Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Ein heißer Tee, ein offenes Ohr und Zeit
Seit der Vorweihnachtszeit gibt es in Weingarten zwei „Orte des Zuhörens“in der Basilika und in Strobels Lädele
WEINGARTEN - Wohin können Menschen gehen, die viel zu erzählen haben, die etwas bedrückt, die einfach nur mit jemandem reden wollen – aber niemanden mehr haben? Seit der Adventszeit gibt es in Weingarten die „Orte des Zuhörens“. Zweimal in der Woche – mittwochs in „Strobels Lädele“in der Karlstraße und freitags in der Basilika – haben Menschen hier ein offenes Ohr für jeden. Das Angebot wird auch rege genutzt.
An diesem Mittwoch ist nicht viel los auf dem Weingartener Wochenmarkt. Es pfeift ein eisiger Wind, bei Minusgraden stehen die Verkäufer dicht eingewickelt in Mäntel und Mützen hinter ihren Ständen und die Kunden eilen durch die kalten Straßen, auch vorbei an „Strobels Lädele“in der Karlstraße. Das Geschäft wird seit einigen Jahren von Iris Herzogenrath betrieben und ist mehr als nur ein Laden für allerlei Weingartener Andenken, Blutritts-Devotionalien und Antiquitäten. Das „Lädele“ist Treffpunkt für viele Menschen, eigentlich ist es während der Öffnungszeiten – immer während der Marktzeit am Mittwoch – nie leer. Das trifft ganz besonders seit der Vorweihnachtszeit zu. Denn seit November gibt es im Lädele einen „Ort des Zuhörens“.
Drin ist es warm, die Enge des ehemaligen Schreibwarenladens wirkt gemütlich. An der Theke hält Iris Herzogenrath das eine oder andere „Schwätzle“mit den Kunden, einige wollen gar nichts kaufen, sondern nur ein wenig reden. Im hinteren Teil des uralten Gebäudes – es ist mehr als 300 Jahre alt – stehen seit einigen Monaten ein Tisch und mehrere gemütliche Stühle. Für diejenigen, die mehr zu sagen haben, als beim Schwätzle an der Theke gesagt werden kann. Hier sitzt an diesem Mittwoch Carmen Schmidt und wartet auf Gäste.
Die 47-Jährige ist weder Seelsorgerin noch Psychologin – sie ist Zuhörerin. „Es kommen oft einsame Menschen hierher“, erzählt sie. „Viele sind schon etwas älter, einige haben eine Behinderung, manchmal ist die Ehefrau oder der Ehemann verstorben.“Für alle, die den Weg an den Tisch mit den Stühlen finden, hat Carmen Schmidt einen heißen Tee und ein offenes Ohr. „Ich mache das gerne“, sagt die Zuhörerin. „Es ist ein schönes Gefühl, Menschen helfen zu können.“
Gemeinsam mit 14 Kolleginnen verbringt sie regelmäßig Zeit am „Ort des Zuhörens“, entweder im Lädele oder freitags in der Basilika. Die katholische Gesamtkirchengemeinde, die Caritas und die evangelische Kirchengemeinde haben das Projekt gemeinsam auf die Beine gestellt. Das Angebot richtet sich an alle, die viel zu erzählen haben – aber keinen mehr, der ihnen zuhört. „Ich merke auch oft im Laden, dass Menschen einsam sind. Es gibt den alten TanteEmma-Laden nicht mehr, in dem man früher einfach miteinander schwätzen konnte“, sagt Iris Herzogenrath, die für ihr Engagement in Weingarten schon mehrfach ausgezeichnet wurde. „Hier gibt es jetzt einen Ort, wo sie sich aufwärmen können, wo man ihnen zuhört, wo man ihnen vielleicht auch weiterhilft.“
Schweigen ist Pflicht Die 14 Zuhörerinnen – auch Iris Herzogenrath gehört dazu – haben extra einen Kurs besucht. Und sie sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Anliegen, Probleme und Geheimnisse der Menschen sind hier also sicher. „Es kommen die verschiedensten Menschen“, sagt die Ladenbetreiberin. „Manche müssen erst eine Hemmschwelle überschreiten, andere kommen ganz offen auf uns zu.“
So auch im Fall von Martina Bühler. Sie kommt wöchentlich in Strobels Lädele, um ein Schwätzle zu halten. Vor kurzem ist ihre Mutter verstorben, im Lädele findet sie jemanden, mit dem sie darüber sprechen kann. Carmen Schmidt hört ihr aufmerksam zu, während Martina Bühler langsam durch ein Fotoalbum mit Erinnerungen blättert. „Hier sind immer alle so nett“, sagt Martina Bühler. „Ich komme nur zum Reden her.“„Zeit ist das wertvollste, das man geben kann“, sagt Hans Peter Strobel. Der 80-Jährige ist der Inhaber des Lädeles und stand früher noch regelmäßig hinter der Ladentheke. Nun wohnt er immer noch im Haus, das – so sagte er – „älter ist als die Basilika“.
Auch Hans Peter Strobel sucht ab und zu das Gespräch mit den Zuhörerinnen. „Auch ich habe manchmal Dinge, die mich beschäftigen“, sagt der Hausherr. Den Ort des Zuhörens findet er ausgezeichnet, denn es setzt auch ein wenig die Tradition in seinem Laden fort.
„Das Geschäft war früher schon ein Ort der Begegnung und des Zuhörens“, erzählt er. „Sich anderen anzuvertrauen, einfach mal zu reden“, so berichtet Hans Peter Strobel, „ist ein Bedürfnis, das bei vielen erst im Alter kommt. Von daher hätte meinem Geschäft gar nichts besseres passieren können.“Und schließlich, so sagt Strobel mit einem Lächeln, ist das Gespräch mit den Zuhörerinnen einfacher als die Beichte in der Basilika.