Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Schwaben sind nicht maulfaul
Ein Weingartener hat fast 3000 Mundartsprüche gesammelt und als Buch veröffentlicht
WEINGARTEN - Martin Luther hat seinen Zeitgenossen geraten, dem Volk aufs Maul zu schauen, um es zu verstehen. Der aus Weingarten stammende und in Griesingen bei Ehingen lebende pensionierte Schulmeister Ludwig Michael Dorner versteht sein Volk, weil er ein passionierter Oberschwabe ist. Er beherzigt Luthers Empfehlung aus purer Leidenschaft und ist dabei zum Buchautor geworden.
Den Hang, den Dingen sprachlich auf den Grund zu gehen, hat Dorner wohl von seinem verstorbenen Vater geerbt, den viele Weingartener noch als Redakteur des Narrenblättles und Stadtchronisten in guter Erinnerung haben. Seine volkskundliche Passion und die berufsbedingte Neigung zur Belehrsamkeit haben Ludwig Michael Dorner dazu animiert, seit rund 40 Jahren oberschwäbische Sprüche, Redensarten, Verse und Liedtexte zu sammeln, mit Kommentaren und Erklärungen zu versehen und in Buchform herauszubringen. Bereits in den 1990er-Jahren sind auf diese Weise zwei kleinere Bändchen im Eigenverlag erschienen. Die Ohren gespitzt und eifrig mitgeschrieben hat der Buchautor aber weiterhin bei allen sich bietenden Gelegenheiten. Im Lauf der Jahre ist zudem ein ganzes Netzwerk an Zuträgern entstanden, die Ludwig Michael Dorner mit mundartlichen Leckerbissen aus der Region zwischen Donau und Bodensee füttern. Sein Sammelsurium hat Dorner fein säuberlich aufbereitet und kategorisiert. Herausgekommen ist dabei ein fast 600 Seiten starkes Buch, das die Biberacher Verlagsdruckerei jetzt in den Handel gebracht hat unter dem Titel „Etz isch noch go gnuag Hai hunta!“veröffentlicht hat – einem Spruch, den der Autor folgendermaßen ins Schriftdeutsche übersetzt und erklärt: „Jetzt ist dann demnächst genug Heu herunten!“Er stammt aus der bäuerlichen Viehfütterung, als man vom Heuboden (Lagerraum im Dachgeschoß) die benötigte Tagesration an Heu oder Öhmd (2. Grasschnitt) durch eine Luke abwarf, um sie dann dem Vieh vorzulegen. Sinngemäß: „Für heute ist es genug gearbeitet, lasst uns Feierabend machen. Oder: Warnung an einen anderen, er habe genug provoziert. Das Maß sei jetzt voll.“
Giftige Komplimente Das Beispiel verdeutlicht, dass dieses Buch nicht nur für eingefleischte Oberschwaben eine höchst vergnügliche Fundgrube an Vertrautem und bislang Unbekanntem ist, sondern auch dem Zugezogenen hilft, die Wesensart und den hintersinnigen Humor von Menschen zu verstehen, die er bislang vielleicht für naive Hinterwäldler hielt. Mit diesem zweifelhaften Ruf kokettiert der Oberschwabe selbst gern, wie an vielen der hier präsentierten Redensarten unschwer zu erkennen ist. Und er verpackt seine kleinen Gemeinheiten vorzugsweise in Komplimente, deren Gift nur der Eingeweihte wittert.
Eine weitere Erkenntnis offenbart diese Sammlung von Mundart-Sprüchen: Der Oberschwabe hat zwar die Fähigkeit entwickelt, in einem kurzen Satz vieles auch mehrdeutig auszudrücken, was ihm den Ruf eingebracht hat, maulfaul zu sein. Aber er verfügt dazu über einen reichen Schatz an Ausdrucksmöglichkeiten, Sprachwitz und Schlagfertigkeit.
Wie der Autor in seinem Vorwort berichtet, hat er seine Sammeltätigkeit noch längst nicht eingestellt. Man kann den Buchtitel also getrost als Drohung verstehen. Von Ludwig Michael Dorner ist daher in Zukunft weiteres Lesefutter zu erwarten, gewürzt mit allen Zutaten barocker Lebensart: vielmals derb, aber auch versonnen, bisweilen angereichert mit einem Schuss Erotik, aber immer mit Bodenhaftung und einem verschmitzten Augenzwinkern.
„Etz isch noch go gnuag Hai hunta!“,