Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nächste Station Mond
Russland nimmt Kurs auf schrittweise Kolonisierung des Erdtrabanten – Ambitioniertes Programm startet 2019
RAVENSBURG - Fedor macht bereits Liegestützen, bohrt Löcher in eine Metallplatte, hebt 20 Kilogramm schwere Hanteln und fährt Auto. In einer nicht allzu fernen Zukunft, so die Hoffnung der Ingenieure in der Moskauer Hightech-Innovationsschmiede FPI, wird der menschenähnliche Roboter auch Reparaturarbeiten im Weltall erledigen und eine russische Basis auf dem Mond bauen können.
„Als Kosmonaut gut geeignet. Fedor wird es weit bringen“, kommentierte im Oktober voller Stolz VizeRegierungschef Dmitrij Rogosin ein Facebook-Video, mit dem er den Prototyp des 1,84 Meter großen, stählernen Raumfahrers vorstellte. Laut Rogosin wird der ferngesteuerte Roboter 2021 als Co-Pilot das neue russische Raumschiff „Federazija“(Föderation) auf seinem ersten Jungfernflug in der Erdumlaufbahn steuern. Geht alles nach Plan, wollen die FPI-Entwickler Fedor später auf eine etwa 800 000 Kilometer weite Testreise zum Mond und wieder zurück schicken.
2031 sollen Kosmonauten auf dem Mond landen Was wie Science-Fiction klingt, wird seit Monaten in Moskau ernsthaft diskutiert. Mehrere Forschungsinstitute, Konstruktionsbüros und Unternehmen arbeiten mit Hochdruck daran, die Bausteine eines teuren und ehrgeizigen Projekts zu entwickeln, das den einstigen Weltraumpionieren viel Ruhm und einzigartige wissenschaftliche Erkenntnisse sichern soll. 62 Jahre nach der erfolgreichen Landung von Apollo 11 im Mare Tranquilitatis will die Ex-Supermacht ihre alte Schmach des verlorenen Wettlaufs zum Erdtrabanten endlich wiedergutmachen.
2031 sollen erstmals russische Kosmonauten den Mond betreten. Davor und danach plant die Raumfahrtagentur Roskosmos eine intensive Erforschung des natürlichen Satelliten der Erde mit fünf Sonden, zwei Mondmobilen, einer neuen Raumstation im Lunarorbit und Robotern, die eine Forschungsstation errichten sollen. Die Kosten des gesamten Programms bezifferte Roskosmos zuletzt mit umgerechnet 16 Milliarden Euro.
Es ist wohl kein Zufall, dass das Land unter der Führung des Autokraten Wladimir Putin sich in einer seiner schwierigsten Entwicklungsphasen einer gewaltigen finanziellen und technischen Herausforderung stellen will. Der Kreml sieht im neuen Mondprogramm auch ein geeignetes politisches Mittel, um die Nation um den umstrittenen Präsidenten zu einigen, der möglicherweise noch bis 2024 an der Macht bleiben wird.
Putin hat es in den vergangenen Jahren geschafft, an manche Traditionen der untergegangenen Sowjetunion anzuknüpfen und in seinen Landsleuten patriotische Gefühle zu wecken. Der Nationalstolz auf neue Erfolge in der Raumfahrt soll für die Russen die schwierige wirtschaftliche Lage ihres Landes und die wachsende außenpolitische Isolation nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim aufwiegen.
Eine andere Motivation für Moskauer Mondträume ist das nahende Ende der Internationalen Raumstation ISS, die 2024 aufgegeben werden soll. Russland erwägt derzeit, seine Module aus der ISS auszukoppeln und sie als kleines Weltraumlabor im All zu betreiben. Roskosmos und dem Raumfahrtkonzern Energija wäre dies jedoch noch nicht ambitioniert genug. Darum schlägt etwa Energija vor, eine russische Station im Erdorbit künftig für einen Shuttle für Lasten und Astronauten zu nutzen, der zwischen ihr und einer Station in der Mondumlaufbahn kursieren könnte.
Russlands großer Sprung zum Mond soll mit dem Testbetrieb des neuen Raumschiffs „Federazija“beginnen, das das alte kosmische Arbeitspferd „Sojus“(seit 1967) ablösen soll. Das dreifach geräumigere Transportmittel soll ab 2023 bis zu sechs Astronauten zur ISS befördern. Mit Blick auf die zukünftigen Mondflüge wird „Federazija“so konzipiert, dass es auch eine vierköpfige Besatzung auf einem mindestens 30 Tage langen, autonomen Flug beherbergen kann.
2019 ist der Start der Mission „Luna-Glob“geplant. Erstmals seit „Luna 24“im Jahr 1976 soll eine russische Sonde zum Mond fliegen und dort insbesondere die Polargebiete erforschen. Mehrere Sonden haben in diesen Regionen Wassermoleküle nachgewiesen. Zudem können die Solarzellen dort wegen der günstigen Lage im Sonnenlicht fast ununterbrochen Energie produzieren.
Moskau entwickelt für die Mondmission eine „Superrakete“Andererseits gelten manche permanent im Schatten gelegene Krater an den Polen als „natürliche Kühlschränke“. Die Wissenschaftler hoffen, dort eingefrorene Kometenreste erforschen zu können, die Aufschluss über die Bildung unseres Sonnensystems geben könnten.
Bis 2024 will Russland drei weitere Sonden zum Mond schicken, die den geeignetsten Ort für eine lunare Basis finden und die Landetechnologie erproben sollen. Die letzte dieser Sonden soll auf der Oberfläche das fahrende Mondlabor „Lunochod“mit einem Atomantrieb absetzen. Die Sowjetunion war mit „Lunochod 1“der Wegbereiter bei der Erforschung von anderen Planeten mit Rovern. Das erste extraterrestrische Fahrzeug dieser Art, das einer Badewanne auf acht Rädern nicht unähnlich war, blieb 1970 etwa zehn Monate lang in Betrieb, legte 10,5 Kilometer zurück und funkte rund 20 000 Bilder zur Erde. Sein Nachfolger soll dank der Energieversorgung von einer Radionuklidbatterie 400 Kilometer weit fahren können.
Moskau will für die Mondmissionen eine schwere „Superrakete“entwickeln, die vom neuen Weltraumbahnhof „Wostochny“im Osten des Landes starten soll. Nach derzeitigen Planungen soll sie das Raumschiff „Federazija“mit dem Roboter Fedor an Bord erstmals 2026 in die Mondumlaufbahn bringen. Ein Jahr später ist eine bemannte Mondumrundung geplant: Russland würde endlich zum amerikanischen „Apollo“-Programm der 1960er-Jahre aufschließen können.
Kooperation statt Konfrontation im All Dabei denkt Moskau diesmal an eine Kooperation statt einer Konfrontation im All. Roskosmos führt nach eigenen Angaben mit den ISS-Partnerorganisationen Gespräche über eine mögliche gemeinsame Raumstation, die in einem niedrigen Mondorbit von 100 Kilometer Höhe betrieben werden könnte. Nach russischen Angaben wäre eine solche Station vermutlich vier- bis fünfmal kleiner als die heutige ISS. Aus der Mondumlaufbahn sollen russische Kosmonauten dann einen Robotertrupp fernsteuern, der am Boden eine Forschungsbasis aufbaut.
Raumfahrtexperte Igor Mitrofanow von der Akademie der Wissenschaften sieht sie als ein Wohn- und Arbeitsmodul, das mit einer Schutzschicht von der gefährlichen Weltraumstrahlung abgeschirmt werden soll. Dazu wollen bis 2018 Ingenieure aus der Wolgastadt Samara einen Prototyp eines 3-D-Druckers präsentieren, der mit der gebündelten Energie von Sonnenstrahlen in einer Art Ofen aus dem Regolith (Mondgestein) Baublöcke „backen“soll. Die Energie für den Basisbetrieb werde möglicherweise ein kleiner Atomreaktor unter der Mondoberfläche liefern, heißt es in Moskau.
2031 soll schließlich ein Kosmonaut den neuen Außenposten der Weltraumgroßmacht betreten können. Alle weiteren russischen Mondpläne stehen noch in den Sternen. Es gibt Vorschläge, von wechselnden Teams ein Radioteleskop zu betreiben oder Bodenschätze zu fördern. Auf dem Mond ständig leben wollen die Russen jedoch nicht. „Es wird dort keine Siedlung mit Kühen geben, wie hier auf der Erde“, sagte im Frühjahr der Direktor des bemannten Raumfahrtprogramms von Roskosmos, Sergej Krikaljow.