Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Kapitulation der IS-Kämpfer schafft Präzedenzfall
Die Schlacht im Qalamoun, wo die Grenze zwischen dem Libanon und Syrien verläuft, dauerte nur wenige Tage. Dann waren rund 350 von der Hisbollah sowie der syrischen und libanesischen Armee umzingelte Kämpfer der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) zur Kapitulation bereit. Im Gegenzug, lautete ihre Bedingung, müsse man sie ins fast 1000 Kilometer entfernte Abu Kamal an der syrisch-irakischen Grenze abziehen lassen.
Auf ähnliche „Arrangements“hatte sich die syrische Staatsarmee auch mit Waffenträgern des Kaida-Ablegers Nusra-Front sowie anderer Gruppierungen geeinigt. Mehr als 5000 Kämpfer waren in den letzten Monaten mit ihren Familien aus Enklaven im Großraum Damaskus evakuiert worden, die von den Regierungstruppen belagert wurden. Der Transfer in die Provinz Idlib erfolgte in klimatisierten Reisebussen, welche vor zwei Tagen auch im Qalamoun als Transportmittel dienten.
Vor ihrer Abreise hatten die ISKämpfer noch verraten, wo sich die Leichen gefallener libanesischer Soldaten und Hisbollah-Aktivisten befinden. Erst nach der Bergung der sterblichen Überreste erhielt der Bus-Konvoi grünes Licht zur Abfahrt in Richtung Abu Kamal. Dort eingetroffen ist er bislang nicht. Mit Bombardements in Ost-Syrien verhinderte die US-Airforce am Donnerstag die Weiterfahrt des Konvois zur irakischen Grenze. „IS-Terroristen müssten auf dem Schlachtfeld getötet werden“, begründete Brett McGurk, der US-Koordinator für den Kampf gegen die IS-Miliz, die Luftangriffe.
Den US-Luftschlägen vorausgegangen waren Beschwerden der irakischen Armee. Man könne nicht hinnehmen, dass der IS von einem Land in ein anderes „abgeschoben“werde. Aus irakischer Sicht mag das Argument stichhaltig sein. Es hat aber einen Haken. Denn die IS-Kapitulation ist eine Premiere in dem mehr als sechsjährigen Syrienkrieg. Im Gegensatz zu anderen Gruppen der Terrormiliz verzichteten die 350 Kämpfer auf den Kampf bis zum Untergang, bei dem nicht nur der Gegner hohe Verluste davonträgt, sondern auch viele Zivilisten getötet werden.
Beispiele dafür gibt es viele: In Mossul, Tal Afar oder jetzt in Rakka war der Blutzoll auch deshalb so hoch, weil die angreifenden Parteien von Anfang an die „totale Vernichtung“des IS wollten und eine Kapitulation der Terrorgruppe nicht in Betracht zogen. An der libanesisch-syrischen Grenze wurde nun eine Art Präzedenzfall geschaffen. Durch den Deal wurde den Parteien letztlich Blutvergießen erspart. So mancher IS-Kämpfer könnte womöglich zu der Überzeugung gelangt sein, dass es sich nicht mehr lohnt, für die Terrormiliz zu sterben.
Noch hat der IS-Konvoi sein Ziel aber nicht erreicht. Die Reisebusse wurden in der ostsyrischen Steinwüste blockiert. Es ist davon auszugehen, dass die Dschihadisten jetzt ihre Vernichtung durch die US-Luftwaffe befürchten und, auch wenn es vielleicht aussichtslos ist, ums Überleben kämpfen werden. Als Konsequenz könnte ihr „Heldenmut“neue IS-Generationen schaffen, die überall dort entstehen, wo man im Kampf gegen den „Islamischen Staat“nur verbrannte Erde zurücklässt.