Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die getanzte Totenmesse
Verdis „Messa da Requiem“als Ballett am Opernhaus Zürich begeistert aufgenommen
ZÜRICH - Geistliche Werke waren schon öfters Grundlage für eindringliche Choreografien, etwa von Uwe Scholz in Leipzig oder John Neumeier in Hamburg. Nun ist am Opernhaus Zürich eine in Musik und Tanz überwältigende Interpretation von Giuseppe Verdis „Messa da Requiem“zu erleben, als Gesamtkunstwerk von Solisten, Chor, Orchester und Ballett.
Alle wirken zusammen: Zürichs Generalmusikdirektor Fabio Luisi steht am Pult, Ballettdirektor Christian Spuck ist Regisseur und Choreograf. Der große Chor singt das Requiem auswendig und ist in die Szene einbezogen, mit ihm verkörpern 36 Tänzerinnen und Tänzer mit großen und kleineren Solorollen und vier glänzende Gesangssolisten die Musik und die Emotionen von Angst, Schrecken und Hoffnung, die der große Musikdramatiker Verdi in seiner Totenmesse eingefangen hat.
Christian Schmidt hat einen nackten, betongrauen Raum geschaffen, schwarzer, wie Lava-Asche wirkender Staub wird aufgewirbelt, schwarze Tische, ein Projektionsscheinwerfer – eine beklemmende Atmosphäre. Zwischen der Sequenz „Dies irae“(Tag des Zorns) und dem Offertorium beschreiben Choristen und Tänzer die Wand mit Kreide – es entsteht ein Menetekel, das wieder verwischt wird und dann einer grafischen Partitur ähnelt. Die Kostümbildnerin Emma Ryott kleidet den Chor, die Solisten und viele der Tänzer in schwarze Gewänder, ein rostrotes Oberteil, hautfarben seidig schimmernde Kleider und ein weich fließendes weißes Kleid heben sich ab und setzen Akzente.
Christian Spuck „erzählt“keine durchgehende Handlung, spiegelt nicht das Fegefeuer, das im „Dies irae“mit flammender Gewalt, heftigen Paukenschlägen und Bläserattacken imaginiert wird. Er übersetzt, verdoppelt nicht und bringt doch im Tanz all das Flehen, alle Verzweiflung und Angst in einer ungeheuer vielfältigen Bewegungssprache zum Ausdruck. Da ist Katja Wünsche, die in der Wiederholung der im Pianissimo gehaltenen „Requiem“-Rufe in geschmeidigen, weit gedehnten Bewegungen tief am Boden agiert. Da macht William Moore in virtuosen Sprüngen, wilden Zuckungen und Verwerfungen die Urkraft der Angst vor dem Jüngsten Gericht deutlich; wenn das „Dies irae“im letzten Satz wiederholt wird, unterstreichen Chor und Corps de Ballet seinen Ausbruch mit verzweifelt geschüttelten Fäusten.
Im Offertorium „Hostias et preces tibi“denkt man im eng verflochtenen Tanz zweier Männer und einer Frau an Opfer und Tod. Es sind starke Bilder, in denen sich Musik und Bewegung inspirieren, in denen auch der Chor und das Quartett der Gesangssolisten mit den Tänzern verbunden sind. Am intensivsten ist das vielleicht im ruhig fließenden „Agnus Dei“mit den Stimmen von Krassimira Stoyanova, Veronica Simeoni, dem verhalten singenden Chor und der so innigen Symbiose von Yen Han und Filipe Portugal gelöst.
Frenetisch gefeiert Verdi ringt in seinem Requiem um Antworten, er lässt Fragen offen, endet nicht in Glaubensgewissheit, sondern in Unsicherheit, einer kraftvoll fordernden Chorfuge und der flehenden Bitte der Sopranistin. Fabio Luisi musiziert das mit seinem Orchester und dem leidenschaftlich agierenden, von Marcovalerio Marletta einstudierten Chor in großer Intensität und mit starken Kontrasten. Der Raumklang mit im Opernhaus verteilten Trompeten zum „Tuba mirum“, die Klangfluten, aber auch der freudige Sanctus-Doppelchor vermitteln die starken Energien ebenso wie die spirituellen Aussagen. Herausragend in ihrer Leuchtkraft, Pianokultur und Präsenz ist Krassimira Stoyanova, etwas plakativer wirken Veronica Simeoni und der prunkende Tenor Francesco Meli. Der Bassist Georg Zeppenfeld überzeugt mit gewohnter Seriosität und Wärme. Das Publikum feierte diese Produktion mit Ovationen und rhythmischem Klatschen, am 18. Dezember ist sie um 23.05 Uhr auf Arte zu sehen.
Vorstellungen www.opernhaus.ch