Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Trauern vor Strass-Steinen
Christliche Symbolik verliert bei der Grabgestaltung an Bedeutung, Hinterbliebene entscheiden sich immer häufiger für weltlicheMotive
RAVENSBURG - Während auf dem Ravensburger Westfriedhof friedvolle Stille herrscht, kreischt gleich daneben in einer Werkshalle die Kreissäge. Von Staub umhüllt und hoch konzentriert schneidet Fabian Storrer in seinem gleichnamigen Betrieb einen groben Klotz in Form. Der 27-Jährige ist ein Könner seines Fachs: ein ausgelernter Steinmetz und Steinbildhauermeister, vor allem spezialisiert auf die Herstellung von Grabsteinen. Geschickt verwandelt er massive Rohblöcke mit Hammer und Meißel über mehrere Stunden in Schmuckstücke, die er dann selbst aufstellt. Storrer ist stolz auf sein traditionelles Handwerk, das aber immer weniger der rund 11 000 deutschen Steinmetze genauso umfangreich anbieten wie er.
Schon längst beeinflusst die Globalisierung auch die Bestattungskultur. Wer heute einen Friedhof betritt, geht auf eine Weltreise. Im noch so kleinsten katholischen Dorf glänzen hochpolierte und bunt gemaserte Grabsteine aus aller Herren Länder um die Wette. Diese kommen meist komplett fertig aus dem Ausland und werden hier von den Steinmetzen nur noch für den Verkauf ausgestellt. „Viele Handwerker sind im Grunde bloß Händler. Ich habe aber Steinmetz und nicht Kaufmann gelernt“, sagt Storrer, der selbst lieber europäisches Gestein zum Grabdenkmal verarbeitet und auch dafür genügend Kunden findet, weil diese bei der Wahl des Steins den ökologischen Aspekt berücksichtigen und Wert auf deutsche Handarbeit legen. Doch obwohl Berichte über miserable Zustände und Kinderarbeit in asiatischen Steinbrüchen in den Medien die Runde machen, liegen weiterhin die industriell gefertigten Grabsteine im Trend. „Es sind vor allem die außergewöhnlichen Farben, Maserungen und glitzernden Einschlüsse der exotischen Gesteine, die begeistern und zum Kauf verlocken“, sagt Storrer. Auch Glas- und Metallelemente würden mehr nachgefragt.
Personenbezogenes Design Die Tendenz zu einer modernen, auffälligeren Grabgestaltung verdeutlicht nicht nur das unterschiedliche Material, sondern auch die Art der Dekoration. Zwar geht es auf den Friedhöfen im Südwesten eher traditionell konservativ zu. Noch immer stehen Bibelsprüche und christliche Zeichen wie Madonnen und Kreuze hoch im Kurs. Doch treten diese zunehmend in den Hintergrund, weil mehr und mehr Angehörige ihrer Verstorbenen möglichst individuell gedenken wollen.
Viele Hinterbliebene entscheiden sich nach Angaben des Bundesverbands der deutschen Steinmetze für weltliche Bilder, die das Leben und die Persönlichkeit des Verstorbenen widerspiegeln sollen. Konjunktur haben daher besonders die im Osten Deutschlands beliebten Porträts sowie nichtreligiöse Darstellungsformen. Dadurch wird das Design der Gräber personenbezogener.
„Es werden nun auch in unseren Breiten häufiger Motive gewünscht, die Hobbys darstellen, zum Beispiel Snowboards oder Berge“, sagt Andrea Maucher, Inhaberin der Firma Natursteine Maucher in Vogt. Auch auf dem Ravensburger Westfriedhof finden sich laut Fabian Storrer vermehrt solche Bilder auf den Grabsteinen. „Ich habe schon einen Motorradfahrer mit seiner Maschine, ein Segelboot und ein Bergpanorama umgesetzt.“Etwa fünf Prozent seiner Kunden wünschen sich Motive dieser Art. Mit Wachstum sei zu rechnen. Zurzeit arbeitet der junge Steinmetzmeister daran, mit dem Mehlsack das Ravensburger Wahrzeichen auf einem grünlichen Gneis aus dem Alpenraum zu verewigen. Dass Hinterbliebene mehr mitgestalten als früher und nicht einfach betende Hände aus dem Katalog aussuchen, dient laut dem Verband auch der Trauerbewältigung. Trauernde würden es als letzten Dienst am Verstorbenen begreifen. Sie überlegen sich teils sogar Ideen für ihr eigenes Grab. „Ich kenne das Beispiel eines Musikdirektors, der einzelne Noten seiner Lieblingsoper auf seinem Grab haben wollte“, erzählt Storrer.
Pflegeleichte Gräber sind beliebt Viele Friedhofsverwaltungen reagieren auf den Trend zu mehr Individualismus und weichen in Absprache mit den Steinmetzen und Gärtnern ihre strengen Regeln auf, um persönliche Designs oder Ideen wie Friedhofsgärten und Themengrabanlagen als Alternative zu den herkömmlichen Anlagen zu ermöglichen. Sehr beliebt sind zurzeit zudem naturnahe Gräber und pflegeleichte Urnenfelder mit weniger Pflanzfeldern, bei denen ein Rasenmäher ausreicht, um für Ordnung zu sorgen.
Bei der Kostenfrage teilt sich die Gesellschaft: „Es gibt eigentlich zwei verschiedene Kundschaften. Die einen wollen ein möglichst günstiges Grab und entscheiden sich daher meist für die Urne, die anderen legen hingegen viel Wert auf Beratung und bringen manchmal eigene Designs für Gräber mit“, erzählt Fabian Storrer. Letzteren sei der Preis relativ egal, es zähle für sie einzig ein würdiges und wertiges Ergebnis.
Dass wie andernorts auch im Bodenseeraum sogenannte QR-Codes angesagt sind, haben weder Andrea Maucher noch Fabian Storrer feststellen können. Diese quadratischen Codes werden entweder per Metallplatte am Stein angebracht oder gleich eingraviert. Dann können sie per Handy-App gescannt werden, woraufhin sich eine extra angelegte Internetseite öffnet, die dem Betrachter mehr über den Beerdigten erzählt. Auch Steinmetz Claudius Kreml hat die Codes an hiesigen Gräbern noch nicht ausfindig gemacht. Diese digitale Form des Gedenkens sei wohl noch ein Großstadt-Phänomen, meint der Steinmetz aus Friedrichshafen. Dafür kenne er ebenfalls viele weltliche Symbole auf Gräbern: „Ich habe hier schon Schiffe, Zeppeline oder Lastwagen auf den Grabsteinen gesehen“, sagt er und stimmt damit seinen Kollegen zu. „Die Nachfrage nach klassischen Ornamenten geht meiner Meinung nach eindeutig zurück.“
Bunte Mischung in der Stadt Früher haben sich die Leute laut Claudius Kreml für Buchstaben aus Bronze entschieden, jetzt sei der hellere Edelstahl beliebt. Die Neigung zu Außergewöhnlichem sei deutlich zu erkennen: „Beispielsweise sind glitzernde Materialien und Vergoldungen beliebt sowie Steine wie der lila-bläuliche Orion-Granit oder der grünliche Diabas“, sagt der 29-Jährige. Ländliche Friedhöfe würden sich dabei trotz des allmählichen Wandels immer noch sehr von den städtischen unterscheiden. „Hier guckt man oft noch, was der Nachbar macht und ahmt ihn nach. In einer Stadt wie Stuttgart geht es bei der Gestaltung mittlerweile ziemlich bunt gemischt zu“, sagt Kreml.
Die vielgestaltigen Auswüchse der individuelleren Grabgestaltung beobachtet Obermeister Stefan Joser aus Leutkirch mit gemischten Gefühlen. „Früher war es wichtiger, die Größe Gottes und das Bekenntnis zum Glauben zum Ausdruck zu bringen. Die Verherrlichung der Auferstehung Christi galt als das Schönste, was man am Grabmal darstellen kann. Es war ein Statussymbol“, sagt Joser.
Heute spiele das Religiöse und Traditionelle immer weniger eine Rolle. Gräber würden von den Angehörigen daher selbstbewusster und persönlicher gestaltet, was grundsätzlich nicht verkehrt sei. Doch gelänge die Individualisierung oft nicht pietätvoll genug. Dem Vorstandsmitglied der Steinmetz- und Steinbildhauer-Innung Oberschwaben sei es ein Graus, wenn Begräbnisstätten durch kitschige Engel, Strass-Steine und willkürliche Materialkombinationen zu Jahrmärkten verkommen.
Angehörige an die Hand nehmen Stefan Joser ist es besonders wichtig, dass der ideale Friedhof den Hinterbliebenen zwar Freiheiten bietet und ihren Bedürfnissen gerecht wird. Zugleich sollen die Verwaltungen die Angehörigen aber mehr an die Hand nehmen, um ein harmonisches Gesamtbild des Friedhofs und eine angemessene Trauerstätte zu gewährleisten. „Der Friedhof ist immer das Gedächtnis einer Stadt, ein Ort der Erinnerung und Trauerbewältigung für alle“, sagt Joser. Ein würdevolles Erscheinungsbild sei daher unumgänglich.