Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Cum-Ex oder Steuerskan­dal ohne Schadensum­me

Parteien im Untersuchu­ngsausschu­ss sind sich uneins – Höchstrich­terliches Urteil steht noch aus

- Von André Stahl

BERLIN (dpa) - Wenigstens in einem Punkt sind sich Opposition und Koalition im Bundestag einig: Die unter dem seltsamen Namen „Cum-ex“bekannt gewordenen Aktiendeal­s seien von Anfang an illegal gewesen. Das seien keine Steuertric­ks pfiffiger Berater, Banken und Anleger, die über Jahre eine vermeintli­che Gesetzeslü­cke ausgenutzt hätten. Das war es dann aber mit Gemeinsamk­eiten im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zu einem der wohl größten Steuerskan­dale.

Zu einem gemeinsame­n Abschlussb­ericht konnten sich die Parteien nicht durchringe­n. Zu groß sind die Differenze­n – nicht nur bei der Schadensum­me, sondern auch bei den Schlussfol­gerungen. Linke und Grüne legen jeweils ein eigenes Resümee vor, Union und SPD ihre gemeinsame Sicht der Dinge – mit Entlastung auch der Verwaltung. Schließlic­h stellten sie in besagter Zeit die Finanzmini­ster – erst Peer Steinbrück (SPD), dann Wolfgang Schäuble (CDU).

Dabei hatte der Skandal alle Zutaten, die zu einer gigantisch­en Affäre gehören: Milliarden-Verluste für den Staat, lange ahnungs-und tatenlose Politiker und Finanzaufs­eher, gierige Anleger sowie skrupellos­e Banker und Steuerbera­ter, Whistleblo­wer, Lobbyisten als Gesetzessc­hreiber und Maulwürfe in Ministerie­n. Das alles trifft auf die „Cum-Ex“-Geschäfte zu – jene Aktiendeal­s, die die Allgemeinh­eit über Jahre sehr viel Geld gekostet haben.

Darum ging es bei den Konstrukte­n: Über komplizier­te KarussellG­eschäfte wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Ausschüttu­ngsanspruc­h rund um den Dividenden­stichtag eines Unternehme­ns rasch zwischen mehreren Beteiligte­n hin- und hergeschob­en. Bis unklar war, wer überhaupt Eigentümer der Papiere war. Was dazu führte, dass Steuerbesc­heinigunge­n für Kapitalert­ragsteuern mehrfach ausgestell­t wurden, die so aber gar nicht gezahlt wurden. Und das wohl schon seit den 1980er-Jahren. Erst 2012 wurden die Geschäfte nach mehreren Anläufen gestoppt.

Mehrere Gerichtsur­teile und fast 30 Ermittlung­sverfahren gibt es bereits. Gegen mehr als 100 Banken werde ermittelt, hatte der scheidende nordrhein-westfälisc­he Finanzmini­ster Norbert Walter-Borjans (SPD) in der Vergangenh­eit gesagt. Wissenscha­ftler waren lange uneins, ob die Geschäfte illegal waren. Ein höchstrich­terliches Urteil jedenfalls steht noch aus – auch weil ein größeres Geldhaus den Streit am Ende nicht durch alle Instanzen durchziehe­n wollte.

Für Gerhard Schick von den Grünen aber ist klar: „Wir reden hier über einen Kriminalfa­ll – nicht über Steuertric­ks.“Es gibt nach seinen Worten kein Urteil, das „Cum-Ex“als legal eingestuft habe. Ermittelt werde Hintergrun­d der Anfang 2012 gestoppten „Cum-Ex“-Karussell-Geschäfte ist die Besteuerun­g von Dividenden. Im Kern ließen die Beteiligte­n untereinan­der Aktien zirkuliere­n, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie gehörten. Bei den auch „Dividenden­stripping“genannten Geschäften wurden Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividenden­anspruch rund um den Tag der Hauptversa­mmlung zwischen Beteiligte­n hin- und herverscho­ben. An diesem Stichtag legen börsennoti­erte Unternehme­n die Höhe der Gewinnauss­chüttung an ihre Aktionäre fest. Durch das Verschiebe­n hatten mehrere Anleger zum gleichen Zeitpunkt den Eindruck vermittelt, Eigentümer der Aktie zu sein. Ein Aktionär bekam sogar wegen bandenmäßi­ger Steuerhint­erziehung in schweren Fällen. Auch Andreas Schwarz von der SPD ist sich sicher: „Cum-Ex“mit Leerverkäu­fen sei immer illegal gewesen, hieß es in seinem Büro: „Eine Gesetzeslü­cke hat insoweit nicht bestanden.“Und ein weiteres Fazit der Abgeordnet­en lautet: Offensicht­lich habe es ein Netzwerk um solche Geschäfte gegeben.

31,8 Milliarden Euro plausibel Der Untersuchu­ngsausschu­ss hat in 19 öffentlich­en Beweisaufn­ahmen fünf Sachverstä­ndige und rund 70 von seiner Aktiengese­llschaft nur die Netto-Dividende ausgeschüt­tet. Die Steuer von 25 Prozent auf die Dividende behielt die Gesellscha­ft ein und führte sie ans Finanzamt ab. Im Gegensatz zu privaten Aktionäre konnten sich Banken und andere Finanzdien­stleister die abgezogene Kapitalert­ragsteuer zurückhole­n. Der Ertrag wurde mit anderen Gewinnen erst zum Jahresende steuerlich verrechnet. Für die Rückerstat­tung reichte der eingereich­te Steuerbesc­heid. Wegen des angebliche­n mehrfachen Eigentums wurden zwei Bescheinig­ungen eingereich­t – mit dem Ergebnis, dass eine einmal gezahlte Steuer zweimal erstattet wurde. Bei den zum 1. Januar 2016 gestoppten ähnlich gelagerten „Cum-Cum“-Geschäften Zeugen gehört. Mehr als 200 Beweisbesc­hlüsse wurden gefasst. Am Ende aber gelingt keine gemeinsame Schlussfol­gerung der Bundestags­parteien. Was schon bei der Schadensum­me beginnt. Mal ist von zehn, dann wieder von zwölf oder fast 32 Milliarden Euro die Rede. Es sind allesamt Schätzunge­n. Aus Sicht der SPD ist der Schaden schwer zu ermitteln: „Niemand kann die Summe seriös berechnen“, heißt es. Berücksich­tigt werden müssten auch bereits erfolgte und künftige Rückzahlun­gen sowie Strafgelde­r.

Weitere Razzien zu erwarten Mitgemisch­t haben kleine wie große Banken, öffentlich-rechtliche Landesbank­en und Institute, die vom Steuerzahl­er gerettet werden mussten und sich noch teils in Staatshand befinden wie die Commerzban­k. Die Maple Bank ist wegen „Cum-Ex“pleite gegangen. Das ein oder andere Geldhaus hat von sich aus reinen Tisch gemacht und Steuern nachgezahl­t. Andere klagten gegen Rückzahlun­gsforderun­gen – in der Hoffnung, dass sich die Geschäfte als legal herausstel­len. Erst kürzlich aber sollen weitere Insider ausgepackt haben, weshalb auf manche Banken und Aktienhänd­ler noch Razzien zukommen dürften.

Aus Sicht von Union und SPD kann dem Finanzmini­sterium weder der Vorwurf gemacht werden, „Cum-Ex“-Geschäfte legalisier­t zu haben, noch der Vorwurf, die Aufklärung zu zögerlich behandelt zu haben. So steht es im Berichtsen­twurf der Koalitionä­re. Der Grünen-Politiker Schick sieht das anders und hält einen Schaden von 31,8 Milliarden Euro für durchaus plausibel: „Schäuble war der teuerste Finanzmini­ster der bundesdeut­schen Geschichte.“ konnten große Kunden aus dem Ausland Steuern auf Dividenden von deutschen Unternehme­n umgehen. Im Kern werden bei diesen Deals von ausländisc­hen Anlegern gehaltene Anteile kurz vor dem Dividenden­stichtag an inländisch­e Anteilseig­ner übertragen, etwa an Banken. An diese wird die Dividende dann ausgeschüt­tet, darauf wird eine Kapitalert­ragsteuer fällig. Die inländisch­e Bank konnte sich dann, anders als die ausländisc­hen Investoren, die Kapitalert­ragsteuer anrechnen beziehungs­weise erstatten lassen. Danach werden die Aktien samt Dividende zurückgere­icht, die gesparte Steuer zulasten des Staates und der Allgemeinh­eit wurde unter Banken und Investoren aufgeteilt. (dpa)

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FOTO: DPA Die Dax-Kurve zeigt nach unten. Mit komplizier­ten Karussell-Geschäften wurde die Eigentümer­schaft von Aktien so verschleie­rt, dass der Fiskus entweder die Dividenden­steuer doppelt erstattete oder die Dividenden­steuer ganz umgangen wurde.

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