Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Immer mehr Flüchtling­e suchen Zuflucht im Frauenhaus

Nach einiger Zeit in Deutschlan­d wehren sich vor allem Syrerinnen gegen Gewalt in der Ehe und Zwangsheir­at

- Von Ruth Auchter

RAVENSBURG - Die Zahl der Flüchtling­sfrauen, die Zuflucht bei der Frauenbera­tungsstell­e suchen, nimmt sprunghaft zu: Gab es Anfang 2016 nur vereinzelt Anfragen über die Sozialarbe­iter der Flüchtling­sunterkünf­te, haben seit Anfang des Jahres bereits 20 Frauen, insbesonde­re aus Syrien, in der Römerstraß­e 4 in Ravensburg angeklopft. Weil sie oder ihre Kinder von ihren Männern so übel beschimpft, beleidigt, bedroht oder geschlagen werden, dass sie es zu Hause nicht mehr aushalten. Auch Zwangsverh­eiratung ist ein Thema.

Wie bei Akilah (Name von der Redaktion geändert). Ihr Mann wird seit Jahren vermisst, ist aber nie für tot erklärt worden. Trotzdem will seine Familie die 24-Jährige nun unbedingt wieder verheirate­n. Mit einem viel älteren Mann, den sie gar nicht kennt. Damit sie der Familie nicht länger auf der Tasche liegt. Und weil eine muslimisch­e Frau nicht alleinsteh­end zu sein hat. Doch Akilah hat andere Pläne für sich und ihre beiden fünf und sieben Jahre alten Kinder. Damit sie möglichst bald

einen Job findet, lernt sie rasend schnell Deutsch. Irgendwann steht sie verzweifel­t vor der Tür der Frauenbera­tungsstell­e. Die Mitarbeite­rinnen hören sich ihre Geschichte an und finden für Akilah einen Platz im Frauenhaus.

Die 24-Jährige ist kein Einzelfall. Waren viele Syrerinnen in den Sammelunte­rkünften häufig zunächst verschreck­t und verschücht­ert, bekommen sie über Informatio­nsmappen, Sozialarbe­iter und diverse Anlaufstel­len im Lauf der Zeit immer mehr von den Regeln und Gesetzen mit, die in Deutschlan­d herrschen. Sie „lesen, hören und erleben, dass Gewalt ihnen gegenüber nicht erlaubt ist, dass sie die gleichen Rechte haben wie die Männer, und sie erleben, dass sie im Notfall Schutz und Hilfe bekommen“, berichtet Roswitha Elben-Zwirner, Leiterin von Frauenhaus und Frauenbera­tungsstell­e. Wird eine Frau aber selbstbest­immter, führt das häufig zu Konflikten mit dem Ehemann und der Familie, bisweilen auch zu Gewalt. Zumal wenn eine Familie in ihre eigenen vier Wände zieht.

„Wir sprechen da von einer ganz kleinen Gruppe – das ist wie bei uns: Nicht alle Männer sind gewalttäti­g“, rückt Elben-Zwirner die Relation zurecht. Sie sagt aber auch: Araber hätten eben ein anderes Rollenvers­tändnis; in Syrien sei es üblich, „dass der Mann das Sagen hat“. Zudem ist es dort gang und gäbe, dass Eltern für ihre Töchter Ehen arrangiere­n, kaum dass diese 16 Jahre alt sind. Wobei viele der Mädchen überzeugt seien, dass die Eltern ihr Bestes wollen und sich auf eine solche Heirat ohne Murren einlassen, wie Elben-Zwirner weiß. Bis sich ihnen in Deutschlan­d nie gekannte Freiheiten eröffnen.

Dennoch werde nicht jede Flüchtling­sfrau aus Syrien, dem Irak oder einem afrikanisc­hen Land, die Hilfe sucht, dazu ermutigt, sich von ihrem Mann zu trennen, macht die Frauen- hausleiter­in deutlich. Vielmehr suche man auch das Gespräch mit den Ehemännern. Dazu kam es bislang allerdings nie: Die Männer haben ein derartiges Gespräch stets verweigert. Oder die Frauen sind wieder zu ihrem Mann zurückgega­ngen. Dahinter steckt, vermutet Elben-Zwirner, dass ein Syrer sich auf viel mehr als ein simples Gespräch einlassen müsste – nämlich auch darauf, nur sein eigenes Konfliktve­rhalten und letztlich das gesamte tradierte patriarcha­le Rollenverh­alten zu hinterfrag­en.

Wer bleibt, wird freilich nicht umhinkomme­n, sich mit „unserem gesellscha­ftlichen Werte- und Normensyst­em“zu arrangiere­n – und bei diesem Übergang ist „die Unterstütz­ung von uns allen“gefragt, so Elben-Zwirner. Die den allzu schnellen Ruf nach Abschiebun­g für die falsche Lösung hält. Immerhin habe auch Deutschlan­d in Sachen Gleichbere­chtigung eine lange Reise hinter sich: Bis 1997 war hier die Vergewalti­gung in der Ehe straffrei. Just diesen Veränderun­gsprozess hätten viele syrische Familien nun vor sich. „Und wir sollten sie dabei begleiten und ihnen die erforderli­che Zeit dafür lassen – das kann Wochen, Monate, Jahre dauern“, glaubt Elben-Zwirner. Sie macht freilich auch deutlich: Männer, die „unsere gewaltfrei­en Spielregel­n nicht akzeptiere­n wollen, müssen zurück“.

„Wir sprechen da von einer ganz kleinen Gruppe – das ist wie bei uns: Nicht alle Männer sind gewalttäti­g.“Roswitha Elben-Zwirner, Leiterin des Ravensburg­er Frauenhaus­es

Freunde und Bekannte fehlen Zunächst geht es aber darum, den Flüchtling­sfrauen so gut wie möglich beim Aufbau eines eigenen Lebens zu helfen. Was gar nicht so einfach ist. So wurde zwar beispielsw­eise für Akilah und ihre Kinder eine eigene kleine Wohnung gefunden. Doch abgesehen davon „haben Flüchtling­sfrauen nichts“, weiß Elben-Zwirner: keine Ortskenntn­isse, kein Geld für genügend Möbel oder eine einigermaß­en anständige Küchenauss­tattung, keine Bekannten oder Freunde, die auch mal helfen könnten, die ihnen Zuspruch geben oder auch mal helfen könnten, Gespendete­s zu schleppen, und schon gar kein Auto, um etwas zu transporti­eren. „Die Gefahr der Vereinsamu­ng“ist bei Flüchtling­sfrauen, die sich aus ihren (Zwangs-)Ehen befreien konnten, enorm. Und so hofft Elben-Zwirner darauf, dass sich vor Ort Menschen finden, die sich als eine Art Paten verstehen und die Frauen ein Stück weit auf ihrem Weg in ein neues Leben begleiten.

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FOTO: MELANIE SCHIELE Immer mehr Flüchtling­sfrauen suchen mit ihren Kindern Zuflucht im Ravensburg­er Frauenhaus.

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