Schwäbische Zeitung (Ravensburg / Weingarten)
Süffige Verhandlung am fröhlichen Amtsgericht
Ein Angeklagter feilscht, eine Staatsanwältin verspricht sich und ein Richter referiert übers Biertrinken
War dieses Bier denn auch bekömmlich?“, fragt der vorsitzende Richter am Amtsgericht Wangen und blickt zum grinsenden Angeklagten, der nach kurzem Überlegen sagt: „Es ist das Bier des armen Mannes.“Und es heißt so ähnlich wie ein ehemaliger baden-württembergischer Ministerpräsident. Wer nichts außer Bier trinke, komme über ein gewisses Alkoholisierungsniveau nicht hinaus, erläutert da der Richter, der tatsächlich bei einer entsprechenden Schulung unter Laborbedingungen eigene Erfahrungen gemacht habe. Rein beruflich, versteht sich.
„Das helle Bier halt“, präzisiert der Angeklagte auf die Frage, was er denn so zu sich genommen habe am betreffenden Tag. Ob die Biere nun gut geschmeckt haben oder weniger gut, ist am Ende egal. Bekommen sind sie dem 27-Jährigen jedenfalls überhaupt nicht. Im Gegenteil: Heute, rund drei Monate nach der Trunkenheitsfahrt des Angeklagten, stoßen sie dem gelernten Zimmermann noch immer bei jedem Gedanken an den Abend des 28. Juli bitter auf. Besonders gut am Gesicht abzulesen, als die Staatsanwältin ihm diese Fahrt vorwirft und sich dabei einen sympathischen Versprecher leistet: „Der gemessene Blutalkoholspiegel betrug 1,25 Prozent...“Selbstredend waren es Promille, sonst hätte der junge Mann nicht zur Verhandlung kommen können, weil er die fragliche Nacht sicher nicht überlebt hätte. Jedenfalls sorgt die kurze Verwechslung von Prozenten mit Promille für anhaltende Heiterkeit im Sitzungssaal.
Gut gelaunt zum Drogentest
Damals hat er es auch recht lustig gehabt, der Angeklagte, zusammen mit seinem Nachbarn in dessen Wohnung in Altusried. Als er schließlich in sein Auto steigt, um seiner Freundin in Isny noch einen späten Besuch abzustatten, funktioniert an dem alten Golf eigentlich so ziemlich alles, bis auf die Beleuchtung des hinteren Nummernschildes. Seine Fahrweise findet der Angeklagte selbst vollkommen untadelig. Als ihn eine Polizeistreife schließlich anhält, nachdem sie schon eine ganze Weile hinter dem Golf hergefahren war, geben die Beamten nichts außer dem halbblinden Licht als Begründung für den Stopp an.
Und doch scheint ihnen der Golffahrer ein bisschen komisch vorzukommen, denn sie fragen in herzensguter Freundlichkeit, ob er sich nicht einem Drogentest unterziehen wolle. Der Zimmermann, ebenfalls mit ausgesuchter Höflichkeit, erklärt sich auf der Stelle dazu bereit, sodass die nächtliche Reise auf die Polizeidienststelle in Isny führt. Tatsächlich bleibt der Drogentest negativ, was beim anschließenden Alkoholtest ganz anders aussieht. Später wird der Arzt, der die Blutabnahme von Amts wegen durchführt, in seinen Bericht schreiben, dass der Patient sich „fröhlich“verhalten habe. Beim Nase-Finger-Test sei er zwar unsicher gewesen, dafür lobt ihn der Bericht als „kooperativ“.
Das ist der 27-Jährige auch vor Gericht. Wie er da so sitzt, unbedarft mit seiner Unschuldsmiene, den lockigen Haaren in Haselnussbraun, erinnert er an den „Geißenpeter“. Zwar ohne Heidi, aber tatsächlich wirkt er wie ein großes Kind, das man am liebsten an der Hand nehmen, aus dem Saal führen und zur nächsten Eisdiele bringen würde, um ihm drei Kugeln Schoko zu spendieren. Dabei hat das der junge Mann bei genauerem Hinsehen eher nicht verdient. Das jedenfalls legen die drei Eintragungen in seiner Akte nahe, die der Richter verliest. Demnach ist der Zimmermann etliche Male mit seinen Nachbarn aneinandergeraten, indem er diesen mit seinem Auto extrem dicht aufgefahren ist, sie dann überholt hat, um sogleich abrupt zu bremsen. Wodurch sich die Betreffenden – mehrere Fälle sind dokumentiert – zum starken Bremsen und Stehenbleiben genötigt sahen. Auch Beleidigungen sind laut Akten schon abgeurteilt worden. Beliebteste Formulierung des Angeklagten: „Du dummes Mensch!“Der Richter verliest auch folgende BeleidigungsLyrik, die einer Fußgängerin gegolten hat: „Du faules Mensch. Schaffst nix und gehst nur den ganzen Tag spazieren.“Insgesamt drei Richter hatten dieses Verhalten schon als „sozial verwerflich“abgeurteilt. In der Folge hatte der Angeklagte schon mit saftigen Geldstrafen sowie einem Fahrverbot Bekanntschaft gemacht.
Und weil er vor der nächtlichen Trunkenheitsfahrt als Lagerarbeiter und Ausfahrer gearbeitet hat, fasst ihn die drohende Strafe von elf Monaten Führerscheinsperre und 1500 Euro Geldstrafe hart an. Denn: Am nächsten Morgen hatte ihn sein Chef gefeuert, als der 27-Jährige zum Dienst erschien. „Ich könnte ja schon wieder als Zimmerer schaffen, aber das ist schwer ohne Führerschein.“
Der Richter, der im Angeklagten offenbar eher einen Unglücksraben als eine böswillige Person sieht, stellt aber gleich klar, dass am Führerscheinentzug nicht zu rütteln ist, als der zunehmend Zerknirschte zu feilschen beginnt. Am Ende reduziert das Gericht die Strafe auf 500 Euro, was aber nur deshalb so ist, weil der Angeklagte nach seinem Rauswurf aus der Firma keinen Job mehr hat. Damit ist der Rabatt nur ein schwacher Trost. Und das Geld wird noch knapper, sodass es nicht mal mehr für „das Bier des armen Mannes reicht“. „Noch billiger ist es, Sie trinken gar nichts mehr“, sagt der Richter und schließt die Verhandlung.