Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„In den Provinzen liegt die wahre Kraft“
John K Samson über die Einzigartigkeit langer Winter und die Wichtigkeit kleiner Orte
s gibt nicht viele Musiker, die Gefühle so klischeefrei in melancholische Poesie übersetzen wie John K Samson. Das beweist der kanadische Songschreiber auch mit seinem aktuellen Soloalbum „Winter Wheat“. Darauf zu hören sind auch frühere Bandmitglieder der 2015 aufgelösten The Weakerthans, mit denen der Mittvierziger regelmäßig in Aufzählungen der einflussreichsten Bands Kanadas auftauchte. Daniel Drescher hat ihn in seiner Heimatstadt Winnipeg getroffen. Ein Gespräch über die aktuelle Platte des Kanadiers, die Sucht nach Bildschirmen – und die Wahrscheinlichkeit einer Weakerthans-Reunion.
John, „Winter Wheat“ist während eines langen Winters in deiner Heimatstadt Winnipeg entstanden, hieß es zur Veröffentlichung deiner neuen Platte. Kannst du etwas über das Songwriting und die Aufnahmen erzählen? Die Stücke sind von 2012 bis 2016 entstanden. Die Aufnahmen begannen im Januar letztes Jahr. Ich dachte, es wird schneller gehen, aber wir haben sehr lange gebraucht. Hauptsächlich waren es Jason Tait (früherer Schlagzeuger der Weakerthans - Anm. d. Red.) und ich, wir saßen in seiner Garage und versuchten aufzunehmen. Es war ein auf viele Arten schwieriger Prozess. Sowohl Jason als auch ich hatten damals mit psychischen Problemen zu kämpfen. Wir arbeiteten zwei bis drei Stunden am Tag, mehr war nicht möglich.
Winnipeg gilt als eine der kältesten Städte der Welt, die Winter hier sind rau. Wie beeinflusst dieses Klima dich und deine Musik, aber auch die Menschen hier? Das Wetter verlangsamt die Zeit. Alles muss gut durchdacht sein, die Auswirkungen des Wetters müssen bei allem, was du tust, berücksichtigt werden. Wenn du einmal im Warmen bist, gehst du nicht einfach wieder raus. Ich habe das Gefühl, dass uns das sehr isoliert. Es ist schwierig für Menschen, Winnipeg zu besuchen oder auf Tour Station zu machen. Künstler von weiter weg kommen im Winter nicht so oft hierher. Also müssen wir selbst für unsere eigene Unterhaltung sorgen. Auf diese Art hab ich angefangen mit der Musik und eine Menge anderer Leute auch. Wir brauchen eine Entschuldigung, um zusammenzukommen – denn es braucht etwas Mut, das Haus zu verlassen.
Die Stadt Winnipeg und die Provinz Manitoba sind ein wiederkehrendes Thema deines Schaffens. Woher kommt diese Faszination? Ich bin immer noch verblüfft davon, ich versuche diesen Ort zu verstehen und damit klarzukommen. Es ist wie ein Objektiv, durch das man versucht, Dinge und Orte zu verstehen. Dieser Ort liegt am Rande – sowohl geografisch als auch kulturell.
In Deutschland gilt Berlin als die coolste Stadt des Landes und die Provinz wird dabei oft von oben herab betrachtet. Ich glaube, dass in den Provinzen wahre Kraft liegt. Ich habe das Gefühl, das Kultur sehr zentralisiert wird und das überrascht mich. Das Internet soll doch demokratisierend wirken. Aber stattdessen bündelt es all diese Quellen kultureller Autorität an immer weniger Orten. Und so liegt die wahre Kraft in kleinen und unabhängigen Medien, und genau darum geht es eigentlich bei Musik.
Ein Thema auf „Winter Wheat“ist auch unsere Abhängigkeit von digitaler Technik. Du selbst hast dich aus den sozialen Netzwerken verabschiedet. Wie hat diese Entscheidung dein Leben verändert? Ich bin nicht mehr aktiv an Bord, aber ich fühle mich immer noch beteiligt und soziale Medien definieren mich auch irgendwie, so wie sie jeden definieren. Es ist seltsam, denn es geht ja auch ohne mich weiter, und du kannst dem Ganzen nicht wirklich entkommen. In meinen Augen wirft das interessante Fragen darüber auf, wer wir sind und wie wir Gemeinschaft definieren. Meiner Meinung nach muss Gemeinschaft körperlich sein, Menschen, die zusammensitzen und miteinander reden. Meine Entscheidung war allerdings eher von einem Bauchgefühl geleitet. Soziale Medien gaben mir grundsätzlich ein beunruhigendes Gefühl. Weil du dauernd vernetzt bist und immerzu erreicht werden kannst? Ganz genau. Diese Vernetzung machte mir Angst. Als ich mich zurückgezogen habe, half mir das. Aber ich kämpfe immer noch damit. Soziale Medien können süchtig machen.
Auf „Winter Wheat“hast nun du mit Jason und Greg zusammengearbeitet, deinen früheren Bandmitgliedern von The Weakerthans. Kannst du Dir vorstellen, die Band wieder dauerhaft zusammenzutrommeln? Nicht wirklich. Die Trennung fühlt sich an, als ob man den Fokus enger macht. Meinen eigenen Namen auf der Platte zu haben, machte die Dinge wieder kontrollierbarer. Die Weakerthans waren mit so viel Arbeit verbunden, dass es mir keinen Spaß mehr machte. Vielleicht spielen wir eines Tages mal wieder zusammen ...
Aber aktuell ist nichts geplant, oder? Nein. Wir spielen zwar Weakerthans-Songs, wenn wir zusammen auf der Bühne stehen. Also ist es auch gar nicht nötig. Es ist interessant, was ein Label ausmachen kann. Es fühlt sich trotzdem anders an, wenn man den Namen ändert.
Aber wer die Weakerthans kennt, kennt auch den Namen John K Samson und kauft die CD, oder? Das muss nicht notwendigerweise stimmen. Es gibt Menschen, die die Band kennen, aber viele verstehen nicht, wie es gemacht wird. Die Labels sind sehr wichtig geworden für die Leute. Ich bin mir nicht sicher, was das alles bedeutet, und finde es alles sehr verwirrend. Aber ich fühle auch, dass es hilfreich für mich war, mich von dieser Maschinerie, die die Weakerthans geworden waren, zu entfernen. Wir waren ja keine große Band, aber das Publikum zu verkleinern, war richtig. Große Räume interessieren mich nicht so sehr, und ein kleineres Publikum ist besser für mich. Ich bin dann ein besserer Performer und es gibt mir mehr.
Deine Frau Christine Fellows spielt eine wichtige Rolle in deiner Musik. Wie beeinflusst eure Ehe euren gemeinsamen Kreativprozess – und umgekehrt, wie verändert die Musik eure Beziehung? Unsere Arbeit ist mindestens seit zehn Jahren verflochten. Alles was aus unserem Haus kommt, ist eine Gemeinschaftsarbeit. Es fällt mir schwer zu sagen, wo ihr Einfluss beginnt und wo er endet. Ich habe großes Glück, mit Christine einen Kreativpartner und einen Lebenspartner zu haben. Das ist etwas sehr Wertvolles.
Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr Feedback zu Songtexten oder Kompositionen viel wichtiger ist als das anderer Personen. Ja, und auch viel brutaler. Aber der kreative Prozess braucht auch eine bestimmte Menge brutaler Ehrlichkeit. Das gibt mir sonst niemand. Als Künstler braucht man Menschen, die einen antreiben, bis es wirklich gut ist. Das ist rar, und vielleicht hat es etwas mit dieser gezwungenen Fröhlichkeit zu tun, die soziale Medien ausmacht. Die Leute tun so, als ob sie sich blendend verstehen. Und es werden viel mehr Ausrufezeichen verwendet. Ironischerweise gibt es weniger Ehrlichkeit in unserer Interaktion. Aber wir brauchen das als Künstler. Wir brauchen Komplikationen. Unser Kultur verflacht, es gibt oft nur Liebe oder Hass.
Gutes Argument. Die sozialen Medien verändern ja auch die Sprache, das Internet verändert die Art, wie Menschen kommunizieren. Oft leider nicht zum Positiven. Das ist wahr. Und es sickert auch in die Art ein, wie wir miteinander umgehen. Deshalb sind Äußerungen und Kunst so wichtig. Lesen und Schreiben haben eine zunehmend revolutionäre Kraft.
Wenn du eine Idee für einen Song hast, nimmst du dann direkt auf oder schreibst du dir etwas auf? Ohne Aufnahmegeräte wäre ich nicht überlebensfähig. Ich benutze mein Mobiltelefon und früher war es der Kassettenrekorder. Ständig nehme ich kleine Stückchen und Ideen auf. Es wäre schwierig, sich daran zu erinnern, und ich kann Musik nicht auf Kommando schreiben.