Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Nichts ist mehr sicher
Münchner Volkstheater befasst sich mit Radikalisierung
MÜNCHEN (dpa) - Dschihad. Das Wort, das in der Welt Schrecken verbreitet. Junge Menschen ziehen in Kriegsgebiete. Greifen zu Äxten, Messern, tragen Sprengstoffrucksäcke. Warum? Das Volkstheater München hat dazu ein Stück auf die Bühne gebracht: „Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten!“von Sasha Marianna Salzmann.
Den Dschihad haben mehrere Theatermacher in der jüngsten Zeit aufgegriffen. Doch Sasha Marianna Salzmann nimmt „Dschihadismus“nur als ein Beispiel und betrachtet das Phänomen Radikalisierung insgesamt. Warum wenden sich Menschen der Gewalt zu, nicht nur in Krisengebieten, sondern auch im satten Europa? Geht es um den Glauben, um ein politisches Ideal?
Das Stück mit dem Untertitel „Zucken“bietet andere Motive an: Verunsicherung in einer Welt, in der nichts mehr sicher ist, Ungewissheit, Sehnsucht und die Suche nach Liebe. Das Zucken des Nervs.
Regisseur Abdullah Kenan Karaca, gebürtiger Oberammergauer mit türkischen Wurzeln und muslimischen Glaubens, hat das Stück für das Volkstheater ausgewählt. So schwer das Thema ist – seine Inszenierung verzichtet keineswegs auf Wortwitz und Ironie.
Das Ensemble – Julia Richter, Carolin Hartmann, Jonathan Müller und Jakob Geßner – erzählt auf der mit schwarzen Kreuzen ausgekachelten Bühne, die mal wie ein Seziersaal wirkt, mal wie ein avantgardistisches Badezimmer, mit viel Tempo die Geschichten der drei Hauptprotagonisten.
Es bleiben Rätsel Über gut eineinhalb Stunden zeigen die Darsteller Fragmente aus dem Leben der Menschen und Wendepunkte: Der Geschäftsmann, den die hysterische Angst seiner Frau plötzlich misstrauisch macht gegen den Mann mit dem Rucksack in der UBahn, gegen die vielen Fremden rundum, und der deshalb das Gewehr aus dem Schrank holt. Pawlik, der Angst hat, als Schwuler bloßgestellt zu werden, und sich im Kampf als Mann beweisen will. Das Mädchen, das tief enttäuscht über den Kontaktabbruch des Fremden den Schulrucksack mit Messern füllt – um Bewunderung von dem zu bekommen, den sie so bewundert, weil er kluge Dinge sagt etwa über Emojis: „Menschen gewöhnen sich daran, ihre Gefühle in dummen gelben Kreisen auszudrücken.“
Wer nun versucht, die Stationen der Radikalisierung zu zählen, um sie am Ende „in acht Schritten“zu verstehen, scheitert an dieser Rechenaufgabe: Am Ende bleibt der letzte Schritt zur Gewalt unerklärlich.
Weitere Aufführungen am 26. 4., 5., 6., 17. und 20. Mai. Kartentelefon: (089) 523 46 55 www.muenchner-volkstheater.de