Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Der gezähmte Wüterich
Sebastian Vettel fährt Platz zwei in Österreich brav nach Hause – ganz ohne Maulen schafft er es aber nicht
SPIELBERG (dpa/SID/sz) - Es geht auch ohne Rammbockaktionen. Ferrari-Star Sebastian Vettel hat sich im heißen Formel-1-Titelkampf mit Lewis Hamilton mehr Luft verschafft. Und das ohne sich mit ihm auf der Strecke duellieren zu müssen. Während der Heppenheimer den Sieg um eine halbe Sekunde verpasste und hinter Hamiltons Silberpfeil-Kollege Valtteri Bottas Zweiter wurde, landete Hamilton nach einer Aufholjagd auf Rang vier. Dritter wurde Daniel Ricciardo im Red Bull.
Zwei Wochen nach seinem Wutrempler von Baku feierte Vettel mit dem zweiten Platz sein bestes Ergebnis in Österreich; der Red-Bull-Ring bleibt eine Mercedes-Piste, seit der Formel-1-Rückkehr 2014 gewann immer ein Silberpfeil. In der WM-Wertung vergrößerte Vettel mit nun 171 Punkten seinen Vorsprung auf Hamilton nach dem neunten Grand Prix auf 20 Punkte.
„Hätte eine Runde mehr gebraucht“„Ich hätte nur eine Runde mehr gebraucht, natürlich wollte ich den Sieg. Aber es ist auch so ein gutes Ergebnis“, sagte Vettel, der Bottas immer näher gekommen war. Hamilton indes bekannte einsilbig: „So richtig Spaß hat es nicht gemacht, es war ziemlich hart.“So zahm der wegen seines prall gefüllten Sündenregisters von einer Sperre bedrohte Vettel sich diesmal auf der Strecke gegeben hatte und so fair und herzlich er hinterher Bottas auch gratulierte – ganz ohne Polemik kam Vettel auch in Österreich nicht aus und beharrte darauf, dass Bottas einen Frühstart hingelegt hatte: „Ich möchte Valtteri nichts absprechen, aber ich glaube nicht, dass seine Reaktionszeit so schnell war“, sagte er, „das ist nämlich eine unmenschliche Reaktionszeit.“Es sei aber nicht an ihm, „das zu beurteilen“.
Das taten dafür die Rennkommissare, die Bottas nach einer eingehenden Untersuchung des Starts eine ebenso fantastische wie regelkonforme Reaktionszeit von 0,2 Sekunden bescheinigten. „Das war der perfekteste Start meiner Karriere“, sagte der Finne, der sich über den zweiten Sieg seiner Karriere freute. Mercedes-Teamaufsichtsrat Niki Lauda befand: „Die Jammerei von Sebastian versteh ich nicht.“
Lauda mahnte sein Team zudem trotz des knappen Sieges zur Konzentration. „Ferrari ist auf einem sehr guten Weg“, sagte der Österreicher bei RTL, „ich werde mich jetzt mit Toto Wolff zusammensetzen, da muss etwas passieren, 20 Punkte sind eine Menge Holz. Mercedes muss jetzt nachlegen ohne Ende“. Lauda forderte unverblümt „einen Doppelsieg beim nächsten Rennen in Silverstone“.
Vor dem Rennen war die Stimmung zwischen Vettel und Hamilton angespannt gewesen. Der Ausraster von Baku, als der Heppenheimer seinem WM-Kontrahenten absichtlich gegen den Reifen gefahren war, hat die Beziehung der beiden Topstars abkühlen lassen. Vettel bat mit Verspätung zwar um Entschuldigung und räumte sein Fehlverhalten ein, doch Hamiltons Ärger scheint noch längst nicht verraucht.
Zudem war Hamilton mit einem Handicap nach Österreich gereist. Weil sein Getriebe gewechselt werden musste, war schon vorher klar, dass der dreimalige Weltmeister fünf Startplätze weiter hinten starten würde. In der Qualifikation kam Hamilton dann wegen einiger Fahrfehler nicht über Rang drei hinter Bottas und Vettel hinaus, am Start ordnete er sich daher auf Platz acht ein.
Mit etwas Glück kam Hamilton unbeschadet durch die erste Kurve. Direkt hinter ihm räumte Toro-Rosso-Fahrer Daniil Kwjat Fernando Alonso im McLaren und Red-BullPilot Max Verstappen von der Strecke, der Russe kassierte dafür später eine Durchfahrtstrafe. Den 12 000 angereisten Verstappen-Fans half das kaum über ihren Schock hinweg. „Es ist sehr enttäuschend“, sagte Verstappen nach dem fünften Aus innerhalb der letzten sieben Rennen.
Wehrlein am Ende auf Platz 14 Vorn zog Bottas davon, Vettel konnte zunächst nicht mithalten. Dahinter wühlte sich Hamilton durchs Feld und war bald Fünfter. Allerdings warnte ihn sein Renningenieur wegen überhitzender Bremsen, Hamilton musste den Angriff auf Kimi Räikkönen im Ferrari vorerst abbrechen. Erst durch seine Reifenstrategie kam der Brite später am Finnen vorbei. Die Ferrari-Hoffnung, dass der zwischenzeitlich führende Räikkönen vor seinem späten Boxenstopp Bottas etwas aufhalten und damit Vettel helfen könnte, erfüllte sich nicht. Bottas zog bei nächster Gelegenheit vorbei und strebte unbeirrt dem Sieg entgegen. Vettel kam in den Schlussrunden zwar noch einmal ganz nahe, für eine echte Attacke aber reichte es nicht mehr. Nico Hülkenberg (Emmerich) blieb im Renault auf Platz 14 ebenso ohne Punkte wie der Worndorfer Pascal Wehrlein. Der 22-Jährige musste nach einem Motorenwechsel aus der Boxengasse starten und landete auf Rang 14.