Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Großes Geschrei auf der kleinen Insel
Es gibt kaum einen Klang, der beim Menschen derart emotionale Reaktionen hervorruft wie das Schreien eines Babys. Einerseits appelliert es an die Beschützerinstinkte und den Drang, dass Kleinkind wieder zu beruhigen. Doch es treibt auch den Stresspegel in die Höhe und kann Fluchtreflexe aktivieren („Zigaretten holen“genannt). Forscher haben jetzt herausgefunden, dass britische Babys mehr schreien als deutsche Säuglinge. Das ist keine Überraschung. England ist seit jeher das Land der Großmäuler. Man denke nur an Rolling-Stones-Frontlippe Mick Jagger, der vermutlich auch schon rockend in der Wiege lag. Oder die dauerpöbelnden Gebrüder Gallagher, die überzeugt waren, dass ihre Band Oasis größer sei als die Beatles: Noel und Liam wünscht sich wohl niemand als Kinder. Wir reden von einem Land, in dem ein exzentrischer Außenseiter mit dem klangvollen Namen Screaming Lord Sutch Premierministerin Margaret Thatcher 1983 in ihrem Wahlkreis mehrere Hundert Stimmen abluchsen konnte. Insofern nur logisch, dass der Drang, sich mitzuteilen, bereits in frühen Jahren stark ausgeprägt ist.
Beim deutschen Kind ist das Weniger an Geschrei die Ruhe vor dem Sturm, was darauf schließen lässt, dass der teutonische Hang zum Motzen über Lappalien anerzogen ist. Er manifestiert sich also erst später im Erwachsenenalter.
Vielleicht liegt es aber auch am Wissen um die Küche: Während das britische Baby Fish and Chips erahnt, wächst der deutsche Säugling in der Sicherheit heran, dass ihn Spätzle und Maultaschen erwarten. Ein beruhigender Gedanke. (dre)