Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gewalt beim Gipfel bringt Scholz in die Bredouille
Politiker loben Einsatz der Sicherheitskräfte – Gleichzeitig beginnt Debatte um Konsequenzen aus den Vorfällen
HAMBURG - „Das schockiert mich, das macht mich fassungslos“, sagt Frank-Walter Steinmeier am Morgen danach. Der Bundespräsident ist gekommen, um Polizei und Helfern für ihren Einsatz zu danken, und sich selbst ein Bild über die Folgen der Hamburger Chaostage während des G20-Gipfels zu machen. „Ein solches Ausmaß an Gewalt haben wir in den letzten Jahren bei Demonstrationen in Deutschland nicht erlebt“, sagt das Staatsoberhaupt erschüttert von dem Ausmaß der Ausschreitungen.
Am Morgen nach dem G20-Gipfel, nach der dritten Krawallnacht in Folge liegt noch immer Brandgeruch über dem Hamburger Schanzenviertel, dort, wo sich Szenen wie im Bürgerkrieg abgespielt haben. Kehrmaschinen rollen über die Straße „Am Schulterblatt“, Aufräumarbeiten nach dem Gewaltexzess. Anwohner und Touristen sammeln Pflastersteine auf, fegen verkohlten Müll weg.
Steinmeier ist in die Hansestadt gekommen, um Beistand zu leisten. Doch an den Ort des Grauens, dort wo es auch Stunden vorher wieder gebrannt hat, geht der Bundespräsident aus Sicherheitsgründen nicht. Er spricht andernorts mit geschädigten Anwohnern des Viertels und besucht einige der fast 500 verletzten Polizisten im Bundeswehrkrankenhaus. Er lobt den Einsatz der Sicherheitskräfte, der hohe Anerkennung verdiene.
An der Seite von Steinmeier steht Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz, der nach dem schwarzen Wochenende massiv unter Druck steht. Der SPD-Politiker weist Kritik an der Polizei zurück und stellt sich vor die Einsatzkräfte. „Die haben alles richtiggemacht und einen heldenhaften Einsatz zustande gebracht“, lobt der SPDPolitiker, der angeschlagen wirkt. „Viele sind sehr erschrocken, ich bin es auch“, erklärt er.
Sicherheitsgarantie abgegeben „Scholz, der Tor zur Welt“, titelt dagegen die Boulevardpresse und wirft ihm und seinem Team Versagen vor. Schließlich hatte er vor dem G20Gipfel eine Sicherheitsgarantie abgeben und darauf verwiesen, dass man Erfahrung mit Großveranstaltungen wie etwa dem jährlich stattfindenden Hafengeburtstag habe.
War es richtig, den G20-Gipfel mitten in der Metropole Hamburg, noch dazu nahe des linksautonomen Schanzenviertels auszurichten? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Schon ist von Staatsversagen die Rede. Kanzlerin Angela Merkel verteidigt ihre Entscheidung, die sie gemeinsam mit SPD-Mann Scholz getroffen hatte, das Treffen hier in der Hansestadt abzuhalten. „Hier wurde exzellente Arbeit geleistet“, lobt die Kanzlerin die Polizei für ihren Einsatz und dankt „ausdrücklich auch im Namen der anderen Gipfelteilnehmer“. Sie verurteilt die „entfesselte Gewalt auf das Schärfste“und beklagt: „Wer so handelt, dem geht es nicht um politische Kritik oder um ein besseres Leben auf der Erde.“Gemeinsam mit Scholz trifft sie sich am Ende des Gipfel-Treffens mit Polizisten, Sanitätern und anderen Helfern. Merkel verspricht den Opfern der Krawalle rasche Entschädigung. „Wir prüfen das ‚wie‘, und nicht ‚ob‘.“
Zugleich begann am Sonntag die Debatte, welche Konsequenzen aus der Gewalteskalation in Hamburg gezogen werden müssen. „Die Täter unterscheiden sich überhaupt nicht von Neonazis und deren Brandanschlägen“, sagte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) am Sonntag. Deutschlands Bild in der Welt werde so schwer in Mitleidenschaft gezogen, beklagte er und forderte die Einrichtung einer europaweiten Fahndungstruppe im Kampf gegen solche Straftäter. Viele Gewalttäter des sogenannten Schwarzen Blocks waren aus dem Ausland angereist.
Bei den Tätern handele es sich nicht um bloße Chaoten, sondern vielmehr „um schwerstkriminelle Gewalttäter und Brandstifter“, die sich vor Gericht verantworten müssten, sagte Justizminister Heiko Maas. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz verurteilte die Ausschreitungen und sprach von „Mordbrennern“, mit denen man es zu tun habe.
Ruf nach Scholz’ Rücktritt Schon wird der Ruf nach einem Rücktritt von Hamburgs Erstem Bürgermeister Scholz laut. Habe er doch ganz offensichtlich das Ausmaß der Bedrohung falsch eingeschätzt. „Olaf Scholz weiß selber am besten, dass sein Vergleich des G20-Gipfels mit einem Hafengeburtstag abwegig und politisch ein schwerer Fehler war, aber deshalb muss man nicht gleich seinen Rücktritt fordern“, nimmt CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach den SPD-Politiker in Schutz. Dennoch müssten jetzt längst überfällige Konsequenzen gezogen werden. So dürften vom rot-grünen Senat in Hamburg keine rechtsfreien Räume mehr geduldet werden.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Stephan Mayer (CSU), forderte: „Die neue Dimension enthemmter und entfesselter Aggression und Zerstörungswut auf Seiten linksextremistischer und autonomer Chaoten muss Anlass dazu geben, sich intensiver mit dem gewaltbereiten Linksextremismus auseinanderzusetzen.“Man dürfe jetzt nicht zur Tagesordnung zurückkehren.