Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kultur leben
G elesen wird ja noch immer. Auch im Hochsommer. Im Kulturzentrum am Konstanzer Münster präsentiert Ilija Trojanow morgen, 11. Juli, seinen Band „Nach der Flucht“. Der Autor hat seinen Betrachtungen einer ‚Welt im Wandel‘ eine weitere hinzugefügt. Als Kind selbst mit seiner Familie aus Bulgarien geflohen, lässt Trojanow diese Erfahrung bis heute nicht los. Immer noch ist er ein Umherziehender. In „Nach der Flucht“erzählt er von sich selbst, als Beispiel für viele. Etwa von jener Einsamkeit, der sich ein Flüchtling in einer neuen Zwangsheimat zunächst ausgesetzt sieht. Oder davon, wie wenig die bisherige Lebensleistung des Geflüchteten am neuen Ort gilt. Entstanden ist ein autobiografischer Essay, der ein Massenschicksal des frühen 21. Jahrhunderts reflektiert. Über seine Lebens- und Fluchterfahrungen führt Judith Zwick nach der Lesung ein Gespräch mit Ilija Trojanow.
Auch Axel Hacke beschäftigt sich in seinem neuen Buch „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“mit aktuellen Unsicherheiten. Das überrascht, wenn man Hacke als Humoristen und Kolumnisten im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“kennt. Die neue Veröffentlichung ist ein assoziatives Nachdenken über das Zusammenleben der Menschen. Und ein Plädoyer dafür, die Antwort nicht bei anderen, sondern bei sich selbst zu
suchen – um dabei vielleicht etwas Demut zu entdecken. Hacke dürfte seinen Auftritt in Lindenberg am Donnerstag (Kulturboden, 20 Uhr) auch nutzen, um dieses Buch vorzustellen. Angekündigt wird er aber mit der Erzählung „Die Tage,
die ich mit Gott verbrachte“. Er schildert Gott „als melancholischen Künstler, der Großes schaffen wollte und nun unglücklich ist mit dem, was daraus geworden ist, enttäuscht von sich selbst und auf der Suche nach Trost und Verzeihung.“Herausgekommen ist eine versponnene Geschichte voll seltsamster Ereignisse – und das ist wieder typisch Hacke.
Auch am 13. Juli kommt der Schweizer Autor Stefan Keller anlässlich der „Jüdischen Kulturwochen“ in das JUFA-Literaturcafé Meersburg. Sein Buch „Grüningers Fall“von 1994 sorgte einst für erregte Debatten in der Schweiz. Keller hatte recherchiert, wie der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger (1891-1972) 1938 vielen von Österreich in die Schweiz flüchtenden Jüdinnen und Juden das Leben rettete – unter Missachtung der damaligen Gesetzgebung. Schon 1939 flogen seine riskanten Hilfestellungen auf, Grüninger verlor seinen Posten. Wegen Urkundenfälschung wurde er zu einem Bußgeld verurteilt, Bespitzelungen und Denunziationen folgten. Ohne Pensionsberechtigung musste er später als Aushilfslehrer arbeiten. Die St. Galler Regierung wies lange alle Rehabilitierungsgesuche ab. Kellers historische Reportage „war entscheidend für die Kampagne, mit der die Ehre des Polizeihauptmanns wieder hergestellt worden ist.“(L.A. Times).
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