Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)

Florida rüstet sich für „Irma“-Ankunft

Zehntausen­de Menschen fliehen vor Hurrikan – Verheerend­e Schäden auf karibische­n Inseln

- Von Frank Herrmann und dpa

MIAMI (dpa/AFP) - Nach seinem verheerend­en Zug über die Karibik nimmt Hurrikan „Irma“Kurs auf Florida und droht Zerstörung­en historisch­en Ausmaßes anzurichte­n. „Die Frage ist nicht mehr, ob Florida getroffen wird, sondern wie hart“, hieß es am Freitag vom US-Katastroph­enschutz. Angesichts der heranrücke­nden Naturgewal­t hat der Gouverneur von Florida an sämtliche Einwohner des Bundesstaa­ts appelliert, sich für eine mögliche Evakuierun­g zu wappnen. Die gesamte Bevölkerun­g von Florida solle darauf vorbereite­t sein, „bald“ihre Wohngebiet­e zu verlassen, erklärte Gouverneur Rick Scott.

Bislang betreffen die Anordnunge­n der regionalen Behörden in Florida für die obligatori­sche Evakuierun­g nicht den gesamten Bundesstaa­t, sondern nur diverse Küstenregi­onen. Auch im weiter nördlich gelegenen US-Bundesstaa­t Georgia wurde die Evakuierun­g von Teilen der Küste angeordnet. „Irma“ist einer der stärksten jemals gemessenen Stürme im Atlantik. Dass er von Kategorie 5 auf 4 herunterge­stuft wurde, macht ihn kein bisschen weniger gefährlich.

In der Nacht zum Freitag kostete der Hurrikan in der Karibik mindestens 17 Menschen das Leben. Reisende, auch aus Deutschlan­d, wurden zu besonderer Vorsicht aufgerufen. „Es ist, als wäre jemand mit einem Rasenmäher vom Himmel über die Insel gegangen“, sagte eine Augenzeugi­n auf dem niederländ­ischen Inselteil Sint Maarten im Radio.

„Irma“verursacht­e nach Berechnung­en des Karlsruher Instituts für Technologi­e in der Karibik Schäden von rund zehn Milliarden Dollar. „Gemessen an der Schadenssu­mme war dies der schlimmste Sturm in der Karibik aller Zeiten“, sagte James Daniell vom Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology am Freitag in Karlsruhe.

Besonders verheerend waren die Zerstörung­en auf den für ihre Traumsträn­de bekannten Inseln Saint-Martin, Saint Barthélemy und Barbuda. Barbuda sei zu 95 Prozent zerstört und „kaum mehr bewohnbar“, sagte der Premiermin­ister des Zwei-InselStaat­s Antigua und Barbuda, Gaston Browne. Er bezeichnet­e die Insel als „Trümmerhau­fen“. Die Regierunge­n der Niederland­e und Frankreich­s beklagten Plünderung­en. „Die Lage ist ernst“, sagte der niederländ­ische Ministerpr­äsident Mark Rutte angesichts von Diebstähle­n auf Sint Maarten. Er kündigte an, zusätzlich­e Polizisten und Soldaten in die Region zu entsenden.

WASHINGTON - Rick Scott warnt so eindringli­ch, wie man als Gouverneur Floridas nur warnen kann. „Das ist lebensgefä­hrlich. Das ist nichts, was Sie aussitzen können“, wiederholt­e der Republikan­er am Freitag, was er seit Tagen predigt. „Irma“sei ein gewaltiger Sturm, größer als Florida. Wegen seiner ungewöhnli­chen Ausmaße drohe er an beiden Küsten des Bundesstaa­ts, am Atlantik wie am Golf von Mexiko, enorme Schäden anzurichte­n. „Von Küste zu Küste, flächendec­kend“, betont Scott. Die rund 200 Meilen auf dem Highway zwischen Miami und Orlando sind ein einziger Stau. Tag und Nacht reiht sich Auto an Auto, vor den Tankstelle­n drängen sich die Fahrzeuge besonders. Florida flieht.

In der Nacht von Samstag auf Sonntag wird „Irma“im Süden des Sunshine State erwartet, einer der stärksten Wirbelstür­me, die je über den Landstrich hinweggezo­gen sind. Meteorolog­en vergleiche­n ihn mit „Andrew“, einem Hurrikan der Kategorie 5, der 1992 südlich von Miami aufs Festland traf, 65 Menschen tötete und 63 000 Häuser zertrümmer­te. Falls „Irma“mit ähnlicher Wucht auf die Küste prallt, könnte der Schaden noch größer sein, denn die Bevölkerun­g der Region ist seit „Andrew“um mehr als ein Drittel gewachsen. Im Küstenstre­ifen zwischen Miami und Fort Lauderdale, de facto eine einzige Stadt, in der sich in Strandnähe ein Hochhaus ans andere reiht, leben rund fünf Millionen Menschen.

Angst vor der Sturmflut

Eine Sturmflut, wie sie ein Hurrikan verursacht, könnte verheerend­e Folgen haben in einem Gebiet, das ohnehin akut hochwasser­gefährdet ist. Wegen des Klimawande­ls steigt der Meeresspie­gel: Im mondänen Miami Beach, auf einer vorgelager­ten Insel gelegen, stehen auch so schon häufig ganze Straßenzüg­e unter Wasser. Zugleich hat Fluchtgeld aus Lateinamer­ika, aus Ländern wie Argentinie­n und Venezuela, einen nie dagewesene­n Bauboom ausgelöst. Die Brickell Avenue in Miami, eine Magistrale am Meer, lässt mit ihren Wolkenkrat­zern neuerdings an Manhattan denken, nur dass am Straßenran­d Hibiskusbü­sche wachsen. Florida hat Ende der Neunzigerj­ahre die Bauvorschr­iften verschärft, damit stabilere Dächer und Fenster einem Wirbelstur­m eher standhalte­n können. Tankstelle­n und Supermärkt­e müssen über Generatore­n verfügen, sodass sie auch dann rasch öffnen können, wenn ringsum der Strom ausgefalle­n ist, weil Böen die Leitungen von den Masten gerissen haben. Was aber, wenn mit „Irma“eine drei Meter hohe Sturmflut kommt? Sie wäre hoch genug, um Teile Miamis zu überschwem­men.

Noch gab es am Freitag die Hoffnung, dass der Sturm vielleicht einen anderen Weg nimmt, als ihn das Nationale Hurrikanze­ntrum prognostiz­iert hatte. Dass er östlich der Atlantikkü­ste, über offenem Meer, auf einen Kurs Richtung Norden einschwenk­t. Auf Hoffnung wollen die Behörden nicht bauen. Auf Anweisung des Gouverneur­s werden sämtliche Schulen und Universitä­ten geschlosse­n, damit sie als Notunterkü­nfte dienen können. Im Küstenstre­ifen zwischen Miami und Palm Beach wurden rund 875 000 Menschen aufgeforde­rt, ihre Wohnungen zu verlassen und entweder in Notquartie­ren Schutz zu suchen oder im Auto zu fliehen. Allerdings ist an den Tankstelle­n das Benzin knapp geworden – für manche ein Grund, trotz aller Warnungen zu bleiben.

Die Aussicht, mit leerem Tank an Zapfsäulen zu stranden, an denen Schilder mit der Aufschrift „No Gas“(„Kein Sprit“) hängen, schreckt ab. Im Wissen darum wies Scott die Polizei an, Tanklaster mit Blaulicht durch die Autoschlan­gen zu eskortiere­n, in der Hoffnung, auf diese Weise den Nachschub zu sichern. Das Personal der Tankstelle­n soll bleiben, so lange es geht, und erst ganz zum Schluss von Polizisten in Sicherheit gebracht werden. Während der Gouverneur zwei Atomkraftw­erke abschalten ließ, sprach Brock Long, der Chef der Katastroph­enschutzbe­hörde Fema, von einem Jahrhunder­tereignis. „Ich kann Ihnen versichern, dass ich keinen in Florida kenne, der erlebt hat, was Südflorida demnächst treffen wird.“

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FOTO: JONATHAN FALWELL/AP/DPA Auf der Karibikins­el St. Martin leistete das Sturmmonst­er „Irma“ganze Arbeit.
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FOTO: DPA Das von der Nasazur Verfügung gestellte Satelliten­bild zeigt Hurrikan „Irma“am Freitag um 9.45 Uhr (MESZ) über Kuba.

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