Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Auf der Suche nach dem neuen Klang
Pietari Inkinen mit Alexei Volodin und dem SWR-Sinfonieorchester im Graf-Zeppelin-Haus
FRIEDRICHSHAFEN - Gleich zwei kurzfristige Künstlerabsagen gab es beim ersten Auftritt des „neuen“SWR-Sinfonieorchesters im GrafZeppelin-Haus. Anstelle von David Zinman übernahm der junge finnische Dirigent Pietari Inkinen die Leitung. Für den Starpianisten Arcadi Volodos sprang sein ebenfalls aus Petersburg stammender Kollege Alexei Volodin ein. Trotz dieser krankheitsbedingten Änderungen hielt man am vorgesehenen Programm fest, das mit Musik von Carl Maria von Weber, Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms auf bewährtes Kernrepertoire setzte.
Die Ouvertüre zu Webers Oper „Euryanthe“, Beethovens drittes Klavierkonzert oder die erste Sinfonie von Brahms sind Standardwerke, die erfahrene Dirigenten beziehungsweise Solisten jederzeit aus dem Ärmel ziehen können. Die Darbietungen an diesem Abend wirkten gleichwohl bei aller Professionalität des Spiels etwas unpersönlich. Künstlerisches Herzblut vermisste man über weite Strecken. Die wechselnden, nicht leicht unter einen Hut zu bringenden Klangsituationen von Webers Ouvertüre hatte Inkinen gut im Griff, auch wenn manche Einsätze nicht kompakt gelangen.
Dass Beethovens Klavierkonzert c-Moll mit relativ großer Orchesterbesetzung und einem modernen Flügel präsentiert wurde, tat dem Stück keinen Dienst. Man muss diese Musik aus dem Jahr 1800 nicht unbedingt historisch korrekt aufführen. Die klassisch-schlanke Welt ihrer harmonischen und rhythmischen Substanz kam jedoch etwas schwerfällig daher. Im Verbund mit fehlender Spontanität mutete das Klangbild überproportioniert, die Wiedergabe seltsam steril und unbeteiligt, stellenweise fast gelangweilt an.
Pianist lässt Dialog vermissen Volodin spielte konzentriert und technisch brillant, machte aber nicht den Eindruck innerer Hingabe. Hörbare Lust am partnerschaftlichen Dialog mit dem Orchester vermisste man ebenso wie jene improvisatorische Komponente und geradezu übermütige Vitalität, auf die Beethovens op. 37 angelegt ist. Der Solopart sollte klingen, als werde er taufrisch von Neuem erfunden. Die virtuos aufgedonnerte Kadenz des Kopfsatzes klang in diesem Kontext eher wie ein Fremdkörper.
Dass Volodin ein begnadeter Pianist ist, blitzte dennoch immer wieder auf – etwa bei delikaten Pianissimi oder beim innigen Gesang des Largo-Satzes. Auch bei seiner Zuga-be demonstrierte er, welche eminenten manuellen und musikalischen Fähigkeiten ihm zu Gebote stehen. Souverän zauberte er hier eine wahrhaft orchestrale Fülle an Farbwerten, feinste Abtönung dynamischer Werte und klar vernehmliche Polyphonie der Stimmverläufe aus dem Flügel.
Merkwürdig gesichtslos geriet Inkinen und dem SWR-Sinfonieorchester die Interpretation von Brahms’ erster Sinfonie c-Moll. Der Kopfsatz dieses „Sorgenkinds“, mit dem sich der Komponist jahrelang abgemüht hat, tönte angestrengt und wenig inspiriert. Auch bei den Mittelsätzen fehlte es der Wiedergabe an Klangmagie und Präszision bei der Koordination. Manche Passagen zogen prosaisch trocken vorüber. Mehr Spiellaune hätte da nicht geschadet. Erst der Finalsatz gelang mit imposanter Dramatik.
Orchester muss sich noch finden Unüberhörbar blieb, dass dieses Orchester seinen Klang noch finden und sich selbst „erfinden“muss. Die im vergangenen Herbst vollzogene Zusammenlegung des Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg und des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart ist in ihren Auswirkungen musikalisch keineswegs schon überstanden. Insgesamt rund 170 Musiker sollen in den kommenden fünf bis zehn Jahren ohne Entlassungen auf etwa 120 reduziert werden. Zurzeit beeinträchtigt das die Probenarbeit, da überzählige Spieler in stetem Wechsel eingesetzt werden müssen.
Dazu kommt, dass noch kein neuer Chefdirigent gefunden werden konnte. Inzwischen haben sich einige Gastdirigenten bereit erklärt, mit dem neuen „Superorchester“(SWRIntendant Peter Boudgoust) zu arbeiten. Das Konzert in Friedrichshafen zeigte, dass es auf dem Weg zu einem gemeinsamen Sound für das Ensemble noch Luft nach oben gibt.