Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wo einst der Kaiser übernachtet haben soll
Die Kurie war Unterkunft für vornehme Gäste des Klosters, Apotheke, Wohnhaus und Pfarrhaus
WEINGARTEN - Die Eingangstür liegt verschlossen hinter einem Gitter, dunkel ist es hinter den Fenstern. Seit das Pfarrbüro St. Martin im Frühjahr aus dem Gebäude am Kirchplatz 6 ausgezogen ist, steht die Kurie leer. Dabei ist das Haus am Westhang des Martinsberges in Weingarten lange Zeit ein Symbol des weltoffenen Klosterlebens gewesen – heute sind die Türen versperrt.
Es war Abt Gerwig Blarer, der während seines 47 Jahre andauernden Vorsitzes des Klosters Weingarten die Kurie erbauen ließ. Das Gebäude mit den zwei Beobachtungstürmen, das oberhalb des Münsterplatzes steht, war ursprünglich als Unterkunft für vornehme weltliche Gäste gedacht. Tatsächlich soll sogar Kaiser Maximilian (1527 bis 1576) in einem Gemach der Kurie übernachtet haben.
Dass das Gebäude auf den zum kaiserlichen Rat ernannten Abt Blarer zurückzuführen ist, war lange Jahre anhand seines Wappens abzulesen. In Sandstein gemeißelt, war am linken der beiden Türme ein Hahn zu erkennen, kombiniert mit Blarers Leitspruch „Sucut fumus dies mei“(Meine Tage vergehen wie Rauch). Heute lassen sich jedoch nur noch Fragmente des einstigen Wappens ausmachen. Unverändert geblieben ist die Schlossarchitektur der Renaissance, der die Kurie mit ihren Erkern zuzuordnen ist.
Im Osten neben der Kurie ließ Abt Wegelin Ende des 16. Jahrhunderts die sogenannte Infirmaria, ein Krankenhaus, bauen. Das benachbarte Gebäude hatte auch Auswirkungen auf die Nutzung der Kurie. Denn schon lange hatte es im Kloster Weingarten Patres gegeben, die als Apotheker tätig waren. Die Anforderungen an diese als „Apothekerverweser“bezeichneten Mönche waren hoch: Man verlangte von ihnen Akkuratesse, Sauberkeit, Treue, Rechtschaffenheit und Nüchternheit zu jeder Stunde.
Mönche arbeiten in Apotheke Ihren Dienst leisteten sie in der Klosterapotheke, die in der Kurie eingerichtet wurde: „Geselle un[d] Lehrling haben sich grundsätzlich um 6 Uhr früh in der Apotheke einzufinden, um dort bis 6 Uhr abends zu verbleiben“, heißt es in einer historischen Arbeitsbeschreibung. Vor Dienstbeginn hatten sie die heilige Messe zu hören, außerdem sollten sie regelmäßig zur Beichte erscheinen. Der „Apothekerverweser“verdiente im Jahr 75 Gulden, der Geselle bekam 45.
Trotz langjähriger pharmazeutischer Arbeit im Kloster Weingarten wurde die Apotheke erst Ende des 18. Jahrhunderts in der Kurie untergebracht. Ihre Geschichte auf dem Martinsberg reicht weit über die Säkularisierung hinaus. Johann Anton Hund, der letzter Verwalter der klösterlichen Apotheke war, führte diese auch dann fort, als das Gebäude 1803 in den staatlichen Besitz übergegangen und das Kloster aufgelöst worden war. Noch bis 1842 leitete er die Klosterapotheke: Mit der NassauOranischen Oberverwaltung hatte er einen Pachtvertrag auf Lebenszeit ausgehandelt – ohne jegliches Pachtgeld zu zahlen. Hund verzichtete im Gegenzug auf Besoldung und auf Pension, zahlte an die fürstliche Generalkasse lediglich die vorrätigen Medikamente und Materialien.
In den 1840er-Jahren war es Alois Wahl, damaliger Bäckermeister im Kloster und der letzte Winzer von Weingarten, der die Klosterapotheke von Johann Anton Hund übernahm. Bis die Apotheke 1911 in die Karlstraße zog, hatte sie bis zu zehn Mal den Betreiber gewechselt. Die Pfarrgemeinde St. Martin kaufte das Haus im Jahr 1917 zurück. „Seitdem ist es das einzige Gebäude auf dem Martinsberg, das nicht im Besitz des Landes Baden-Württemberg ist“, erklärt Pfarrer Ekkehard Schmid.
Wohnung für Krankenschwestern Doch die Kirchengemeinde nutzte die Kurie zunächst gar nicht selbst: Bis 1922 bewohnten sechs Franziskanerpatres die Räume oberhalb des Münsterplatzes, anschließend lebten darin bis 1952 die Stadtkrankenschwestern. Erst danach wurde das Pfarrbüro dort eingerichtet. „Bis zum Umzug in das Konventgebäude waren dort wesentlich das Pfarrbüro, Besprechungs- und Büroräume für Pfarrer und pastorale Mitarbeiter der Kirchengemeinde St. Martin untergebracht“, sagt Pfarrer Schmid. Er weiß auch: Als Kurie werde heute eigentlich nur jener große Raum im Obergeschoss des Gebäudes bezeichnet, der mit seinen beiden Erkerchen zum Münsterplatz hin zeigt und eine restaurierte Kassettendecke aus dem 16. Jahrhundert beherbergt.
„Wie schon bei den Benediktinern wird dieser markante Raum noch immer als Arbeitszimmer für den Pfarrer von St. Martin genutzt“, weiß Schmid. In das alte Pfarrbüro wird künftig das historische Pfarrarchiv von Altdorf-Weingarten einziehen. „Es war bis zum ScherzachHochwasser in den Räumen der Kirchenpflege untergebracht, ist zwischenzeitlich gereinigt und restauriert und im Diözesanarchiv in Rottenburg zwischengelagert worden.“
Lesen Sie demnächst: Vom Klostergefängnis bis zur Wäscherei – wie sich der Turm am östlichen Rand des Klosterareals verändert hat.