Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
„Kultur ist mehr als eine Sonntagsrede“
D urch Zufall habe ich erfahren, was inoffiziell schon beschlossen scheint: Die Klosterfestspiele sollen gestrichen werden, still und heimlich, für immer. Alle Schritte bin ich bisher mitgegangen: Spielortwechsel, zweijähriger Spielmodus und jetzt, da wieder einmal eingespart werden muss, da erscheint es ja logisch, auch bei den Klosterfestspielen anzusetzen. Aber warum derart radikal? Hier erhebe ich Einspruch! Die Klosterfestspiele sind das, was man in der Kulturpolitik gerne Alleinstellungsmerkmal nennt. Etwas, das über Weingarten hinaus den Blick auf diese von mir lieb gewonnene Stadt prägt. Ich werde bestimmt jede Woche einmal von einem Zuschauer aus Stuttgart gefragt: Und, was läuft im Sommer in Weingarten? Friedrich Schirmer, ehemaliger Intendant des Hamburger Schauspielhauses und jetziger Intendant der Württembergischen Landesbühne Esslingen, hat in einem Zeitungsartikel der „Stuttgarter Zeitung“die „ungeheure Kraft“der Klosterfestspiele gelobt, und es gibt viele weitere Beispiele, die zeigen, was von diesem Weingartner Sommer ausgeht und wie die Festspiele ausstrahlen, bundesweit. Natürlich gibt es noch andere Alleinstellungsmerkmale: die Basilika, der Blutritt, aber käme jemand auf die Idee, hier zu streichen? Es geht mir nicht um Selbstlob: aber bereits seit vier Spielzeiten schaffen wir Theaterabende, die ein breites Publikum genauso ansprechen wie das sogenannte Fachpublikum. Herr Ewald, Sie könnten so stolz sein auf die Klosterfestspiele, die den Vergleich mit den großen Freilichtspielorten nicht zu scheuen brauchen. Sie sind kein Luxus, sie sind auch keine elitäre Veranstaltung, aber sie sind etwas, wofür man sich einsetzen muss, über die Sonntagsreden hinaus. Das gilt natürlich für alle anderen Kulturveranstaltungen ebenso. Kultur ist immer ein Verlustgeschäft und ich finde es klar, dass, wenn überall gekürzt werden muss, auch bei der Kultur Einsparungen manch- mal zwingend sind. Aber doch keine Radikalkürzung! Ich bin es gewohnt, wenn es sein muss, auch mit geringem Budget etwas auf die Beine zu stellen. Und so kann ich mir eine Streichung des städtischen Zuschusses um bis zu 50 Prozent vorstellen. Dann muss man sich gemeinsam hinsetzen und überlegen, welches Einsparpotenzial es gibt. Natürlich ist das schmerzlich, aber es ist machbar. Was es allerdings braucht, ist der klare Wille und das Bekenntnis zur Kultur und den Klosterfestspielen. Wenn es darauf ankommt, muss man Farbe bekennen. Kultur ist nichts, was man sich mal so leistet, wenn die Zeiten gut sind, das wäre ein fatales Kulturverständnis. Alleine auf die ganzen Sponsorengelder zu verzichten, das ist fahrlässig. Lieber Herr Ewald! Ich hätte erwartet, dass Sie, sobald sie merken, dass es ernst wird mit Einsparungen und die jahrzehntelange Tradition der Klosterfestspiele wieder einmal auf dem Prüfstand steht, als Erstes zum Telefon greifen und das Gespräch suchen. „Was kann man machen? Wie ist Ihre Einschätzung?“Dass ich quasi per Zufall, sozusagen „aus geheimen Quellen“, erfahre, was schon geplant ist, ärgert mich mit Verlaub und scheint mir zu zeigen, wie wenig das, was wir seit Jahren aufgebaut haben und was die Klosterfestspiele für immer mehr Menschen zu einem Geheimtipp hat werden lassen, wie wenig es wertgeschätzt wird. Aber: vielleicht finden wir noch einen Weg und ich bremse meine Wut… Ein bisschen Kritik muss erlaubt sein, dazu sind Sie ja gewählt! Vielleicht können Sie meine Wut nachvollziehen: Ich sitze mit meiner Bühnenbildnerin zusammen, wir planen für 2018. Es ist, als würden wir über die Einrichtung eines Hauses nachdenken und Wochen später erfahren, dass dieses Haus schon längst zum Abriss bestimmt ist. Ich bin (vielleicht anders als mein Vorgänger, der zu Recht auf die Barrikaden gegangen wäre) kein Auf-den-Tisch-Hauer. Ist das ein Manko? (Gerade heutzutage kann man das doch den Donald Trumps dieser Welt überlassen.) Aber: Ein Kämpfer bin ich schon. Ich kämpfe um den Erhalt der Klosterfestspiele und bin sicher, dass wir diesen Kampf ganz unmartialisch gewinnen können. Mit Unterstützung all der Menschen, die von nah und fern als Zuschauer kommen, und denen, die viel Zeit und Mühe verwenden, dass man sich im Sommer in Weingarten Gedanken über die Welt machen kann. Das ist, ich wiederhole mich, alles andere als ein Luxusartikel und fördert unser aller Zusammenleben. In diesem Sinne: lassen Sie uns reden! Ich bin bereit und offen! Ich jedenfalls möchte „Wilhelm Tell“(beispielsweise) im Sommer 2018 in Nessenreben sehen und kein brachliegendes Gelände! Und Sie, liebes Publikum?