Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Von alten Feinden und neuen Freunden
Geänderte Farbenlehre: Ohne FDP und Grüne geht nichts – Auswirkung auch auf den Bund
BERLIN - Schon am frühen Morgen nach der Wahl in Schleswig-Holstein stehen die Gewinner von Kiel vor der Bundespressekonferenz. Ein strahlender FDP-Parteichef Christian Lindner und sein Vize Wolfgang Kubicki feiern das gute FDP-Ergebnis. Ohne die Liberalen wäre nur die Große Koalition in Kiel möglich, die immer nur als letzter Ausweg gilt. Auch die Grünen werden zwingend für Mehrheiten benötigt. Doch verstehen sich FDP und Grüne?
Der Kieler FDP-Chef Wolfgang Kubicki sieht das gelassen. „Das Verhältnis Grüne/FDP ist in SchleswigHolstein entspannter als anderswo, es gibt keine unüberwindbaren Hindernisse“, sagt er. Und flicht gleich elegant ein, dass er ohnehin den Grünen Robert Habeck demnächst in Düsseldorf trifft, vielleicht „auf einen Bio-Wein“.
Lindners Traumata Parteichef Christian Lindner pflegt dagegen seit dem Rausschmiss seiner Partei aus dem Bundestag grüne Traumata. „Nicht vergessen habe ich den Jubel auf der Wahlparty der Grünen, als die Wahlergebnisse für die FDP gezeigt wurden“, sagte er kürzlich auf dem Parteitag der Liberalen in Berlin. „Da habe ich mir geschworen: Das letzte Bild der Geschichte der FDP – das wird nicht der Jubel der Grünen über unser Ausscheiden aus dem Bundestag sein.“
Jetzt also mit den Grünen zusammen? Wenn überhaupt, dann nur in einer schwarz-gelb-grünen Koalition ist Lindners Ansage. Wolfgang Kubicki hält die Wahrscheinlichkeit einer Ampel, also von Rot-GrünGelb, „für in Richtung null tendierend, und unter Führung von Torsten Albig schon mal gar nicht“. Aber er lässt sich ein Hintertürchen offen, vielleicht eine Ampel unter dem SPD-Landeschef Ralf Stegner. Kubicki
meint, er habe schon im Wahlkampf festgestellt, „wer Albig hört, lernt Stegner schätzen“. Für wahrscheinlicher aber hält auch Kubicki Jamaika, ein Bündnis zwischen CDU, FDP und Grünen.
Bei den Grünen hört sich das ganz anders an. Man habe zwar nichts ausgeschlossen, aber man will ganz klar eine Ampel für die Küste. Spitzenkandidatin Monika Heinold betont: „Unser Favorit ist die Ampel“, schließlich habe man in der Küstenkoalition
mit der SPD gute Erfahrungen gemacht. Alle Beteiligten in Kiel wollen aber jetzt erst einmal die NRW-Wahl abwarten, bevor Koalitionsverhandlungen geführt werden. Und danach werden Grüne und FDP wohl ihren Preis hochtreiben, indem sie gleichzeitig mit CDU und SPD verhandeln.
Sylvia Löhrmann, die grüne VizeRegierungschefin aus NRW, meint, sie habe zwar mit dem Düsseldorfer FDP-Fraktionsvorsitzenden und FDP-Chef Christian Lindner durchaus eine Gesprächsebene. Aber für Nordrhein-Westfalen haben die Grünen wie schon 2010 auch diesmal wieder Jamaika kategorisch ausgeschlossen. Man wolle „der neoliberalen Politik nicht die Hand reichen“, so Löhrmann.
Parteichef Özdemir lässt für die Bundesebene alles offen, er rät aber, „weniger über andere und mehr über sich selbst zu reden“. Zum Beispiel: „Uns gibt es nur mit der Ehe für alle“, sagt er. Özdemir freut sich, dass die Grünen jetzt mit Kretschmann im Süden und mit Habeck im Norden so starke Zugpferde haben. Robert Habeck war Anfang des Jahres in der Wahl des grünen Spitzenkandidaten für den Bund Parteichef Özdemir knapp unterlegen. Er könnte aber im November für das Amt des Parteichefs kandidieren, denn Cem Özdemir weist selbst auf die Wahl hin.
Für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, wo Grüne und FDP sich sehr unversöhnlich gegenüberstehen, wird sich die Frage Jamaika oder Ampel kaum stellen. Hier rechnen alle mit einer Großen Koalition,
wenn es für Rot-Grün oder SchwarzGelb nicht reicht. „Die Lager sind sehr ausgeprägt“, sagt Löhrmann. Im September in Berlin aber könnte das Farbenspiel Bedeutung erlangen. Grüne regieren in den unterschiedlichsten Konstellationen, sagt Cem Özdemir, und weist auf Sachsen-Anhalt hin, wo seine Partei sogar eine Große Koalition stützen müsse, weil sich sonst jenseits der AfD keine Mehrheiten gefunden hätten.
„Wo notwendig, übernehmen wir Verantwortung“, sagt Özdemir. Wolfgang Kubicki sagt, er rate allen Beteiligten, flexibler zu denken als bisher, weil es sonst nur noch Große Koalitionen gebe. Zumindest da sind sich also FDP und Grüne schon mal einig.