Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Wettlauf ins Verderben
Die Steuervermeidung durch Unternehmen bedroht den sozialen Frieden
RAVENSBURG - Nullkommanullnullfünf Prozent. In Zahlen: 0,005 Prozent. So hoch war nach Ansicht der EU-Kommission der Steuersatz, mit dem der Technologiekonzern Apple seine Gewinne 2014 in Irland versteuert hat. Gewinne, die auch durch den iPhone-Verkauf in Deutschland gespeist wurden. Lediglich 50 Euro von einer Million Euro Gewinn sind demnach an den irischen Fiskus geflossen – zur Finanzierung öffentlicher Güter wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur: kurzum, zur Finanzierung des Gemeinwohls.
Auch wenn Apple ein Extrembeispiel aggressiver Steuerplanung von international tätigen Großkonzernen sein dürfte, ein Einzelfall ist es nicht. Spätestens nach dem Bekanntwerden der Panama Papers ist klar, dass Strategien der Steuervermeidung bei Unternehmen gang und gäbe sind. Legale wie illegale, auch bei deutschen Konzernen. Steuertricks von Unternehmen kosten die öffentlichen Kassen in der EU Schätzungen zufolge 50 bis 70 Milliarden Euro im Jahr. Ziehen sich Firmen also peu à peu aus ihrer unternehmerischen Sozialverantwortung zurück?
Die Frage lässt sich nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Anhaltspunkte, die diese These stützen, finden sich jedoch mehr als solche, die dieser These entgegenstehen. Fakt ist: Seit der Unternehmenssteuerreform im Jahr 2008 ist die tarifliche Steuerbelastung für deutsche Unternehmen kräftig gesunken. Lag sie vor 2008 noch bei durchschnittlich 40 Prozent und damit international mit an der Spitze, ist sie seitdem auf rund 30 Prozent gesunken. Damit rangiert Deutschland im Mittelfeld. „Die Steuerreform von 2008 hat zu einer spürbaren Entlastung der Superreichen geführt, unter Verteilungsgesichtspunkten ein Nachteil“, sagt Stefan Bach, Finanz- und Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Denn parallel dazu ist die Steuer- und Abgabenlast von Arbeitseinkommen nach Angaben der OECD auf mittlerweile knapp 50 Prozent gestiegen. Im internationalen Vergleich werden nur belgische Durchschnittsverdiener noch höher zur Kasse gebeten.
Race to the bottom
Es ist ein Phänomen, das sich in den vergangenen beiden Dekaden nicht nur in Deutschland beobachten lässt: Während die Gewinne vor allem der Großkonzerne immer neue Rekordmarken markieren, sinkt der prozentuale Anteil, der an den Fiskus abgeführt wird, stetig. International tätige Unternehmen sind in der Lage, unterschiedliche Steuerregelungen in verschiedenen Ländern zu ihren Gunsten zu nutzen, um insgesamt weniger Steuern zu zahlen. Legalisiert und befeuert werden diese Strategien durch den internationalen Steuerwettbewerb – und zwar nicht nur von allseits bekannten Steueroasen wie den Bermuda oder Cayman Inseln. Auch Industrieländer, die auf diese Weise Konzerne anlocken wollen, machen in diesem „Race to the bottom“– dem Rennen nach ganz unten – in der Unternehmensbesteuerung mit.
So will US-Präsident Donald Trump die Körperschaftsteuer, die Kapitalgesellschaften zahlen müssen, von 35 auf 15 Prozent senken. Großbritannien hat im Zuge des Brexits einen Körperschaftsteuersatz von nur noch zehn Prozent ins Spiel gebracht. Und in Deutschland wird die Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge diskutiert.
Befürworter niedriger Unternehmenssteuern führen positive Wachstumsimpulse und damit zusätzliche Steuereinnahmen ins Feld. Eine geringe Steuerbelastung, so die Argumentation, würde die Unternehmen ermuntern zu investieren. Doch empirische Belege dafür sind Mangelware. Die Höhe des Steuersatzes ist nur ein Kriterium für Investitionsentscheidungen. Die Nachfrage, die Infrastruktur, das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften und stabile politische Rahmenbedingungen – das sind die wirklich wichtigen Gründe für eine Standortentscheidung. Da kann eine niedrige Unternehmenssteuer sogar kontraproduktiv wirken, wenn über geringere Steuereinnahmen die Infrastruktur verkommt.
Besteuerung harmonisieren
Was also ist zu tun? Einer der Schlüssel liegt darin, Steuerschlupflöcher zu stopfen und den internationalen Steuerwettlauf auszuhebeln. Denn Staaten, die attraktive Steuerregeln zum Standortfaktor machen, untergraben damit die Besteuerung wirtschaftlicher Aktivitäten andernorts.
Zwar wurden in den vergangenen Jahren Maßnahmen gegen Steuervermeidung wie der Beps-Aktionsplan der OECD gegen Gewinnverkürzung und -verlagerung durch Unternehmen eingeleitet. Diese kratzen jedoch nur an der Oberfläche des Problems und sind zudem rechtlich nicht bindend. „Was wir brauchen ist eine stärkere internationale Koordination in Steuerfragen und den unbedingten Willen, gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung vorzugehen“, sagt DIW-Steuerexperte Bach. Nur so lässt sich das Vertrauen der Bürger in die Gerechtigkeit des Steuersystems wiederherstellen.