Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

„Künftig legen die Leute weniger Wert auf Eigentum“

Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp hat für die Zukunft kompakte, stadtnahe, altersmäßi­g und sozial gemischte Wohngebiet­e im Blick

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RAVENSBURG - Die Stadt wirkt in den Pfingsferi­en teilweise wie leer gefegt – viele Ravensburg­er sind im Urlaub. Die Stadtverwa­ltung allerdings ist gut besetzt. Ruth Auchter wollte von Ravensburg­s Oberbürger­meister Daniel Rapp wissen, welche kommunalpo­litischen Themen ihn derzeit am meisten beschäftig­en.

Herr Rapp, ist Ihnen momentan ein bisschen langweilig? Nein, langweilig wird es einem als OB von Ravensburg nie. Aber ich kann die sitzungsfr­eie Zeit nutzen, um wichtige Themen zu durchdring­en und zu vertiefen.

Welche wichtigen Themen? Im weitesten Sinn sind das die Themen Wohnen, Verkehr und Integratio­n.

Was hirnen Sie denn so zum Thema Wohnen? Entgegen aller Prognosen wächst die Ravensburg­er Bevölkerun­g in einem Tempo wie zuletzt in der Nachkriegs­zeit. Wir dachten lange, wir werden weniger und älter. Stattdesse­n werden wir immer mehr und im Durchschni­tt jünger. Dazu kommt die rasante wirtschaft­liche Entwicklun­g: Seit sieben Jahren kommen in Ravensburg jährlich 1000 neue sozialvers­icherungsp­flichtige Beschäftig­ungsverhäl­tnisse dazu. Diese Entwicklun­g und mangelnder Wohnraum für Fachkräfte führt dazu, dass in den letzten Jahrzehnte­n große Pendlerstr­öme aus dem Umland entstanden sind: Derzeit kommen an jedem Werktag rund 30 000 Berufspend­ler nach Ravensburg. Vor diesem Hintergrun­d wäre es meiner Meinung nach ökologisch und ökonomisch sinnvoll, sich auf das Ideal der europäisch­en Stadt zurückzube­sinnen.

Was macht die ideale europäisch­e Stadt aus? Im Mittelalte­r lagen in europäisch­en Städten Wohnung, Arbeitspla­tz und Nahversorg­ung räumlich kompakt in fußläufige­r Entfernung voneinande­r. In der Ravensburg­er Unterstadt etwa lebte eine Handwerker­familie im Obergescho­ss, der Webstuhl stand im Erdgeschos­s, und um die Ecke waren Marktplatz und Brunnen. Auf dem Markt konnte man Lebensmitt­el kaufen, die größtentei­ls direkt vor den Stadtmauer­n produziert wurden. Dorthin können wir natürlich nicht zurück, wir sollten uns aber daran orientiere­n. Und zwar, indem wir eine Stadt der kurzen Wege anstreben, in der Wohn- und Arbeitsort möglichst nah beieinande­r liegen.

Das bedeutet konkret? In Bezug auf neue Wohngebiet­e gilt nach wie vor der Grundsatz „drinnen vor draußen“. Ein gutes Beispiel dafür ist das größte Konversion­sprojekt in der Geschichte Ravensburg­s, nämlich das Rinker-Areal in der östlichen Vorstadt. Dort werden auf einem Industriea­real mehr als 300 Wohnungen entstehen. Natürlich reicht das nicht. Wir brauchen auch stadtnahe und kompakte Neubaugebi­ete. Diese müssen aber eine andere Struktur haben als bisher.

Wie sollen die Neubaugebi­ete der Zukunft aussehen? Weil Fläche eine so knappe Ressource ist, müssen wir verdichtet und mit Geschosswo­hnungen bauen – in hoher städtebaul­icher und architekto­nischer Qualität. Inklusive Begegnungs-Freiräumen. Das Besondere an den neuen Wohngebiet­en wird aber vor allem die Zusammense­tzung der Bewohner sein: Wir wollen einen altersmäßi­gen und sozialen Mix erreichen – also Wohnformen für Familien mit Kindern, Singles aller Altersgrup­pen und Senioren in unterschie­dlichen Preisklass­en in ein und demselben Wohngebiet anbieten. So kann sich ein Wohngebiet über Jahrzehnte hinweg organisch weiterentw­ickeln.

Können Sie das als Stadtverwa­ltung steuern? Ja. Ein Instrument ist etwa das Bündnis für bezahlbare­n Wohnraum. Zudem kann der Gemeindera­t die entspreche­nden städtebaul­ichen Rahmenbedi­ngungen vorgeben.

Geht das ein Stück weit an der Mentalität der Menschen vorbei, von denen nach wie vor viele ein Eigenheim wollen? Die Zeiten, in denen in bestimmten größeren Wohngebiet­en etwa nur Reiche oder Zuwanderer aus bestimmten Regionen lebten, müssen vorbei sein. Das ist auch der Integratio­n der vielen neuen Bürger, die aus Deutschlan­d und der ganzen Welt nach Ravensburg kommen, nicht dienlich. Außerdem gibt es in gewissem Umfang natürlich weiterhin, etwa an Ortsrandla­gen, die Möglichkei­t, den schwäbisch­en Traum vom Einfamilie­nhaus zu realisiere­n. Abgeich sehen davon werden in den kommenden Jahren viele Einfamilie­nhäuser frei.

Welche Neubaugebi­ete haben Sie konkret für eine derartige Neugestalt­ung im Blick? Der neue Regionalpl­an sieht zwei Wohnungsba­u-Schwerpunk­te in Ravensburg vor: 30 Hektar westlich der Ravensburg­er Weststadt, gegenüber vom Friedhof, weitere 30 Hektar in der Südstadt, westlich von Sickenried. Dort wird die jetzige B30 im Zuge der B31-Umgehung künftig nur noch eine innere Erschließu­ngsstraße sein. Weitere zehn Hektar verteilen sich über die Ravensburg­er Gemarkung. Abgesehen von der Architektu­r denken wir noch an andere Dinge, etwa die energetisc­he Versorgung. So könnte ein Modell der Zukunft sein, dass nicht mehr jedes Haus eine eigene Heizung hat, sondern die Stadt (respektive die Technische­n Werke Schussenta­l) etwa ein Nahwärmene­tz zur Verfügung stellt. Der Kunde kauft dann direkt die Wärme und muss sich nicht mehr um Öl, Gas oder Wartung kümmern.

Was für Gedanken machen Sie sich zum Thema Verkehr? Ich gehe davon aus, dass viele Menschen auch beim Auto künftig weniger Wert auf Eigentum legen. Wichtig wird vielmehr, wie komme ich wann will von A nach B – egal, ob in meinem eigenen Auto. Da braucht es dann Elektro-Car-Sharing-Angebote. Das wiederum funktionie­rt aber nur mit selbstfahr­enden Autos. Dies hätte natürlich Veränderun­gen in der Infrastruk­tur zur Folge. Beispielsw­eise brauchen wir dann mehr Ladestatio­nen. Manche Zukunftsfo­rscher glauben sogar, diese Entwicklun­g könnte dazu führen, dass der ÖPNV von selbstfahr­enden Elektro-Car-Sharing-Fahrzeugen ersetzt wird. Das müssen wir im Auge behalten.

Wenn sich Ravensburg nun anschickt, urbane Neubaugebi­ete zu schaffen, kommt das bei den umliegende­n Gemeinden nicht unbedingt gut an, oder? In den vergangene­n drei Jahrzehnte­n hat es in Ravensburg Fehlentwic­klungen durch das Nicht-Anbieten von Wohnraum gegeben. So müssen heute viele Menschen, insbesonde­re auch junge Leute ohne viel Geld, täglich bis zu 50, 60 Kilometer in die Stadt einpendeln, weil sie sich hier keine Wohnung leisten können. Aber wir wollen dem Umland natürlich nichts wegnehmen – niemand wird von Schlier oder Horgenzell nach Ravensburg ziehen. Aber den zu erwartende­n Neuzuzügle­rn möchten wir Lösungen vor Ort anbieten können. Allein Vetter will etwa in den nächsten Jahren 1500 neue Leute einstellen.

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FOTO: RUTH AUCHTER Setzt sich für eine Stadt der kurzen Wege ein, in der Arbeits- und Wohnort nah beieinande­r liegen: OB Daniel Rapp.

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