Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nach Robben kommt nichts mehr
Die Fußball-Krise der Niederlande hat ihren Grund auch im in die Jahre gekommenen Nachwuchskonzept
AMSTERDAM (SID/sz) - Johan Cruyff, Patrick Kluivert, Marco van Basten, Ruud Gullit, Arjen Robben – über viele Jahrzehnte brachte die niederländische Fußballschule zahllose Stars hervor. Die Ausbildung im 17-MillionenEinwohner-Land war Vorbild für die großen Nationen– und eine scheinbar nie versiegende Talente-Quelle für die eigene Nationalmannschaft. Doch das war einmal. Die Elftal steckt nicht trotz, sondern wegen der Nachwuchsarbeit tief in der Krise.
Dieses Problem werde auch der Nachfolger des am Sonntag entlassenen Bondscoach Danny Blind nicht auf Anhieb lösen können, gibt Huub Stevens zu bedenken. „Ich habe immer gesagt, dass es aktuell nicht das Problem des Nationaltrainers ist, sondern es liegt an der Jugendarbeit“, sagte der Niederländer: „Wir müssen immer wieder mit einer gewissen Kreativität gute Fußballer hervorbringen, was nicht leicht ist.“
Vor allem nicht, wenn Oranje nach der EM 2016 auch die WM 2018 in Russland verpassen sollte. Doch danach sieht es derzeit aus. Am Dienstagabend gab es gegen Italien im Testländerspiel in Amsterdam ein 1:2 (1:2), wieder eine Niederlage. Keine WM? Dann würden dem niederländischen Fußballverband KNVB wieder wichtige Einnahmen wegbrechen, vielleicht auch Sponsoren abspringen.
Dabei bräuchte der Verband dringend frisches Geld für ein überarbeitetes Nachwuchskonzept. Das jetzige, das sich noch immer nach dem „Voetbal Totaal“der erfolgreichen 70er-Jahre richtet, scheint sich überholt zu haben. Die „Heiligen Kühe“in der niederländischen Fußball-Ausbildung, das 4-3-3-System mit zwei klassischen Außenstürmern, die Positionstreue und das Streben nach viel Ballbesitz – sie alle stehen auf dem Prüfstand. Denn während die Niederländer an der Perfektion des schönen Spiels werkeln, werden sie von anderen Ländern in Sachen Athletik, Taktik und Flexibilität deutlich überholt.
Den dritten Platz bei der WM 2014 hat die Elftal nicht erreicht, weil sie überragende Fußballer in ihren Reihen hatte. Sondern weil der damalige Bondscoach Louis van Gaal deutlich defensiver und gegnerorientierter spielen ließ.
Blind war van Gaals Co-Trainer, als Bondscoach rückte er von diesem Weg wieder ab. Das Ende ist bekannt. „Blind ist die Verkörperung einer hartnäckigen, um nicht zu sagen verstockten niederländischen Idee von Fußball. Er hat die goldenen Jahre mitgemacht“, schrieb die Zeitung „Trouw“. Doch die goldenen Jahre sind längst vorbei.
Spieler wie Ibrahim Afellay oder Eljero Elia, die heute das Gerüst der Nationalmannschaft stellen sollten, haben aus ihrem großen Talent kaum etwas gemacht. Vielversprechende Nachwuchsspieler gibt es immer noch in Holland, doch die wechseln oft zu früh ins Ausland, wo sie dann meist nur eine Nebenrolle spielen und stagnieren. In der heimischen Liga zu bleiben, ist für viele aber auch keine Alternative, weil das Niveau in der Eredivisie in den vergangenen Jahren stark nachgelassen hat.
Ein weiteres Problem scheint die Mentalität zu sein. „Seit vielen Jahren wird darüber geredet, dass wir in den Niederlanden zu wenig Spieler mit einer Sieger-Mentalität haben“, sagt Stevens: „Das fängt bei der Jugendarbeit und bei der Erziehung zu Hause an.“Arjen Robben hat diese Mentalität noch – auch Wesley Snijder und Robin Persie. Mit ihrem Rücktritt ging der Niedergang der Elftal los. Nun ist Robben, der 33 Jahre alte BayernRechtsaußen, der einzig verbliebene Niederländer von Weltklasseformat.
Auch Klinsmann hat Chancen Hollands Verband KNVB kündigte an, er werde sich in Kürze mit van Gaal treffen. Der soll allerdings keine Lust haben, kurzfristig als Trainer einzuspringen. Solange der Verband keinen Direktor und keine klaren Verwaltungsstrukturen habe, sei der Ex-Bayern-Trainer nicht an der Position interessiert, melden Medien. Van Gaal (65), der die Elftal bereits zweimal (2000 bis 2002, 2012 bis 2014) betreut hat, befindet sich nach seinem Aus als Trainer bei Manchester United in einem Sabbatjahr. Die Niederlage gegen Italien verfolgte er live im Stadion.
In einer Umfrage der Zeitung „De Telegraaf“votierten 39 Prozent für van Gaal, jeweils 17 Prozent für ExBundestrainer Jürgen Klinsmann und für Frank de Boer (46).