Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Auf Spurensuche: Familie Sondermann aus Uruguay in Ravensburg
Südamerikaner lernen Heimatstadt ihrer Großeltern kennen – Stadtarchiv hilft bei der Recherche
RAVENSBURG (sz) - Familie Sondermann aus Uruguay hat sich diese Woche in Ravensburg auf die Spurensuche ihrer Vorfahren begeben. Wie die Stadtverwaltung Ravensburg mitteilt, kam das jüdische Ehepaar Siegfried und Hilda Sondermann 1912 nach Ravensburg und eröffnete zunächst in der Marktstraße und dann am Marienplatz 30 (heute Tom Tailor) das Schuhhaus Merkur. „Das Geschäft florierte, und die Familie war in Ravensburg angesehen“, schreibt die Stadt. Die drei Söhne, die Zwillinge Kurt und Hans sowie der jüngere Rolf, wurden hier geboren und besuchten das Gymnasium. Gelebt hat die Familie in einer Mietwohnung in der Leonhardstraße 3.
Um die Heimatstadt ihrer Eltern und Großeltern kennenzulernen, sind die drei Kinder von Hans Sondermann, Eva (wohnhaft in Uruguay), Susana und Ricardo (beide leben in Brasilien), mit ihren Partnern nach Ravensburg gekommen. Nach einem Empfang bei Oberbürgermeister Daniel Rapp hat sich die Familie mit Stadtarchivar Andreas Schmauder auf Spurensuche begeben: zu den Stolpersteinen ihrer Großeltern vor dem ehemaligen Schuhhaus, zum alten Geschäft in der Marktstraße, ins Lieblingscafé des Großvaters ins „Krafft“und ins Museum Humpisquartier, dem die Familie Werbeplakate des Schuhhauses und einen Schuhspanner überlassen hatte.
Auch die heutigen Bewohner der Leonhardstraße 3 bereiteten der Familie Sondermann einen sehr warmherzigen und freundschaftlichen Empfang. Sie zeigten ihnen die ehemalige Wohnung und feierten mit Susana Sondermann Geburtstag. Als Resümee ihres Besuchs hat Eva Sondermann-Kalbermann in das Gästebuch des Museums Humpisquartier geschrieben: „Ich bin wieder zurück! Noch so gerne! Für mich ist das meine Stadt, nicht nur die meiner Familie!“
Für diese änderte sich mit der nationalsozilistischen Machtergreifung 1933 die Situation in Deutschland grundlegend. Unter dem Druck des Boykotts jüdischer Geschäfte, bürokratischer Schikanen und zahlreicher diskriminierender Gesetze sah sich der Großvater Siegried Sondermann gezwungen, sein Geschäft im September 1938 an die langjährige Geschäftsführerin Rosa Keckeisen und ihren Bruder zu verkaufen. Der Erlös, der unter dem eigentlichen Wert lag, sollte die Grundlage sein, auswandern zu können. Wie die Sondermanns waren bis 1938 rund 40 Prozent der ehemaligen jüdischen Bevölkerung in Deutschland emigriert. Sondermanns Sohn Kurt war schon 1935 nach Brasilien ausgewandert.
Die Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 und die anschließende Verbringung von Siegfried Sondermann in dreitägige „Schutzhaft“war für ihn und seine Familie das endgültige Signal zur Auswanderung. Die Familie ging schließlich nach Montevideo in Uruguay und baute sich dort eine neue Existenz auf.