Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Dunkle Wolken zu finsteren Gestalten
Wagners „Fliegender Holländer“bei den Heidenheimer Festspielen
HEIDENHEIM - „Mit Gewitter und Sturm aus fernem Meer“– so beginnt der junge Steuermann des norwegischen Kaufmanns Daland in Wagners „Der fliegende Holländer“sein Lied. Für die Opernfestspiele Heidenheim war es wohl eine Regieanweisung von oben, denn am späten Freitagnachmittag türmten sich rund um die malerische Burgruine Schloss Hellenstein Gewitterwolken, die sich vor und während der Aufführung entluden.
Marcus Bosch, der gebürtige Heidenheimer, Generalmusikdirektor am Staatstheater Nürnberg, erster Gastdirigent bei der Südwestdeutschen Philharmonie in Konstanz, leitet die Opernfestspiele seit sieben Jahren. So erfolgreich, dass sein Vertrag bereits vorzeitig bis 2025 verlängert wurde. Dicht ist das Programm, das Bosch da auf die Beine stellt: Neben dem Zugpferd, der Produktion einer beliebten Oper auf Schloss Hellenstein, gibt es eine zweite, unbekanntere Oper zu entdecken (heuer Verdis „Un giorno di regno“als Fortsetzung einer im vergangenen Jahr begonnenen Verdi-Reihe) mit nur zwei Aufführungen. Die Stuttgarter Philharmoniker stellen das Festspielorchester, dazu hat Bosch mit der Capella Aquileia ein eigenes Ensemble der Opernfestspiele gegründet und den Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn als festen Opernchor engagiert.
Bei der „Holländer“-Premiere ließ sich die politische und gesellschaftliche Prominenz von Heidenheim und Umgebung begeistern von Wagners romantischen Klängen, der schaurigen Handlung und den großen Stimmen.
Zugriff aufs Publikum Mit dem österreichischen Regisseur Georg Schmidleitner hat Marcus Bosch in den vergangenen Jahren am Staatstheater Nürnberg unter anderem Wagners „Ring des Nibelungen“geschmiedet. Für den „Fliegenden Holländer“entwickelt er gemeinsam mit dem Bühnenbildner Stefan Brandtmayer und der Kostümbildnerin Cornelia Kraske eine düstere Szenerie, die das Beziehungsgeflecht um den geheimnisvollen Holländer, den gierigen Kaufmann Daland, seine in eine andere Welt geflüchtete Tochter Senta und den biederen Verlobten Erik nachzeichnet.
Schon während der machtvoll wogenden Ouvertüre wird klar: nicht mädchenhafte Schwärmerei und romantische Sagengläubigkeit umfangen Senta, sondern Missbrauch und psychische Belastungen haben sie geprägt. Aus dem Mädchen im roten Kleid zur Ouvertüre ist später eine verschlossene, schwarz gekleidete, sich zwanghaft juckende junge Frau mit Springerstiefeln geworden, die sich mit allerlei dunklen Symbolen umgibt. Da passt der geheimnisvolle Holländer, der von hinten durchs Publikum auftritt, mit seinem langen schwarzen Mantel, den Tätowierungen und silbernen Ringen. Während seiner glänzend gesungenen Auftrittsarie packt sich Antonio Yang, der südkoreanische Bassbariton, auch einmal die Damen im Publikum. Schließlich sucht er bei seinen Landgängen eine Frau, die ihn von seinem ewigen Seefahrerdasein erlöst.
Vater Daland, der sich wohl in seinen Geschäften verspekuliert hat und dessen Arbeiterinnen von einer strengen Aufseherin kontrolliert werden, lässt sich vom Holländer und seinen dunklen Gesellen beeindrucken und verschachert seine Tochter an den Unbekannten. Der Deutsch-Schwedin Inga-Britt Andersson mit der jugendlich leuchtenden Sopranstimme glaubt man die Hingabe an den geheimnisvollen Mann aus ihren Träumen. Zwei Außenseiter haben sich gefunden, die Abhängigkeit von Vater Daland, den schnatternden Seefahrerfrauen und dem ungeliebt zuverlässigen Erik wird aufgelöst. Dass sich im Handgemenge ein Schuss löst, Erik getroffen wird und schließlich sogar der junge Steuermann den Daland massakriert, gehört neben der ausufernden Partygesellgeschaft bei den Seemannschören zu den etwas überfrachteten Umdeutungen des Regisseurs.
Gesungen und gespielt wird auch sonst auf beeindruckend hohem Niveau, vom feinen Tenor des Martin Platz über den zunächst etwas schnarrenden Bass des Randall Jakobsh als Daland zu den heldischen Klängen des Erik von Vincent Wolfsteiner und den dunklen Farben von Melanie Forgeron als Mary. Der Tschechische Philharmonische Chor Brünn agiert und singt ebenso lustvoll wie kultiviert in allen Stimmen, die Stuttgarter Philharmoniker musizieren unter Marcus Bosch mit rauschhaftem, mitunter etwas plakativem Klang.
Weitere Aufführungen sind am 14., 15., 21., 22., 26. und 28. Juli geplant. Tickets: 07321/327 7777