Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Alles hängt mit allem zusammen
Michael Lüders spricht bei Ravensbuch über Syrien und den Westen
RAVENSBURG - Michael Lüders ist ein gern gesehener Gast in der Buchhandlung Ravensbuch. Das bestätigte sich am Dienstagabend erneut durch einen immensen Besucherandrang. Zum fünften Mal trat der Buchautor und Nahost-Experte aus Berlin vor das Mikrofon. Dieses Mal, um sein neues Buch „Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“vorzustellen. Die anschließende Fragerunde brachte vieles zum Vorschein, das aus westlicher Perspektive so nicht wahrgenommen wird.
Ein unbequemes Buch sei es geworden, schickte Michael Riethmüller voraus. Das wundert einen nicht, sind auch die vorigen Bücher nicht zum Zurücklehnen. Der Diskussionsanregung sollen sie dienen, und das tun sie.
Viele der Besucher hatten den Band bereits gelesen und kamen mit gezielten Fragen an den Autor. Wie es um den Einfluss der Türkei auf Syrien stehe vor dem Hintergrund, dass Erdogan und Assad zusammen Urlaub gemacht hätten. Was am System westlicher Länder falsch laufe. Die Interessenlage von China, das sich bedeckt halte. Wie Lüders recherchiert habe, woraufhin er auf den Anhang des Buches verwies mit seitenlangen Anmerkungen. Ob der Giftgasangriff in Damaskus 2013 unter falscher Flagge begangen wurde, um die USA in den Krieg mit hineinzuziehen.
Sein rund einstündiger Vortrag gliederte sich in drei wesentliche Teile. Im ersteren beleuchtete er die westliche Sicht auf die Krisensituation im Nahen Osten.
Hier bestehe das vorherrschende Narrativ, dass ausschließlich das Assad-Regime mit seinen Verbündeten Russland, Iran und China für die Misere verantwortlich seien. Die moralische Verpflichtung des Westens sei es demzufolge, diesen Zustand dort zu ändern. So weit zum Schwarzweiß-Bild, bei dem die vielen Grautöne ausgeblendet blieben. Denen widmet sich Lüders’ tiefgreifende Recherche.
In einem zweiten Teil ging er auf die sozialen Strukturen in Ländern des Nahen Ostens ein, bei denen es sich in der Regel um Feudalstaaten handele und sich westliche Vorstellungen einer werteorientierten Zivilgesellschaft nicht übertragen ließen.
Wesentlich zu erkennen ist aus Sicht von Lüders, dass es sich in Syrien um einen geopolitischen Interessenkonflikt handelt. Syrien verfüge über keine großen Bodenschätze, doch es liege an der Schnittstelle von Europa und Asien. Wäre Assad prowestlich, bestünde seitens der USA, der EU, der Türkei und der Golfstaaten kein Grund, ihn zu stürzen. Lüders brachte Ägyptens Machthaber Abdelfatah el-Sisi als Beispiel, der weitaus brutaler vorgehe als der gestürzte Hosni Mubarak.
In einem dritten Teil ging er auf die Rolle der 1947 gegründeten CIA ein, deren zweites Mandat neben der Spionage laute, nicht-prowestliche Regime zu beseitigen. Hierzu sind eine Reihe entsprechender Vorfälle belegt. Unter anderem 1949 der Bau einer Erdöl-Pipeline durch das Transitland Syrien auf Betreiben Amerikas. Nicht ohne Putsch und Staatsstreich. In dem herrschenden Stellvertreterkrieg hängt, so Lüders, alles mit allem zusammen. Von diesen heillosen Verstrickungen aller Akteure untereinander gab sein Vortrag eine Vorstellung. Eine, die nicht viel Hoffnung auf bessere Zeiten macht.
„Sie lassen einen ratlos zurück. Haben Sie eine Prognose?“, fragte eine Besucherin. „Nein, eher nicht“, räumte Lüders ein. Er habe schon den Brexit und die Trump-Wahl nicht für möglich gehalten. Nur eins: Zu Assad gebe es momentan keine Alternative. Er werde wohl bleiben.
Michael Lüders, „Die den Sturm ernten. Wie der Westen Syrien ins Chaos stürzte“. Verlag C. H. Beck, München 2017. 174 Seiten. 14,95 Euro.