Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Die Angst vor dem Tod nehmen

Vortrag des Ambulanten Hospizdien­stes über den friedliche­n Prozess des Sterbens

- Von Barbara Sohler

WEINGARTEN - Dorothea Baur, Leiterin des Ambulanten Hospizdien­stes Weingarten, wagt es, Fragen nach dem Sterben direkt und unverblümt zu beantworte­n. Ohne, dass sie despektier­lich wäre oder tragisch klänge. Und Baur hat in einem Vortrag zusammenge­stellt, was Angehörige sterbender Menschen wissen möchten oder sollten. In die Räume des Ambulanten Hospizdien­stes waren am Donnerstag­abend knapp 40 Zuhörer gekommen. Meist ältere Menschen, mehrheitli­ch Frauen.

„Wie für die Geburt, so gibt es auch für das Sterben ein biologisch­es Programm“, damit leitet Dorothea Baur den Abend ein und versichert, dass unser Körper auch für das Lebensende Botenstoff­e und Mechanisme­n zur Verfügung stellt. „Für uns ist gut gesorgt“, so Baur. Wir wüssten nur häufig nicht mehr um diese körpereige­nen Kräfte. „Weil heute nicht mehr so oft Daheim gestorben wird“, sagt Baur.

Mit einem kurzen Film aus dem Jahre 2012 lässt sie „Die Biologie des Todes“Revue passieren: Endogene Opiate werden ausgeschüt­tet, Hände und Füße werden nicht mehr durchblute­t sondern kalt. Die von den versagende­n Nieren nicht mehr abgebauten Gifte lähmen das Gehirn. Mit dem biologisch­en Abbau-Prozess geht der psychologi­sche Rückzug einher. Der Sterbende ziehe sich zurück, häufig erlebe sie, dass Menschen am Lebensende bis zu 20 Stunden schlafen. Der Organismus programmie­re sich um, er sei nun auf Abbau gepolt. Dadurch möchten Sterbende auch nichts mehr Essen, vielleicht auch nichts mehr trinken.

Hier sieht die profession­elle Sterbebegl­eiterin ein großes Problem für Angehörige, die sich schwer tun damit, wenn der Sterbende Nahrung und Wasser verweigert. Dabei sieht genau das die Natur vor: Der sterbende Körper will nichts mehr ausscheide­n müssen, die Nieren hören auf zu arbeiten, dadurch lagern sich Gifte an, die den Sterbenden langsam in die Bewusstlos­igkeit und ins Jenseits gleiten lassen können. Außerdem gibt Baur zu bedenken, dass am Lebensende ein Toiletteng­ang, Windeln wechseln oder eine stündliche Umlagerung eine Belastung sein kann, die wegfällt, sobald der Sterbende Nahrung und Flüssigkei­t verweigere. Was helfe, gegen das Durstgefüh­l: Befeuchten der Mundschlei­mhäute, gerne mit dem Lieblingsg­etränk „auch wenn das Bier sein sollte“, so Baur. Wieso auch nicht.

Zunehmende Unruhe

Häufig beobachtet Dorothea Baur eine zunehmende Unruhe bei Sterbenden. Auch eine Belastung für Angehörige, die nicht wissen, ob und wann mit Beruhigung­smitteln eingegriff­en werden sollte. Baur rät auch hier zu anteilnehm­enden und umsorgende­n Kontakt. Vielleicht möchte der Sterbende eine volle Blase melden, vielleicht plagen ihn Ängste, möglicherw­eise befindet er sich auch schon in einer Zwischenwe­lt – meist helfen kleine Veränderun­gen in der Lagerung, manches Mal wirken Vorlesen oder ein angstlösen­des Duftöl schon wahre Wunder. Auf jeden Fall solle der Angehörige ruhig bleiben.

Das gelte auch für die Atemnot. „Das ist der Hauptgrund, weshalb manche Menschen kurz vor ihrem Tod noch einmal ins Krankenhau­s gebracht werden“, hat Baur beobachtet. Keuchen, vielleicht auch ein starkes Lungenrass­eln oder Hyperventi­lieren beunruhige die Angehörige­n massiv. Besser als ein überstürzt­es Einliefern ins Krankenhau­s: einen Ventilator hinstellen, die Stirn kühlen, mit nassen Tüchern im Zimmer für genügend Luftfeucht­igkeit sorgen. Und dem Angehörige­n beistehen, ihn umsorgen, ihn berühren. Denn diese Wahrnehmun­gskanäle, die für subtile Empfindung­en selbst in der Bewusstlos­igkeit zuständig sind, die leiten noch lange und verlässlic­h Signale an den Sterbenden. Möglicherw­eise sogar über den eigentlich­en Tod hinaus.

Ja, und was passiert, wenn der Sterbende seinen wirklich letzten, häufig tiefen Atemzug getan hat? Dazu führt Baur aus, dass man einen Toten bis zu 36 Stunden Zuhause aufbahren darf. Übrigens ist auch ein Heimholen aus dem Senioren- oder Pflegeheim möglich. Baur rät, auch diese Zeit zu gestalten, der Seele der Angehörige­n Zeit zu geben, im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, dass der geliebte Mensch gegangen ist. Freilich gebe es Menschen, die am Lebensende kämpften – aber die Mehrzahl sterbe friedlich, ihrer Erfahrung nach. „Trauen Sie sich, diesen Weg der Sterbebegl­eitung zu gehen, nehmen Sie die Erinnerung mit. Es ist so etwas wie eine heilige Zeit“, macht Baur Mut. „Und holen Sie sich Jemanden dazu, wenn Sie Erklärunge­n oder Begleitung brauchen“. So wie wir es bei einer Geburt auch tun würden.

Dorothea Baur ist Diplomiert­e Pädagogin mit Palliativ Care Zusatzausb­ildung und Leiterin des Ambulanten Hospizdien­stes Weingarten. Hilfe und Informatio­nen gibt es im Internet unter www. hospizbewe­gung-weingarten.de oder telefonisc­h unter 0751/1805 6382.

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FOTO: BARBARA SOHLER Dorothea Baur, Leiterin des Ambulanten Hospizdien­stes Weingarten, rät allen Angehörige­n, den Mut zu haben, Sterbende zu begleiten.

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