Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Altäre waren Familienangelegenheit italienischer Künstler
Serie „Die Schätze der Basilika Weingarten“– Warum einer der kostbaren Altäre einst eingeschmolzen worden ist
WEINGARTEN - Als Donato Giuseppe Frisoni im Herbst 1717 dem Kanzler des Abtes im Kloster Weingarten schreibt, lebt er auf einer Großbaustelle. Und das schon seit Jahren. Denn Frisoni ist württembergischer Hofarchitekt und verantwortet nicht nur die Architektur der Stadt Ludwigsburg, sondern auch deren Residenzbauten. Die Basilika in Weingarten ist im Jahr 1717 ebenfalls mehr Baustelle als fertiger Sakralbau – und es wird händeringend nach Meistern für die künstlerische Ausstattung der Klosterkirche gesucht. Frisoni schreibt an den Abt, er plane für Weingarten einen „sehr kunstreichen“großen Altar. Im Februar 1718 ist Frisonis Bauzeichnung des Hochaltars fertig – nur das „Deßein“kann zunächst nicht nach Weingarten gelangen: Die Post nimmt es nicht an. Als es schließlich das Kloster Weingarten erreicht, äußert der Abt sein Wohlgefallen. Frisoni ist engagiert.
Der oberitalienischen Vetternwirtschaft Frisonis ist es zu verdanken, dass alle neun Altäre in der Barockbasilika kunsthistorische Schätze geworden sind. Denn der Bau-Unternehmer Frisoni, dem ein guter Ruf als talentierter Stuckateur und ausgezeichneter Zeichner vorauseilt, arbeitet erfolgreich mit einem Trupp hervorragender Künstler: bestehend aus Schwägern, Neffen, Vettern und weiteren Verwandten aus dem italienischen Val d‘Intelvi. Dass um das Jahr 1710 in ganz Schwaben kein Maler die Freskotechnik beherrscht und auch die Wessobrunner Künstler keine ernsthafte Konkurrenz darstellen, kommt Frisoni und seinen Mitarbeitern zugute. Nur mithilfe seiner Verwandten kann er das gigantische Bauprojekt auf dem Martinsberg fertigstellen.
Frisoni ist nicht nur in Ludwigsburg, sondern auch in Weingarten bald der verantwortliche Planer. Auf die Gestaltung der Barockkirche nimmt er enormen Einfluss, etwa bei der Kuppel, den Emporen-Galerien und auch der Westfassade. Alle neun Altäre entwirft der Hofarchitekt; ausgeführt werden die Arbeiten zwischen 1719 und 1724 von unterschiedlichen Künstlern. Einer von ihnen ist Giacomo Antonio Corbellini, ein Schwager Frisonis. Er errichtet auf hohem Sockel die Säulenarchitektur des
Hochaltars. Das Meisterwerk aus rotem Stuckmarmor nimmt die Stirnwand des Chorraums ein. Am 14. Juli 1722 schafft das Kloster für Corbellinis Arbeiten zwei Siebe an; weitere Ausgaben für den Hochaltar sind in den Folgejahren im Rechnungsbuch des Abtes aufgeführt.
Während Corbellini mit Schwämmen, Gips, Leim, Branntwein, Eisen, Pinseln und Farben am stuckmarmornen Aufbau der Altäre arbeitet, kommt ein weiteres Familienmitglied zum Zuge: Diego Francesco Carlone. Er ist in der Familienwerkstatt
vornehmlich als Schöpfer bildhauerischer Arbeiten tätig und war schon als 16-jähriger Lehrling auf der Dombaustelle Passau. Auch Carlone ist ein Schwager Frisonis und bis 1725 in Weingarten beschäftigt. Mit seiner Familie hat er die hochbarocke Baukunst in Österreich entscheidend geprägt – in Weingarten hinterlässt er mit seinen Skulpturen ebenso wertvolle Kunstwerke. Sämtliche Skulpturen am Hochaltar gestaltete Carlone. Im Rechnungsbuch des Abtes quittiert er 1723 mit Signet, die Honorare dafür erhalten zu haben. Noch im Folgejahr verdient er auf dem Martinsberg sein Geld, ehe er am 16. Juni 1725 bestätigt, dass er für all die Engelsfiguren, die er für die übrigen Altäre geschaffen hat, ausbezahlt worden sei.
Von Engeln enthüllt
Der prächtige Hochaltar, der seinen Namen nicht etwa wegen seiner Höhe, sondern wegen seiner einstigen Funktion als Hauptaltar trägt, ist heute nicht für alle Besucher in seiner ganzen Pracht auszumachen: denn seit 1931 befindet sich das goldene Chorgitter unmittelbar davor. Der Altar an der Stirnwand des Chorraums wird von Engeln enthüllt, die einen grünen Stuckvorhang lüften. Sie gewähren einen Blick ins „theatrum sacrum“, in diese mit theatralischen Mitteln bildlich inszenierte Heilsgeschichte, die schon an der Kanzel auszumachen ist. Hoch oben schwebt der Heilige Geist in Gestalt der Taube aus einem von weißen Wolken und goldenen Strahlen umrahmten sogenannten Gloriloch: einem Heilig-GeistFenster, durch das morgens die Sonne in den Kirchenraum fällt. Noch aus der Zeit der romanischen Klosterkirche stammt das Altarblatt von Giulio Benso, das den Hochaltar ziert. Viele weitere Gemälde des Genueser Malers, die heute die Altäre schmücken, sind bereits in den 1630er-Jahren entstanden. Meisterhaft ist ebenfalls die Stirnwandplatte des Hochaltars, gearbeitet in Scagliola, in Stuckmarmor. Sehr filigran und kunstvoll ranken Blumen und Reben an der verzierten Front.
Heute ist der Heilig-Blut-Altar das Herzstück der Kirche. Richard MayerRosa aus Neuhausen/Fildern formt 1931 den heutigen Altar aus rotem-feinädrigem Marmor, in dessen Unterbau die Heilig-Blut-Reliquie hinter Panzerglas ausgestellt ist. Einen solch exponierten Platz boten die Vorgängeraltäre von 1731 und 1879 nicht. Unter der Kuppel befand sich der erste Heilig-Blut-Altar: der sogenannte Silberaltar. Allerdings ist er im Zuge der Säkularisierung eingeschmolzen und später in einfacherer Form wieder errichtet worden.
Neben dem Hoch- und dem HeiligBlut-Altar befindet sich der BlutChristi-Altar im nördlichen Kuppelarm oberhalb der Welfengruft. Ihm gegenüber steht der Leib-Christi-Altar. In den Seitenschiffen sind weitere Stuckmarmoraltäre, die reduzierter gestaltet sind. Doch auch sie sind mit kunstvollen Gemälden Giulio Bensos ausgestattet – wie beispielsweise der Maria-Hilf-Altar mit der Kopie eines Marienbildes von Lucas Cranach dem Älteren.