Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Die Zukunft der dualen Ausbildung
Wie das Handwerk sich auf seinen Nachwuchs einstellt
RAVENSBURG - Das Holzbrett läuft von alleine über das Band zum Sägeblatt. Der Schreiner gibt die Länge, Breite und Höhe des gewünschten Brettes in den Computer ein. Der Bildschirm im Hintergrund blinkt und zeigt an, wo die Maschine sägt, fräst und bohrt. Der Mitarbeiter überprüft den Vorgang und programmiert die Maschine – Handsäge war gestern. Die Digitalisierung ist im Handwerk längst angekommen. Für Lehrlinge bedeutet das: Die Ansprüche an sie haben sich geändert. In Zeiten der Digitalisierung muss ein Auszubildender noch mehr können als rein handwerklich arbeiten, sagt der Geschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz, Georg Hiltner: „Digitale Technik ist längst in allen Gewerken üblich. Je nach Beruf ist der Anteil an Digitalisierung sehr hoch, wie etwa im Anlagenbau.“
Auch in den anderen Gewerken müssen Handwerker mit immer mehr Digitalisierung zurechtkommen. Produkte entwickeln sich weiter und die Kunden kommunizieren mehr und mehr über das Internet. Ein Auftrag wird nicht mehr mit Stift und Papier handschriftlich aufgenommen, sondern trudelt per Mail im Büro ein. Der Anspruch an Auszubildende sei daher sehr hoch, sagt Hiltner. Auch Mathematik- und IT-Kenntnisse im Handwerk sind wichtig. Hier sind vor allem Abiturienten stark. „In erster Linie sprechen wir aber junge Menschen an, egal ob mit Abitur, Realschuloder Werkrealschulabschluss. Im Handwerk gibt es verschiedene Bedarfe, da wird jeder fündig“, sagt Hiltner.
Unser Handwerk
Digitalisierung und Ausbildung
Neue Ansprüche an Lehrlinge Die neuen Ansprüche an Lehrlinge zeigen: Den klassischen Weg von der Hauptschule über eine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule ins Handwerk gibt es so nicht mehr. Mit welchem Schulabschluss die Auszubildenden ins Handwerk einsteigen, ist seit ein paar Jahren nicht mehr gesetzt. Erstmals hat es in Deutschland laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) im Jahr 2016 mehr Jugendliche mit einer Studienberechtigung als mit Hauptschulabschluss im Handwerk gegeben.
Rund 28 Prozent der Auszubildenden im dualen System hatten Abitur, 27 Prozent stiegen mit Hauptschulabschluss in die Ausbildung ein. Mittlere Reife und Abitur würden nach Einschätzung des DGB immer mehr an Bedeutung gewinnen. Und das Handwerk muss es nun schaffen, die Bandbreite an unterschiedlichen Bewerbern und die Herausforderung der Digitalisierung in der dualen Ausbildung abzubilden. Mit verschiedenen dualen Ausbildungsformen möchten Hoch- und Berufsschulen sowie die Handwerksbetriebe nun diesen neuen Anforderungen begegnen.
Lehre plus Studium Einen Weg sieht die Hochschule Biberach zum Beispiel darin, Ausbildung und Studium zu verknüpfen. Studentin und Auszubildende Jennifer Heinzmann ist eine der Teilnehmerinnen des Modells „Bauingenieur Plus“. An der Hochschule Biberach wird sie akademisch als Bauingenieurin ausgebildet, im Handwerksbetrieb Birk in Aitrach (Kreis Ravensburg) lernt sie den Beruf der Maurerin. Eine Mischung, die für sie viele Vorteile bringt, sagt Heinzmann: „Natürlich ist der ausschlaggebende Punkt der Praxisbezug. Außerdem ist es auch nicht schlecht, während des Studiums schon Geld zu verdienen.“
Insgesamt fünf Jahre dauert diese duale Ausbildung. Im Juli steht ihre handwerkliche Gesellenprüfung an, knapp ein Jahr später auch der Hochschulabschluss. Eventuell wird die 22-Jährige dann noch einen Master anschließen. Danach möchte sie als Bauleiterin auf dem Bau arbeiten. „Mir ist es wichtig, dann auch ernst genommen zu werden. Deswegen ist die Praxis, die ich jetzt mitbekomme, enorm wichtig für mich. Später weiß ich dann, wovon ich spreche“, sagt Heinzmann.
Auch ihr Chef Otto Birk ist vom Biberacher Modell überzeugt. Mehr als zehn Auszubildende lernen bei ihm in den Betrieben in Aitrach und Leutkirch. Drei der Maurerlehrlinge, inklusive Jennifer Heinzmann, sind bereits als „Bauingenieur Plus“beschäftigt, ein weiterer kommt nächstes Schuljahr dazu.
„Für mich ist das ein Erfolgsmodell. Wir haben hochmotivierte junge Leute, die viel Wissen in ihr Ingenieursstudium mitnehmen können“, sagt Diplomingenieur Birk. Er denkt schon ein paar Jahre weiter: Wenn seine jetzigen Lehrlinge den Gesellenbrief in der Hand haben und mit dem Studium fertig sind, haben sie bei der Stellensuche vielleicht auch ihren Ausbildungsbetrieb im Blick. Dass ein ausgebildeter Bauingenieur vermutlich keine Maurerstelle annehmen wird, ist Birk bewusst: „Ich bekomme dann vielleicht keinen Maurer, dafür aber einen Bauleiter mit wahnsinnig viel Praxiserfahrung und Ahnung vom Beruf.“
„In den Köpfen von Eltern und Lehrern muss klar werden, dass das Handwerk eine Chance für ihre Kinder bedeutet.“
Michael Pfeffer, Hochschule Ravensburg-Weingarten
Pilotprojekt Berufsabitur Einen anderen Weg, Jugendliche schon früh für das Handwerk zu begeistern, sieht der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerkes (ZDH), Hans Peter Wollseifer, im sogenannten Berufsabitur, das sich in der Schweiz bereits bewährt hat. Die Universität sei nicht immer der Weg zum Erfolg, sondern für viele junge Menschen auch eine Sackgasse, schreibt Wollseifer in seinem Blog der Handwerkskammer Köln. Die duale Berufsausbildung im Handwerk sei eine gleichwertige Alternative. Angesichts von vielen Tausend unbesetzten Ausbildungsplätzen bundesweit müsste verstärkt bei jungen Menschen für mehr Attraktivität im Handwerk geworben werden, schreibt Wollseifer weiter.
Abiturienten können auf dem Weg zu ihrem Schulabschluss eine Gesellenprüfung ablegen. Zum Schuljahr 2017/ 2018 soll das Berufsabitur als Pilotprojekt in sechs Bundesländern starten, auch an einem beruflichen Gymnasium in BadenWürttemberg.
Dort sollen Schüler dann parallel das Abitur und eine Gesellenprüfung absolvieren können, erklärt Frank Zopp, Sprecher des ZDH: „Das Modell richtet sich an junge Menschen, die sich noch nicht entscheiden können oder wollen, ob sie eine handwerkliche Berufsausbildung oder doch ein Studium wählen sollen.“Die Schüler seien durch den doppelten Abschluss flexibler. Mit der Gesellenprüfung könnten die Jugendlichen eine Ausbildung zum Handwerksmeister draufsetzen oder mit der ersten abgeschlossenen Ausbildung in der Tasche ein Studium beginnen. Das Berufsabitur sei ein möglicher Baustein auf dem Weg zur modernen, zukunftsfähigen Berufsausbildung in Deutschland, glaubt Zopp.
Die Zukunft beginnt im Kopf Eine weitere Herausforderung sieht Michael Pfeffer, Prorektor für Forschung, Internationales und Transfer an der Hochschule RavensburgWeingarten, darin, das Image des Handwerks zu verbessern. Potenzieller Nachwuchs sollte ein positives Bild der Berufswahl „Handwerk“im Kopf haben. Er selbst hat vor seinem Physikstudium und der Promotion eine Lehre zum Mechaniker abgeschlossen, der Lehrbrief hängt neben seiner Doktorurkunde im Büro an der Wand. Die handwerkliche Ausbildung und das Studium sind für Pfeffer absolut gleichwertige Bildungswege. „In den Köpfen von Eltern und Lehrern muss klar werden, dass das Handwerk eine Chance für ihre Kinder bedeutet, dass durch das Handwerk Träume in Erfüllung gehen können und dass es nicht die übriggebliebene Ausbildungsalternative hinter dem Studium ist“, sagt Pfeffer. Es stecke viel Potenzial in den unzähligen Handwerksberufen, die es in Deutschland gibt. Nun müssten die Handwerkskammern dieses Potenzial den Jugendlichen aufzeigen.
„Ein guter Bäckermeister oder Dachdecker kann doch auf der ganzen Welt arbeiten. Nicht nur mit einem Studium, sondern auch mit einem Handwerk steht jungen Menschen die Welt offen. Und genau das ist es doch, was Schulabgänger nach ihrem Abschluss heutzutage suchen“, ist Pfeffer überzeugt.
Dass die duale handwerkliche Ausbildung in Deutschland weiterhin einen großen Stellenwert einnehmen wird, da ist sich der Prorektor sicher. Ob aber das Berufsabitur, ein duales Format oder doch die klassische Ausbildung sich durchsetzen, könne er noch nicht einschätzen. Eines ist aber klar: Die Digitalisierung im Handwerk wird nicht mehr weniger, sondern mehr werden. Der Schreinerlehrling wird sich in Zukunft wohl immer öfter mit blinkenden Bildschirmen, automatischen Sägen und Kundenanfragen per Mail auseinandersetzen müssen. Michael Pfeffer
Im Süden gehören Handwerker mit ihren Fertigkeiten zu den tragenden Säulen der Wirtschaft. Doch die Betriebe stehen vor großen Umbrüchen: Nicht nur die Digitalisierung stellt viele Handwerker vor große Herausforderungen. Wie Handwerksbetriebe mit dem Fachkräftemangel umgehen, lesen Sie am Mittwoch.