder. Mit Politik hatte sie bis zur Wahl 2015 nichts zu tun. Sie glaube an „Offenheit, Toleranz, Mitgefühl und gute Nachbarschaft, hier im Land und global“, sagt sie. Sebastian Borger