Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Tausche Bügeln gegen Deutsch-Nachhilfe
Flüchtlinge und Einheimische unterstützen sich in Horgenzell per Zeitbankmodell
HORGENZELL - Integration durch ehrenamtliche Arbeit ist das Motto des Zeitbankmodells Conclusio. Seit März ist Horgenzell eine von zwei Pilotgemeinden in Baden-Württemberg, die das Projekt testen. „Ich bin sehr zufrieden, wie das anläuft“, sagt Roswitha Pohnert, Familienbeauftragte der Gemeinde Horgenzell. Gestartet ist das Zeitbankmodell mit 39 Mitgliedern, inzwischen sind 63 Flüchtlinge und Einheimische dabei.
Bruni Prössl und Qorban Ali Noori sind bereits ein eingespieltes Team. Noori kommt aus Afghanistan und ist Schneidermeister. „Er kann wunderbar bügeln“, berichtet Prössl. In ihrem Wohnzimmer in Happenweiler hat sie schon das Bügelbrett aufgestellt und einen Berg Wäsche bereitgelegt. Noori macht sich gleich an die Arbeit und lässt Dampf aus dem Bügeleisen zischen. Währenddessen kocht Prössl nebenan in der Küche das Mittagessen. „Ich freue mich, wenn ich einen Gast zum Essen habe“, sagt sie. Wenn ihr Bügelhelfer da ist, kocht sie bewusst solche Gerichte, die die Flüchtlinge in der kleinen Küche der Gemeinschaftsunterkunft nicht selber zubereiten können.
Bruni Prössl hat eine Verletzung an der rechten Hand und kann derzeit nicht selber bügeln. Da ist sie froh, dass der afghanische Schneidermeister ihr hilft. Ihrer Nachbarin hat sie einen anderen Flüchtling vermittelt, der diese bei Gartenarbeiten unterstützt. Prössl gehört zu den einheimischen Koordinatoren, die die ehrenamtlichen Arbeitseinsätze vermitteln, gemeinsam mit Cornelie ClessLanger und Andreas Rimmele. Die Koordinatoren auf der Seite der Flüchtlinge sind Hatam Anil, Reza Ensafi, Sainey Saidy und Eliman Sanyang.
Etwas Sinnvolles tun „Zurzeit fragen vor allem Einheimische nach ehrenamtlichen Helfern“, berichtet die Familienbeauftragte Pohnert. Sie koordiniert das Conclusio-Projekt in der Gemeinde. „Die Flüchtlinge freuen sich, wenn sie etwas Sinnvolles zu tun haben.“Die Einsätze bisher reichen von Rasenmähen oder Carportabschleifen und –anstreichen bis zu Bügeln und Backen. Umgekehrt fragen die Flüchtlinge nach Deutsch-Training, MatheNachhilfe, Fahrdiensten oder Übersetzungshilfe beim Anwalt.
„Das Projekt kommt sehr gut an in der Bevölkerung“, sagt Pohnert. Sie rechnet damit, dass die Zahl der Conclusio-Mitglieder schnell weiter steigen wird – „wenn einmal die erste Scheu überwunden ist.“In der Pilotphase 2017 und 2018 ist der Mitgliedsbeitrag dank finanzieller Förderung noch kostenlos.
Ab 2019 wird er voraussichtlich 36 Euro im Jahr betragen. Die Mitglieder sind haftpflicht-, unfall- und rechtsschutzversichert. Geld fließt für die ehrenamtlichen Einsätze nicht, das ist Pohnert wichtig. „Wir grenzen uns klar ab von Schwarzarbeit.“
Bisher 130 Stunden „Bei Conclusio hat man es in der Hand, wieviel Einsatz man bringen will“, erklärt Pohnert: Ob eine Stunde pro Woche, pro Monat oder pro Halbjahr – alles ist möglich. Man kann nur einmal einen Flüchtling zum Arzt fahren oder regelmäßig Deutsch-Unterricht geben – ganz wie die Mitglieder wollen. Nach dem ehrenamtlichen Einsatz füllen Helfer und Empfänger einen Leistungsscheck aus, den sie in den Postkasten am Rathaus einwerfen. Die Daten werden jeden Monat in ein EDV-Programm eingegeben. Bisher haben 30 Personen zusammen 130 Stunden ehrenamtliche Arbeit geleistet.
Für die Zukunft sieht Pohnert noch viele Möglichkeiten, das Zeitbankmodell auszubauen. Unter den Flüchtlingen sind zum Beispiel Köche, die könnten für eine Familienfeier ein afghanisches Essen kochen. Andere könnten Kleinreparaturen an Elektrogeräten übernehmen. Und natürlich können sich auch Einheimische untereinander helfen, sagt Pohnert. Langfristig soll sich Conclusio auf die ganze Gemeinde ausdehnen.
Entwickelt wurde das Zeitbankmodell in Oberösterreich von der SPES Zukunftsakademie. SPES steht für Studiengesellschaft für Projekte zur Erneuerung von Strukturen. In Baden-Württemberg wird das Modell von SPES Zukunftsmodelle Freiburg eingeführt.
Finanziell gefördert wird dabei die anfängliche Begleitung der Pilotkommunen, das Projektmanagement, die Anpassung der Software und der Versicherungsschutz der Beteiligten von der Baden-Württemberg Stiftung und der Allianz für Beteiligung.