Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Gemeinderätin kämpft für „Zählkinder“über 18 Jahre
Baienfurter Ratsfrau Brigitta Wölk setzt sich für niedrigere Kiga-Gebühren kinderreicher Familien ein – Kreisweites Problem
BAIENFURT - Brigitta Wölk ist eine streitbare Kommunalpolitikerin. Ungerechtigkeit bringt die Baienfurter SPD-Gemeinderätin auf die Palme. Für absolut ungerecht hält Wölk die Praxis vieler Gemeinden, bei der Berechnung der Kindergarten-Gebühren sogenannte Zählkinder über 18 Jahre nicht zu berücksichtigen. Vehement setzt sich Wölk dafür ein, alle im Haushalt lebenden Kinder als Zählkinder anzuerkennen, sofern für diese noch Kindergeld bezogen wird. Gäbe es diese Regelung, müssten allein im Kreis Ravensburg Hunderte von Familien weit weniger Kiga-Gebühren bezahlen.
Der Hintergrund: Vor wenigen Monaten hatte der Baienfurter Gemeinderat – wie viele andere Räte im Land auch – die Kiga-Gebühren fürs neue Kindergarten-Jahr festgelegt, das heißt: leicht erhöht. Das Gremium folgte traditionell den Empfehlungen der kommunalen und kirchlichen Spitzenverbände. Doch schon im Vorfeld der Ratssitzung hatte die SPDFrau Wölk in einem Brief an ihre Kollegen des Gemeinderats beklagt, dass die Empfehlungen der Spitzenverbände den kommunalen Gremien immer als „dem Gesetz zu folgen“präsentiert würden und die Gemeinderäte keinen Spielraum hätten. Vor allem kritisierte Wölk, dass Zählkinder über 18 nicht berücksichtigt werden.
Kinder im Studium kosten mehr
Ein Beispiel ist der Fall der Baienfurter Familie Thoma, die vier Kinder hat: Zwei davon studieren, für sie bekommt die Familie Kindergeld, ein Kind wird nächstes Jahr 18, eines geht noch in den Kindergarten. Zwei Kinder werden jetzt noch bei der Berechnung der Kiga-Gebühren berücksichtigt, vom nächsten Jahr an nur noch ein Kind. Der Vater, Torsten Thoma, ist Gemeinderat (Grüne und Unabhängige) in Baienfurt. Er empfinde diese Regelung als absoluten Unsinn und familienfeindlich, zumal Kinder im Studium deutlich mehr kosteten als beispielsweise ein zehnjähriges Schulkind, sagt Thoma.
Obwohl der Fall Thoma in Baienfurt immerhin elfmal vorkommt – kreisweit sind es sicherlich einige hundert Fälle –, beschloss der Gemeinderat, auch weiterhin Zählkinder nicht anzuerkennen. So wie dies die Spitzenverbände vorschlagen. Eines ihrer Argumente: Nicht für alle Kinder ab 18 Jahren besteht ein Anspruch auf Kindergeld.
Wangen und Schlier weichen ab
Doch da schlagen Thoma und Wölk eine ganz einfache Lösung vor: Eltern mit Kindern ab 18 müssen den Kindergeldbescheid vorlegen, damit ihre Kinder als Zählkinder berücksichtigt werden können; sie müssen also einen Antrag stellen.
Als im Baienfurter Gemeinderat gefragt wurde, ob die Gemeinde mit einer Regelung zugunsten der Zählkinder eine Vorreiterrolle spiele und diese Frage bejaht wurde, begann Brigitta Wölk zu recherchieren. Das Ergebnis: Nicht nur die Stadt Wangen weicht von den Empfehlungen der Spitzenverbände ab. Die Nachbargemeinde Schlier beschloss gar eine Regelung, die exakt den Wölk’schen Vorschlägen entspricht, wenn die Entscheidung im Schlierer Gemeinderat auch denkbar knapp ausfiel (siehe SZ vom 23. August).
Der Musterfall einer Schlierer Familie, die vier Kinder im Alter von 21,18, elf und zweieinhalb Jahren hat, überzeugte die Mehrheit der Räte. In ihrem Fall liege der Kiga-Beitag je nach gewähltem Muster für zwei Kinder zwischen 88 und 117 Euro im Monat und bei Berücksichtigung von vier Kindern, also der ZählkinderRegelung, zwischen 19 und 25 Euro je Kind. Ausgesprochen sauer aufgestoßen ist Wölk auch die Haltung des Gemeindetags Baden-Württemberg, der auf ihr Schreiben nicht einmal geantwortet habe.
Fürs Kindergartenjahr 2017/18 ist die Sache gelaufen. „Doch ich werde da keine Ruhe geben“, versichert die streitbare Ratsfrau. In zwei Jahren, wenn der Gemeinderat wieder über Kiga-Gebühren entscheiden muss, wird sie die Sache wieder aufs Tapet bringen. „Für mich ist das eine Sache der Gerechtigkeit und der Chancengleichheit – auch im Sinne der Initiativen unseres Kanzlerkandidaten Martin Schulz.“