Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Cum-Ex oder Steuerskandal ohne Schadensumme
Parteien im Untersuchungsausschuss sind sich uneins – Höchstrichterliches Urteil steht noch aus
BERLIN (dpa) - Wenigstens in einem Punkt sind sich Opposition und Koalition im Bundestag einig: Die unter dem seltsamen Namen „Cum-ex“bekannt gewordenen Aktiendeals seien von Anfang an illegal gewesen. Das seien keine Steuertricks pfiffiger Berater, Banken und Anleger, die über Jahre eine vermeintliche Gesetzeslücke ausgenutzt hätten. Das war es dann aber mit Gemeinsamkeiten im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu einem der wohl größten Steuerskandale.
Zu einem gemeinsamen Abschlussbericht konnten sich die Parteien nicht durchringen. Zu groß sind die Differenzen – nicht nur bei der Schadensumme, sondern auch bei den Schlussfolgerungen. Linke und Grüne legen jeweils ein eigenes Resümee vor, Union und SPD ihre gemeinsame Sicht der Dinge – mit Entlastung auch der Verwaltung. Schließlich stellten sie in besagter Zeit die Finanzminister – erst Peer Steinbrück (SPD), dann Wolfgang Schäuble (CDU).
Dabei hatte der Skandal alle Zutaten, die zu einer gigantischen Affäre gehören: Milliarden-Verluste für den Staat, lange ahnungs-und tatenlose Politiker und Finanzaufseher, gierige Anleger sowie skrupellose Banker und Steuerberater, Whistleblower, Lobbyisten als Gesetzesschreiber und Maulwürfe in Ministerien. Das alles trifft auf die „Cum-Ex“-Geschäfte zu – jene Aktiendeals, die die Allgemeinheit über Jahre sehr viel Geld gekostet haben.
Darum ging es bei den Konstrukten: Über komplizierte KarussellGeschäfte wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag eines Unternehmens rasch zwischen mehreren Beteiligten hin- und hergeschoben. Bis unklar war, wer überhaupt Eigentümer der Papiere war. Was dazu führte, dass Steuerbescheinigungen für Kapitalertragsteuern mehrfach ausgestellt wurden, die so aber gar nicht gezahlt wurden. Und das wohl schon seit den 1980er-Jahren. Erst 2012 wurden die Geschäfte nach mehreren Anläufen gestoppt.
Mehrere Gerichtsurteile und fast 30 Ermittlungsverfahren gibt es bereits. Gegen mehr als 100 Banken werde ermittelt, hatte der scheidende nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) in der Vergangenheit gesagt. Wissenschaftler waren lange uneins, ob die Geschäfte illegal waren. Ein höchstrichterliches Urteil jedenfalls steht noch aus – auch weil ein größeres Geldhaus den Streit am Ende nicht durch alle Instanzen durchziehen wollte.
Für Gerhard Schick von den Grünen aber ist klar: „Wir reden hier über einen Kriminalfall – nicht über Steuertricks.“Es gibt nach seinen Worten kein Urteil, das „Cum-Ex“als legal eingestuft habe. Ermittelt werde Hintergrund der Anfang 2012 gestoppten „Cum-Ex“-Karussell-Geschäfte ist die Besteuerung von Dividenden. Im Kern ließen die Beteiligten untereinander Aktien zirkulieren, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie gehörten. Bei den auch „Dividendenstripping“genannten Geschäften wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch rund um den Tag der Hauptversammlung zwischen Beteiligten hin- und herverschoben. An diesem Stichtag legen börsennotierte Unternehmen die Höhe der Gewinnausschüttung an ihre Aktionäre fest. Durch das Verschieben hatten mehrere Anleger zum gleichen Zeitpunkt den Eindruck vermittelt, Eigentümer der Aktie zu sein. Ein Aktionär bekam sogar wegen bandenmäßiger Steuerhinterziehung in schweren Fällen. Auch Andreas Schwarz von der SPD ist sich sicher: „Cum-Ex“mit Leerverkäufen sei immer illegal gewesen, hieß es in seinem Büro: „Eine Gesetzeslücke hat insoweit nicht bestanden.“Und ein weiteres Fazit der Abgeordneten lautet: Offensichtlich habe es ein Netzwerk um solche Geschäfte gegeben.
31,8 Milliarden Euro plausibel Der Untersuchungsausschuss hat in 19 öffentlichen Beweisaufnahmen fünf Sachverständige und rund 70 von seiner Aktiengesellschaft nur die Netto-Dividende ausgeschüttet. Die Steuer von 25 Prozent auf die Dividende behielt die Gesellschaft ein und führte sie ans Finanzamt ab. Im Gegensatz zu privaten Aktionäre konnten sich Banken und andere Finanzdienstleister die abgezogene Kapitalertragsteuer zurückholen. Der Ertrag wurde mit anderen Gewinnen erst zum Jahresende steuerlich verrechnet. Für die Rückerstattung reichte der eingereichte Steuerbescheid. Wegen des angeblichen mehrfachen Eigentums wurden zwei Bescheinigungen eingereicht – mit dem Ergebnis, dass eine einmal gezahlte Steuer zweimal erstattet wurde. Bei den zum 1. Januar 2016 gestoppten ähnlich gelagerten „Cum-Cum“-Geschäften Zeugen gehört. Mehr als 200 Beweisbeschlüsse wurden gefasst. Am Ende aber gelingt keine gemeinsame Schlussfolgerung der Bundestagsparteien. Was schon bei der Schadensumme beginnt. Mal ist von zehn, dann wieder von zwölf oder fast 32 Milliarden Euro die Rede. Es sind allesamt Schätzungen. Aus Sicht der SPD ist der Schaden schwer zu ermitteln: „Niemand kann die Summe seriös berechnen“, heißt es. Berücksichtigt werden müssten auch bereits erfolgte und künftige Rückzahlungen sowie Strafgelder.
Weitere Razzien zu erwarten Mitgemischt haben kleine wie große Banken, öffentlich-rechtliche Landesbanken und Institute, die vom Steuerzahler gerettet werden mussten und sich noch teils in Staatshand befinden wie die Commerzbank. Die Maple Bank ist wegen „Cum-Ex“pleite gegangen. Das ein oder andere Geldhaus hat von sich aus reinen Tisch gemacht und Steuern nachgezahlt. Andere klagten gegen Rückzahlungsforderungen – in der Hoffnung, dass sich die Geschäfte als legal herausstellen. Erst kürzlich aber sollen weitere Insider ausgepackt haben, weshalb auf manche Banken und Aktienhändler noch Razzien zukommen dürften.
Aus Sicht von Union und SPD kann dem Finanzministerium weder der Vorwurf gemacht werden, „Cum-Ex“-Geschäfte legalisiert zu haben, noch der Vorwurf, die Aufklärung zu zögerlich behandelt zu haben. So steht es im Berichtsentwurf der Koalitionäre. Der Grünen-Politiker Schick sieht das anders und hält einen Schaden von 31,8 Milliarden Euro für durchaus plausibel: „Schäuble war der teuerste Finanzminister der bundesdeutschen Geschichte.“ konnten große Kunden aus dem Ausland Steuern auf Dividenden von deutschen Unternehmen umgehen. Im Kern werden bei diesen Deals von ausländischen Anlegern gehaltene Anteile kurz vor dem Dividendenstichtag an inländische Anteilseigner übertragen, etwa an Banken. An diese wird die Dividende dann ausgeschüttet, darauf wird eine Kapitalertragsteuer fällig. Die inländische Bank konnte sich dann, anders als die ausländischen Investoren, die Kapitalertragsteuer anrechnen beziehungsweise erstatten lassen. Danach werden die Aktien samt Dividende zurückgereicht, die gesparte Steuer zulasten des Staates und der Allgemeinheit wurde unter Banken und Investoren aufgeteilt. (dpa)