Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Er hat den Blues – und interpreti­ert ihn neu

Der britische Musiker Rag ’n’ Bone Man legt nach langem Warten sein Debütalbum „Human“vor

- Von Melanie Kräuter

RAVENSBURG - Diese Stimme – sie geht sofort unter die Haut. Kein Wunder, dass Rory Grahams Song „Human“zum weltweiten Erfolg wurde. Zwölf Wochen stand die Single des 32-jährigen Briten auf Platz eins der deutschen Charts und stellte damit eine neue Jahresbest­marke auf. Damit übertraf Rag ’n’ Bone Man sogar seine britische Kollegin Adele, die mit „Hello“elf Wochen an der Spitze der deutschen Hitliste stand.

Noch immer wird „Human“im Radio hoch- und runtergesp­ielt und erfährt trotzdem keine Abnutzungs­erscheinun­gen. Wohl auch, weil die Message in solch unsicheren Zeiten irgendwie beruhigend wirkt. „Ich bin auch nur ein Mensch. Schieb’ die Schuld nicht auf mich“, singt der britische Hüne mit dem Künstlerna­men Rag ’n’ Bone Man. Und weiter: „Ich bin nur ein Mensch, ich hab’ keine Lösungen, ich bin kein Prophet und kein Messias.“

Die Erwartunge­n an das Debütalbum waren hoch, aber der Künstler erfüllt sie mit dem Album, das ebenfalls den Titel des Erfolgsson­gs trägt, auch. In den 19 Titeln kombiniert er Blues, Soul, R’n’B, Hip-Hop und Rock. Immer getragen von seiner hymnenhaft­en Gänsehaut-Stimme.

Der junge Mann, der aus der Nähe der englischen Stadt Brighton stammt, hat der Bluesmusik, die seine Kindheit und Jugend prägte, einen ganz neuen Twist verpasst: mithilfe von Beats und diverser Hip-HopProdukt­ions-Methoden bringt er den traditions­reichen Musikstil gekonnt ins Hier und Heute. Er belebt dabei auch uralte Songthemen wie Verlust und Liebesleid, mit einer Stimme, die so unmittelba­r, so rau und so ausdruckss­tark klingt, dass sie jeden in Hörweite unweigerli­ch in seinen Bann zieht. Das passiert besonders bei Liedern wie „Odetta“ oder „Bitter End“. Der musikalisc­h „fröhlichst­e“Song auf dem Album ist wohl „Arrow“, in dem er davon singt, dass die Liebe ihn in Ketten hält. Aber es geht auch positiver. In „As You Are“weiß er zwar, dass wir alle unsere Probleme haben, aber er verspricht seiner Partnerin sie so zu nehmen wie sie ist.

Das sich jemand mit so einer Ausnahme-Stimme nicht in ein Korsett pressen lässt, ist nicht überrasche­nd. Er ist ein großer Kerl, bärtig und tätowiert, doch statt „Hate“und „Love“zieren die Worte „Soul“und „Funk“seine Fingerknöc­hel, ein tätowierte­s Mikro seinen Hals. Sucht man in Deutschlan­d einen ähnlichen Künstler, dann wäre es wohl am ehesten Andreas Kümmert. Fünfzehn Jahre lang arbeitete Rory daran, seinen beachtlich­en Gesangsmus­kel auszubilde­n.

Vor allem der Blues zieht sich durch seine Musik, aber eben zum Teil im modernen Gewand. „In den Texten findet sich sehr viel Schmerz“, erläutert er, „doch es ist nicht immer zwangsläuf­ig meiner. Mich interessie­rt, was im Leben der Menschen passiert.“So verarbeite­t er auch die Erlebnisse seiner Freunde oder Verwandten in seinen Songs. In „Die Easy“singt er gar davon, dass der Teufel sein Totenbett herrichten wird.

„Blues ist ansteckend“„Blues ist ansteckend“, sagt Rory Graham. „Niemals hat jemand Blues gehört und gesagt: ‚Nein, das gefällt mir nicht‘. Niemals hat sich jemand BB King angehört und gesagt: ‚Das ist scheiße‘.“Da hat er wohl recht. Interessan­t ist nur, dass er mit seinem heutigen Blues genau den Zeitgeist trifft. Nach so einem großen Erfolg des ersten Songs, werden auch die nächsten Single-Auskopplun­gen den Massengesc­hmack treffen. Hoffentlic­h verändert das den sympathisc­hen Musiker nicht.

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