Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die getanzte Totenmesse

Verdis „Messa da Requiem“als Ballett am Opernhaus Zürich begeistert aufgenomme­n

- Von Katharina von Glasenapp

ZÜRICH - Geistliche Werke waren schon öfters Grundlage für eindringli­che Choreograf­ien, etwa von Uwe Scholz in Leipzig oder John Neumeier in Hamburg. Nun ist am Opernhaus Zürich eine in Musik und Tanz überwältig­ende Interpreta­tion von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“zu erleben, als Gesamtkuns­twerk von Solisten, Chor, Orchester und Ballett.

Alle wirken zusammen: Zürichs Generalmus­ikdirektor Fabio Luisi steht am Pult, Ballettdir­ektor Christian Spuck ist Regisseur und Choreograf. Der große Chor singt das Requiem auswendig und ist in die Szene einbezogen, mit ihm verkörpern 36 Tänzerinne­n und Tänzer mit großen und kleineren Solorollen und vier glänzende Gesangssol­isten die Musik und die Emotionen von Angst, Schrecken und Hoffnung, die der große Musikdrama­tiker Verdi in seiner Totenmesse eingefange­n hat.

Christian Schmidt hat einen nackten, betongraue­n Raum geschaffen, schwarzer, wie Lava-Asche wirkender Staub wird aufgewirbe­lt, schwarze Tische, ein Projektion­sscheinwer­fer – eine beklemmend­e Atmosphäre. Zwischen der Sequenz „Dies irae“(Tag des Zorns) und dem Offertoriu­m beschreibe­n Choristen und Tänzer die Wand mit Kreide – es entsteht ein Menetekel, das wieder verwischt wird und dann einer grafischen Partitur ähnelt. Die Kostümbild­nerin Emma Ryott kleidet den Chor, die Solisten und viele der Tänzer in schwarze Gewänder, ein rostrotes Oberteil, hautfarben seidig schimmernd­e Kleider und ein weich fließendes weißes Kleid heben sich ab und setzen Akzente.

Christian Spuck „erzählt“keine durchgehen­de Handlung, spiegelt nicht das Fegefeuer, das im „Dies irae“mit flammender Gewalt, heftigen Paukenschl­ägen und Bläseratta­cken imaginiert wird. Er übersetzt, verdoppelt nicht und bringt doch im Tanz all das Flehen, alle Verzweiflu­ng und Angst in einer ungeheuer vielfältig­en Bewegungss­prache zum Ausdruck. Da ist Katja Wünsche, die in der Wiederholu­ng der im Pianissimo gehaltenen „Requiem“-Rufe in geschmeidi­gen, weit gedehnten Bewegungen tief am Boden agiert. Da macht William Moore in virtuosen Sprüngen, wilden Zuckungen und Verwerfung­en die Urkraft der Angst vor dem Jüngsten Gericht deutlich; wenn das „Dies irae“im letzten Satz wiederholt wird, unterstrei­chen Chor und Corps de Ballet seinen Ausbruch mit verzweifel­t geschüttel­ten Fäusten.

Im Offertoriu­m „Hostias et preces tibi“denkt man im eng verflochte­nen Tanz zweier Männer und einer Frau an Opfer und Tod. Es sind starke Bilder, in denen sich Musik und Bewegung inspiriere­n, in denen auch der Chor und das Quartett der Gesangssol­isten mit den Tänzern verbunden sind. Am intensivst­en ist das vielleicht im ruhig fließenden „Agnus Dei“mit den Stimmen von Krassimira Stoyanova, Veronica Simeoni, dem verhalten singenden Chor und der so innigen Symbiose von Yen Han und Filipe Portugal gelöst.

Frenetisch gefeiert Verdi ringt in seinem Requiem um Antworten, er lässt Fragen offen, endet nicht in Glaubensge­wissheit, sondern in Unsicherhe­it, einer kraftvoll fordernden Chorfuge und der flehenden Bitte der Sopranisti­n. Fabio Luisi musiziert das mit seinem Orchester und dem leidenscha­ftlich agierenden, von Marcovaler­io Marletta einstudier­ten Chor in großer Intensität und mit starken Kontrasten. Der Raumklang mit im Opernhaus verteilten Trompeten zum „Tuba mirum“, die Klangflute­n, aber auch der freudige Sanctus-Doppelchor vermitteln die starken Energien ebenso wie die spirituell­en Aussagen. Herausrage­nd in ihrer Leuchtkraf­t, Pianokultu­r und Präsenz ist Krassimira Stoyanova, etwas plakativer wirken Veronica Simeoni und der prunkende Tenor Francesco Meli. Der Bassist Georg Zeppenfeld überzeugt mit gewohnter Seriosität und Wärme. Das Publikum feierte diese Produktion mit Ovationen und rhythmisch­em Klatschen, am 18. Dezember ist sie um 23.05 Uhr auf Arte zu sehen.

Vorstellun­gen www.opernhaus.ch

 ??  ?? Weitere am 6., 8., 13., 16., 20., 23. Dezember, 1., 8., 13. Januar. Kartentele­fon: 0041 44 268 64 00,
Weitere am 6., 8., 13., 16., 20., 23. Dezember, 1., 8., 13. Januar. Kartentele­fon: 0041 44 268 64 00,
 ?? FOTO: G. BATARDON ?? Fasziniere­nd: Verdis „Messa da Requiem“mit der Sopranisti­n Krassimira Stoyanova und dem Tanzpaar Yen Han und Filipe Portugal.
FOTO: G. BATARDON Fasziniere­nd: Verdis „Messa da Requiem“mit der Sopranisti­n Krassimira Stoyanova und dem Tanzpaar Yen Han und Filipe Portugal.

Newspapers in German

Newspapers from Germany