Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Unesco würdigt die Wiege der Menschheit
Sechs Höhlen im Ach- und Lonetal, Fundorte von Kunst aus der Eiszeit, sind jetzt Teil des Weltkulturerbes
BLAUBEUREN - Die sechs Höhlen im Ach- und Lonetal sind am Sonntag von der Unesco bei ihrer Tagung im polnischen Krakau zum Weltkulturerbe ernannt worden. Lediglich 15 Minuten dauerte die Beratung, bevor die Höhlen der ältesten Eiszeitkunst auf der Schwäbischen Alb in die begehrte Welterbe-Liste aufgenommen wurden. Die sechs Höhlen in Baden-Württemberg gelten als eines der wichtigsten Ausgrabungsgebiete für Archäologen – sie bergen einige der ältesten Kunstwerke der Menschheit, darunter die Venus vom Hohle Fels aus Schelklingen, aus Elfenbein gefertigte Miniaturen von Wildpferden, Mammuts, Löwen, Bären und Vögeln sowie Flöten aus Vogelknochen.
Als der Vorsitzende des UnescoKomitees, der polnische Historiker Jacek Purchla, um 12.39 Uhr am Sonntag seinen kleinen Holzhammer auf den Tisch mit dem Wort „adopted“knallt, ist die Entscheidung gefallen. Der Alb-Donau-Kreis mit seinen fünf und der Kreis Heidenheim mit einer Höhle gehören fortan zum Unesco-Weltkulturerbe. Nahezu zeitgleich findet in der kleinen Stadt Schelklingen, auf deren Territorium der Hohle Fels liegt, ein Kirchplatzfest statt. Bürgermeister Ulrich Ruckh (parteilos) verkündet die Nachricht und die Bevölkerung jubelt.
Livestream aus Krakau Wenige Kilometer entfernt sitzt Heiner Scheffold, parteiloser Landrat des Alb-Donau-Kreises, im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren und verfolgt die Entscheidung aus Krakau per Livestream. „Die Verleihung des Welterbe-Status für Höhlen der ältesten Eiszeitkunst ist eine fantastische Nachricht mit Schubkraft für unsere ganze Region“, kommentiert Scheffold die Entscheidung und lässt sofort eine Pressekonferenz im Urgeschichtlichen Museum einberufen. „Wir sind einen langen Weg gegangen. Dass wir nun Weltkulturerbe sind, ist der krönende Abschluss dieses Weges“, sagt Scheffold, der stolz darauf ist, dass mit dem Hohle Fels, dem Geißenklösterle und Sirgenstein, der Höhle Bockstein und der Höhle Hohlenstein gleich fünf der sechs ernannten Höhlen im Alb-Donau-Kreis und somit an der Schwäbischen Alb liegen. „Das ist eine wunderbare und heiß ersehnte Entscheidung. Wir haben in der Region darauf gehofft und waren optimistisch. Aber jetzt, wo es feststeht, ist man erfreut und erleichtert zugleich“, sagt der Landrat. „Die Welterbe-Anerkennung gibt der Region, die unter der Dachmarke Weltkultursprung zusammenarbeitet, neue, starke Impulse für eine nachhaltige touristische Entwicklung, welche die Fundorte und die Präsentationsorte der Eiszeitkunst in der Region stärker miteinander verknüpfen und für Touristen noch besser erlebbar machen will“, so Landrat Scheffold weiter.
Konkret will der Alb-DonauKreis in Zusammenarbeit mit dem Kreis Heidenheim nun eine gemeinsame Weltkulturerbe-Geschäftsstelle einrichten, folgen sollen diverse Medienkampagnen und Events, bei denen namhafte Musiker in den Höhlen Konzerte geben.
Denn Musik, Kunst und Kultur – das stehe jetzt fest – sei in dieser Region quasi aus der Taufe gehoben worden. Dort, wo sich die Schwäbische Alb dem Alpenvorland zuneigt, hat sich vor 40 000 Jahren ein gewaltiger Sprung in der Entwicklung hin zum modernen Menschen ereignet. In der Region nahe Ulm, im Alb-Donau-Kreis und im Landkreis Heidenheim, fing der eiszeitliche Mensch an, figürliche Darstellungen von Tieren und Menschen sowie die weltweit ersten Musikinstrumente zu erdenken und zu erschaffen. Die ältesten figürlichen Kunstwerke und Musikinstrumente der Menschheit wurden von Archäologen in mehreren Höhlen entdeckt, im Achtal bei Schelklingen und Blaubeuren (AlbDonau-Kreis) sowie im Lonetal (Alb-Donau-Kreis/Landkreis Heidenheim). Die wichtigsten Fundorte sind die Höhlen Hohle Fels, Geißenklösterle und Sirgensteinhöhle (Achtal) sowie Bocksteinhöhle, Hohlenstein und Vogelherdhöhle (Lonetal). Gerade die Venus aus dem Hohle Fels, die 40 000 Jahre alt ist und 2008 bei Grabungen gefunden wurde, hat es seit ihrer Entdeckung zu einer weltweiten Berühmtheit gebracht. Medien aus aller Welt zeigten die kleine Figur, die mittlerweile im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren zu sehen ist. Die Venus steht quasi exemplarisch für die Epoche des Aurignaciens – die Zeit vor 43 000 bis 34 000 Jahren.
„Hochverdiente Auszeichnung“Die in den Höhlen gefundenen Zeugnisse werden von Archäologen weltweit, darunter der Tübinger Professor Nicholas Conard, Leiter der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie an der Uni Tübingen, als wissenschaftliche Sensation bezeichnet. Als hochverdiente Auszeichnung bezeichnete Conard die Entscheidung der Unesco. Conard leitet die Grabungsarbeiten auf der Schwäbischen Alb seit 1996: „Die Funde aus den Eiszeithöhlen zeigen eine außergewöhnliche Schöpferkraft der ersten modernen Menschen. Tübinger Wissenschaftler haben sie mit viel Arbeit und Engagement erschlossen und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Es ist für uns ein wichtiges Zeichen, dass diese weltweit einzigartige Fundlandschaft nun zum Weltkulturerbe zählt“, betonte Conard.
Auch Stefanie Kölbl, Chefin des Urgeschichtlichen Museums, ist sich der Bedeutung des WeltkulturerbeStatus bewusst. „Wir hoffen natürlich auf weitere spektakuläre Funde und sehen dadurch eine große Zukunft für die ganze Region. Schon jetzt kommen Besucher aus den USA und Australien bei ihren Europareisen zu uns“, sagt Kölbl stolz.
Angebot wird ausgebaut Zu der langen Liste der Gratulanten gehört auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann: „Die Auszeichnung ist eine große Ehre“, freut sich der Grünen-Politiker über den Titel. „Die einzigartigen Fundstätten auf der Schwäbischen Alb zeigen, dass die Wiege der Kunst und der Musik im Ach- und Lonetal zu finden ist“, fügte er hinzu. Der Unesco-Titel verpflichte Baden-Württemberg nun, dieses kulturelle Erbe der Menschheit zu erhalten, sagte er.
Und das sieht auch Landrat Scheffold so. „Wir wollen für die Menschen erlebbar machen, was vor 40 000 Jahren bei uns passiert ist. Dazu gehören Wanderwege und der Eiszeitpfad – beides werden wir noch stärker ausbauen und hoffen dabei natürlich auch auf die Hilfe des Landes.“
Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch (CDU), der im dortigen Museum ebenfalls Funde beheimatet, nannte das Votum des Welterbe-Komitees „eine großartige Entscheidung von großer Tragweite“. Bevor aber im Alb-Donau-Kreis die weiteren Weichen für die Zukunft des Welterbes gestellt werden, wollten am Sonntag alle Beteiligten den Tag „einfach nur genießen“.
Ein Besuch bei drei Ausgrabungsorten an der Alb: www.schwäbische.de/ hohlefelsgrabung