Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Drei Worte zur Rettung der Welt
EZB-Chef Mario Draghi wird 70 – Sein „Whatever it takes“stabilisierte den Euro – Kritiker fordern neue Geldpolitik
RAVENSBURG/LINDAU - Nicht Finanzhilfen in Milliardenhöhe haben den Euro gerettet, drei Worte haben ausgereicht. Lancaster House im Londoner Zentrum, ein vornehmes Herrenhaus, Schauplatz der englischen Adelsserie „Downton Abbey“. Nach einer Investorenkonferenz am 26. Juli 2012 sprach Mario Draghi den berühmten Satz, der die Eurokrise bis heute nachhaltig beruhigt hat und der als Wendepunkt in der Schuldenkrise gilt. Genau genommen war es kein Satz, es waren nur drei Worte. „Whatever it takes.“Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) sagte: „Die EZB ist innerhalb ihres Mandates bereit zu tun, was immer nötig sein wird – whatever it takes,– um den Euro zu schützen.“
Der Italiener, der am Sonntag seinen 70. Geburtstag feiert, hat die Eurozone, die in diesen Tagen vor dem Zusammenbruch stand, stabilisiert. Er hat klar gemacht, dass kein Investor Angst haben muss, Ländern wie Spanien oder Frankreich kurzfristig Geld zu leihen, denn im Fall, dass die Staaten ihre Schulden wirklich nicht zurückzahlen können, werde es die EZB sein, die die Staatsanleihen den Gläubigern abkauft. Er musste das Programm aber nie umsetzen, allein die Ankündigung reichte, um die Gemeinschaftswährung zu sichern.
Draghi-Kontrahent Sinn wettert
Seine Kritiker – allen voran der frühere Chef des Münchener ifo-Institutes Hans-Werner Sinn – werfen ihm allerdings vor, dass er damit die Regeln der Zentralbank nicht ausnutzte, sondern überdehnte. „Wenn ich unbegrenzt für meinen bankrotten Nachbarn bürge, kann er sich immer weiter verschulden, weiter über seine Verhältnisse leben und braucht seinen Lebenswandel nicht zu ändern“, sagte Sinn im Interview mit der „Schwäbischen Zeitung“. Nach Klagen gegen die Politik der EZB lässt das Bundesverfassungsgericht nun vor dem Europäischen Gerichtshof überprüfen, ob die Notenbank unter der Führung Draghis ihre Kompetenz überschreitet.
Der gebürtige Römer lässt sich davon nicht aus der Ruhe bringen. In Lindau, bei der sechsten Nobelpreisträgertagung der Wirtschaftswissenschaften, verteidigte er vor wenigen Tagen selbstbewusst die Politik der Zentralbank und vor allem das Rettungsprogramm für kriselnde Staaten OMT (Outright Monetary Transaction), das er im Lancaster House in London vor mehr als fünf Jahren in seiner Rede angekündigt hatte. „Allein die Tatsache, dass die EZB das Instrument zur Verfügung hatte, hat ausgereicht, die Erwartungen so zu steuern, dass es gut ausgeht“, erläuterte Draghi. „Damit hat das Programm eine entscheidende Rolle gespielt, die Eurozone zu stabilisieren.“
Doch vor allem Banker und Ökonomen aus Deutschland – allen voran Vertreter von Sparkassen und Genossenschaftsbanken – werfen dem Italiener, der zum 1. November 2011 den Franzosen Jean-Claude Trichet an der Spitze der EZB ablöste vor, bei allen Erfolgen in der Geldpolitik die Interessen der Sparer zu vergessen. Denn seine Politik – Nullzinsen, Strafzinsen von Banken, Aufkauf von langfristigen Staatsanleihen und Unternehmensbonds – lässt nicht nur bei Banken und Versicherungen die Zinserträge und damit Einnahmen wegbrechen, sondern enteignet auch Anleger, die auf klassische Produkte wie Sparbuch und Festgeld setzen. „Dass man den Zins mit einer nie da gewesenen Marktintervention wegreguliert hat, halte ich für hochgefährlich – und zwar für die gesamte Gesellschaft“, sagt Peter Schneider, Präsident des Sparkassenverbands Baden-Württemberg. Auch Gerhard Schorr, Verbandsdirektor des BadenWürttembergischen Genossenschaftsverbands, hält die faktische Abschaffung der Zinsfunktion „langfristig für Volkswirtschaft und Gesellschaft sehr schädlich“.
Hoffnungsträger Jens Weidmann
Wie Schorr und Schneider hoffen in Deutschland viele, dass Bundesbank-Präsident Jens Weidmann Draghi an der EZB-Spitze nachfolgen wird, wenn dessen Amtszeit im Oktober 2019 endet. „Selbstverständlich ist er ein heißer Kandidat, und er weiß das natürlich auch“, heißt es in Bundesbankkreisen. Offen sagen will das aber keiner – weder er selbst, noch Vertraute aus der Bundesbank. Zu groß ist die Angst, dass man den Hoffnungsträger mit unbedachten Aussagen beschädigt.
Bis diese Personalie entschieden ist, wird es noch dauern. Auf einen Ausstieg aus der Niedrigzinspolitik hoffen seine Kritiker aber schon früher. Nächsten Donnerstag könnte es im Turm der EZB am Main in Franfurt möglicherweise ein erstes Zeichen geben: Dann geht es im Rat der Notenbank unter Führung von Mario Draghi um den künftigen Kurs der EZB. Mitglied im Rat: Bundesbankchef Jens Weidmann.