Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Harscher Antisemitismus war absolut hoffähig“
Kunstraub auf Bestellung: Die Nazis hatten in München willige Helfer aus der Kunstszene
MÜNCHEN - Mit der „Reichskristallnacht“fielen alle Hemmungen. Vor allem in München: Kurz nach dem Pogrom im November 1938 hat die Geheime Staatspolizei (Gestapo) in 69 jüdischen Haushalten rund 2500 Kulturgüter konfisziert. Damit war eine der größten Kunstraubaktionen der Nazis eingeleitet – und das mit tatkräftiger Unterstützung von Kunsthändlern und Museumsfachleuten. Wie es dazu kam, welche Interessen dahinter standen und wer davon profitiert hat, fasst der Historiker Jan Schleusener in seinem Buch „Raub von Kulturgut“zusammen. Christa Sigg hat sich mit dem Autor zum Gespräch getroffen.
Herr Schleusener, im Stadtmuseum wurde 2007 ein Ordner mit Material zum Kunstraub der Nazis gefunden. Hat das die Sicht noch einmal verändert? Der Fund des Ordners hat die Aufarbeitung stark befördert. Anhand von Protokollen kann man sehr genau sehen, was beschlagnahmt wurde.
Der Kunsthändler Otto Bernheimer erwähnt 1957 in seiner Autobiografie, dass während seiner KZHaft in Dachau die Wohnung leer geräumt wurde. Er nennt Namen. Bernheimers „Erinnerungen eines alten Münchners“waren meines Wissens nicht regulär veröffentlicht und scheinen eher für Familie und Freunde geschrieben. Aber da ist schon sehr genau zu lesen, dass die „Gestapo unter der Führung des Kommissars Gerum und verschiedener Museumsdirektoren“sein Haus ausgeräumt und „alte wertvolle Sachen ins Nationalmuseum“gebracht hätten.
Bernheimer hatte enge Beziehungen zum Bayerischen Nationalmuseum. Welche Rolle spielte das Haus beim Kunstraub? Unterlagen im Nationalmuseum geben deutliche Hinweise darauf, bei welchen Aktionen Direktor Hans Buchheit und Mitarbeiter des Hauses beteiligt waren. Das „Neue Studiengebäude“des Museums war, von der Gestapo beschlagnahmt, zwischenzeitlich ein wichtiges Lager für die geraubten Bilder und Kunstgegenstände. Buchheit hat auch den Empfang bestätigt.
Stimmt es, dass die Gestapo bei ihren Raubzügen eine Liste „abarbeiten“konnte? Davon gehe ich aus. Mit Hilfe der Kunstexperten war zusammengestellt worden, was in welchen jüdischen Haushalten zu finden war. Die Gestapo allein hätte diesen Kunstraub niemals ohne die Informationen der Fachleute durchführen können. An den Protokollen sieht man übrigens, dass die Gestapo-Leute nicht einmal wussten, wie Künstler wie Renoir zu schreiben waren.
Wer war der Kopf hinter dem Münchner Kunstraub? Gauleiter Adolf Wagner hat die Gestapo sehr bald nach dem NovemberPogrom 1938 damit beauftragt. Max Heiß, der lokale Referent für Kunsthandelsfragen der Reichskammer für bildende Künste, nahm später für sich in Anspruch, den Anstoß gegeben zu haben. Aber dafür gibt es keine unabhängigen Belege. Die Museumsdirektoren erklärten sich offenbar ohne großen Skrupel bereit, ihre zum Teil intimen Kenntnisse aus den Sammlerhaushalten beizusteuern.
Die Täter sprachen immer von „Sicherstellung“. Nach dem Krieg wurde so getan, als hätte man die Kunstgüter der Juden nach den Pogromen „schützen“müssen. Man habe den Kunstbesitz im „Gau München-Oberbayern“so gut zusammengehalten, dass man keine Probleme mit der Wiedergutmachung habe, hieß es. So gab es etwa Max Heiß von der Reichskammer zu Protokoll, der früher streng auf NS-Linie agiert hatte. Welche Perversion!
Wie ist denn eine Figur wie Ernst Buchner, der Direktor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, zu sehen? Er saß nach dem Krieg wieder auf dem alten Posten. Buchner war ein durchaus leidenschaftlicher Kunsthistoriker mit hervorragenden Kontakten in die Sammlerszene. Man fragt sich wirklich, warum er da mitgemacht hat. Schließlich ging es ja dauernd um den Missbrauch von Vertrauen, im Grunde um Verrat.
Hat München eine Sonderrolle gespielt? Das würde ich schon sagen. Kunstraubaktionen in diesem Ausmaß und in dieser systematischen Durchführung gab es weder in Frankfurt, noch in Hamburg, Köln, Leipzig oder Berlin. Wesentlich waren hier sicher die engen Kontakte zwischen Gauleiter Wagner und Hitler. Dazu kam ein gesellschaftliches Klima, in dem ein harscher Antisemitismus absolut hoffähig war. Und das schon seit 1933.
In Wien gab es bereits im März 1938 solche Beschlagnahmungen. Ja, da ging es um Rembrandt und Holbein, die Sammler hießen Rothschild oder Bondy. Und Fritz Dworschak, der Direktor des Kunsthistorischen Museums, war sehr daran interessiert, reiche Beute zu machen. Überhaupt ist sehr vieles in Wien und Österreich radikaler passiert, die Exzesse gegen Juden waren um vieles gewalttätiger.
Wie ging der Kunstraub auf die Münchner Museen über? Die Museen haben der Gestapo die Kunst abgekauft – obwohl sie genau wussten, wem das Ganze eigentlich gehört. Dann gab es allerdings eine unerwartete Wende: Das Finanzpräsidium hatte bestimmt, dass die geraubte Kunst Eigentum des Reiches sei. Also wurden alle diese Verkäufe wieder rückabgewickelt. Dagegen haben die Museen zum Teil rebelliert, denn die wollten ja ihre neuen ANZEIGE Errungenschaften behalten. Es kam dann zu Dauerleihgaben.
Nach 1945 saßen die betreffenden Museumsleute zum Teil wieder auf ihrem Direktorensessel. Hans Buchheit vom Nationalmuseum sogar ohne Unterbrechung und Ernst Buchner von den Staatsgemäldesammlungen mit einer Zwangspause, in der Eberhard Hanfstaengl die Leitung hatte. Ab 1953 war aber auch Buchner wieder in Amt und Würden.
Und konnte 1957 mit jovialer Geste Theodor Heuss durch die wieder eröffnete Alte Pinakothek führen. Bei solchen Gelegenheiten wurde sicher nicht über die zurückliegenden „bösen Jahre“gesprochen.
Jan Schleusener: Raub von Kulturgut. Der Zugriff des NS-Staats auf jüdischen Kunstbesitz in München und seine Nachgeschichte. Deutscher Kunstverlag, 224 Seiten, 49,90 Euro